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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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384 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe: Entwurf zu einer Historie

XVIII
Entwurf zu einer Historie
Auf einem schon zweimal erwähnten Blatte der Casa Buonarroti
(XXXI, 27. S. I, 151, Nr. V und II, S. 148, Nr. VIII), auf welchem
zuerst Studien für die Sklaven des Juliusdenkmales, später die Grund-
risse einer Bastion gezeichnet wurden, ist über die Sklaven hinweg,
aber bevor die Fortifikationsskizzen entstanden, eine figurenreiche
Darstellung flüchtig von Michelangelo entworfen worden. In der
Mitte der rechts verkürzten Komposition sehen wir einen nackten,
sitzenden Jüngling, der nach rechts schauend, die Hände im Schooss,
den (nicht sichtbaren) linken Arm nach rechts auszustrecken scheint,
wo ein nackter Mann einen Anderen packt und noch weiter rechts
ein Dritter einen Vierten zu fassen scheint. Links von dem Jüng-
ling kniet eine (wohl jugendliche) Figur, die, Erbarmen erflehend,
die Hände zu ihm erhebt. Hinter ihr links befindet sich eine Gruppe
sitzender Gestalten: zu der einen vorderen in gebeugter Haltung
wendet sich eine, den Arm zu ihr ausstreckend, die, dem über dem
Kopf gezogenen Mantel nach, als eine Frau aufzufassen sein dürfte.
Beide sind nach rechts gewandt. Links von der vorderen ruht mit
aufgestemmtem rechten Bein, nach links gewandt, in lässiger Haltung
ein Mann. Dahinter erscheinen Andere nach vorne bewegt.
Ich vermag die merkwürdige Szene nicht zu deuten. Auf den
ersten Blick glaubt man, der Vorgang vollziehe sich auf Wolken,
und denkt an das Jüngste Gericht. Diese Annahme erweist sich
aber sogleich als irrig: wie wären die kämpfenden Gestalten rechts
zu erklären? Auch beschäftigte sich Michelangelo in den zwanziger
Jahren noch nicht mit dem Plan des Freskos. Dann stellt sich
der Gedanke ein, da der dominirende Jüngling eine entfernte Ähn-
lichkeit mit dem Giuliano Medici hat, es könne der Entwurf für
eine Siegesszene sein, die irgendwie in der Sagrestia nuova an-
gebracht werden sollte. Hierbei könnte man aber doch nur ein
Relief voraussetzen, und diese Komposition ist offenbar nicht für ein
solches, sondern für ein Gemälde bestimmt.
Befiehlt der Jüngling eine Hinrichtung? Sind die Gestalten
links Gefesselte, denen das gleiche Schicksal droht, wie den Ge-
packten rechts? Welche Rolle spielt die Frau? (Es sieht fast so
aus, als trüge sie einen Heiligenschein, aber das ist wohl eine
Täuschung.) Ist die knieende Figur männlich oder weiblich?
Was immer gemeint sei — die Darstellung muss, als eine für
Michelangelo sehr ungewöhnliche, unser Interesse erwecken. Das
trotzige über sie weg gezeichnete Bollwerk scheint uns die Berech-
tigung zur Annahme, dass des Künstlers Phantasie in jenen kriege-
rischen Zeiten durch kriegerische Vorstellungen bewegt ward, zu geben.
 
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