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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Mitarb.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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432 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes

hier wird das Kind auf dem linken Arme getragen und spielt mit
einem Vogel. Von Zeichnungen ist nur eine einzige zu erwähnen,
der späte Entwurf in London, den ich soeben schon besprach
(Nr. IV).

^. Maria mit dem Kind und Johannes.
In den zwei frühen Reliefs ist das Thema zuerst von Michel-
angelo behandelt worden, und zwar ward in verschiedener Weise
das Problem der Gruppe zu lösen versucht. In dem florentiner
ist Johannes, nur lose hinzugefügt, hinter dem Rücken der Maria
angebracht, in dem Londoner ist ihm eine formal der Jungfrau
fast gleichkommende Bedeutung zuerkannt. Hier sind die Kinder
im Spiel mit einander dargestellt: Christus, erschreckt von dem
flatternden Vöglein, das Johannes ihm hinhält, strebt ausweichend
nach rechts. Doch ist keine Beziehung zwischen den Kindern;
Christus, am Boden stehend gegen die Mutter gelehnt, schaut in
das Buch auf deren Schooss. Äusserlich der Hauptgruppe ver-
bunden, sitzend im Rücken Marias angebracht und von Christus
nicht bemerkt, erscheint Johannes auch auf der Bonnat'schen Zeich-
nung in Bayonne. (S. oben I, S. 112, Nr. VIII.) Und auf demselben
Blatte finden wir ihn seitwärts neben der vom Kinde umhalsten
Madonna. (Ebenda Nr. VII.) — Zwei Typen also können wir in
dieser früheren Zeit unterscheiden: die mit einander spielenden
Kinder (A) und die seitliche isolirte Stellung des Johannes (B).
A. Das Spiel der Kinder.
Durch seine mannichfachen Studien der Darstellung von Frauen
mit Kindern für die Lünetten der Sixtinischen Decke angeregt,
entwarf Michelangelo die grossartige Londoner Zeichnung:
VIII. London, Brit. Mus. 1860—6—16—1. Thode 321. Ber. 2482
(Sebastiano). Abb. Ber. Pl. CXLIX. Phot. Br. 9. Kreide.
(Vgl. oben II, S. 405, Nr. VII.) Maria, eine den Sibyllen ver-
wandte Erscheinung, sitzt nach halb links gewandt, die Rechte
im Schoosse, mit der Linken das Gewand unter der Brust
haltend. Sie blickt in liebevollem Sinnen auf die blühenden,
kräftigen Kinder (unter ihrem linken Arm) herab. Johannes
ist herbeigeeilt und umschlingt, das linke Beinchen wie kletternd
erhebend, Christus, der mit dem rechten Bein, sich in die
Gestalt der Maria einschmiegend, auf deren Bein kniet, als
wolle er sich scheu der stürmischen Liebkosung entziehen,
und grossen Blickes den Gefährten betrachtet. Hier hat also
das Motiv des Londoner Reliefs aus einer ähnlichen Auffassung
Christi neue Gestaltung gewonnen.
 
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