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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (3) — 1921

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Nr. 91 - Nr. 100 (20. April - 30. April)
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Der deutschen Regierung
Hilferuf an Amerika.
Berlin, 21. April. Die Reichsregierung ließ durch Ver-
mittlung des amerikanischen Geschäftsträgers in Berlin an den
Präsidenten der Bereinigten Staaten folgende Note gelangen:
Namens der deutschen Reichsregierung und des deutschen Vol-
kes beehren sich die Unterzeichneten, trotz des formell noch bestehen-
den Kriegszustandes an Sen Henn Präsidenten der Bereinigten
Staaten von Amerika den Antrag zu richten, in der Reparations-
frage die Vermittlung zu übernehmen und die Summe festzustellen,
die Deutschland an die alliierten Mächte zu zahlen hat. Sie spre-
chen gleichzeitig die dringende Bitte aus, die Zustimmung der Alli-
ierten zu einer solchen Vermittlung herbeizuführe». Dabei erklären
sie feierlichst, daß die deutsche Regierung ohne Einschränkungen oder
Vorbehalt bereit und willens ist, den alliierten Mächten diejenige
Summe als Reparation zu zahlen, die der Präsident der Vereimg-
n Staaten nach eingehender Prüfung und Untersuchung als recht
nd billig befinden sollte. Sie verpflichten sich hiermit ausdrück-
ich, seinen Schiedsspruch, wie er auch lauten möge, in allen Einzel-
heiten, sowohl dem Buchstaben wie dem Geiste nach, zu erfüllen.
Lief durchdrungen von der inneren Berechtigung dieser Bitte und
.n unbezweifelbarer Aufrichtigkeit unterbreitet das deutsche Volk
durch seine verfassungsmäßige Regierung dem Präsidenten der Ver-
einigten Staaten feinen Antrag. Es hegt die zuversichtliche Hoff-
nung auf Gewährung ^seiner Bitte und daß nach Recht und Ge-
rechtigkeit eine endgültige Entscheidung gefällt werde zur Erfüllung
tiefgefühlter Wünsche aller zivilisierten Nationen, zur Abwendung
der unabsehbaren 'Folgen drohender Zwangsmaßnahmen und zur
Herbeiführung -des FrieZrrrs der Welt,
Gez.: Gehrenbach. Gez. Dr. Simons.
Endlich ist der Bann unheimlichen Schweigens gebrochen, die
Vermittlungsaktion, von der in den letzten Tagen alle mögliche»
Blätter des In- und Auslandes zu berichten wußten, ist bekannt-
gegeben. Die deutsche Regierung fleht den amerikanischen Präsi-
denten um Vermittlung in der Reparationsfrage an. Ihr Ver-
trarckn in Harding ist so riesengroß, daß sie ihm unbegrenzte Blan-
kovollmacht zuerkennt, diejenige Summe festzusetzen, die er „nach
eingehender Prüfung und Untersuchung als recht und billig befinden
sollte". Die deutsche Regierung verpflichtet sich, seinen Schieds-
spruch, wie er auch immer lauten sollte, in allen Einzelheiten zu
erfüllen.
Wir werden morgen noch eingehend auf diesen Schritt der
deutschen Regierung zurückkommen. Für heute wollen wir nur
aussprechen, daß uns dieser Verzweiflungsschritt der deutschen Re-
gierung nach der Antwort, die sie auf ihr letztes Memorandum aus
Newysrk erhalten hat, nach jeder Richtung als gänzliches Fiasko
unserer Außenpolitik erscheint. Morgen kommen Briand und Lloyd
George zusammen, um über die Politik nach dem 1. Mai sich aus-
zusprechen. Anstatt nun >'n dieser ungeheuer kritischen Situation
mit einem neuen großzügigen deutschen Gegenvorschlag, besonders
mit einem ins Einzelne festgelegten Wederaufbauprogramm der zer-
störten Gebiets, vor den deutschen Reichstag, die deutsche Oeffent-
lichkeit, die Welt, vor London und Paris hinzutreten — stath besten
fleht man mit ganz allgemein gehaltenen Phrasen Harding um Hilfe
an und das, trotzdem Briand in seiner letzten Senalsrei-L jede indi-
rekte Vermittlung abgelehnt hat und trotzdem Dr. Simens noch ick
Bern der Auffassung Ausdruck gab, daß eine Lösung dieser Frage
nur durch eine direkte Verständigung mit Frankreich möglich sei.
Wer ist für diese Schaukelpolitik der deutschen Regierung verant-
wortlich? Simons und Fehrenbach sprechen auch im Namen des
deutschen Volkes, haben sie dazu ein Recht? Weder der Reichstag
noch auch nur sein auswärtiger Ausschuß ist vorher gehört worden,
vielmehr werden wieder alle möglichen direkten und indirekten Ein-
flüsse unverantwortlicher Berichterstatter und Sachverständiger eine
große Rolle gespielt haben, wie vor und in London. Nachher, wenn
dann die Karre verfahren ist, sollen die parlamentarischen Instanzen
sie wieder aus dem Dreck ziehen. Hoffentlich redet unsere Partei
im Reichstag über diese Geheimoiplomatie endlich einmal ein klipp
und klares Wort!

Deutscher Reichstag.
Berlin, 21. März.
In der heutigen Sitzung wird die gestern abgebrochene Be-
ratung des Antrags Aderholl auf
Aufhebung der Ausnahmevervrdnungen und Sondergerichte
fortgesetzt.
Abg. Warmuth (DR.) polemisiert gegen die gestrigen Aus-
führungen des Abg. Dr. Rosenfeid, schildert die Erpressungen und
sadistischen Ausschreitungen, die vor nichts zurückgeschreckt hätten,
und gibt eine Statistik der in Mitteldeutschland zerstörten Betriebe.
Mehr als 20 000 Arbeiter seien auss neue arbeitslos geworden und
Hunderte von Millionen allein im Leunawerk an Verlusten entstan-
den. Gür alle diese Verbrechen, für die Hölz das schöne Wort Ex-
propriation geprägt habe, gebe es keine Entschuldigung.
Abg. Dr. Fische r (Soz.) stimmt dem Antrag Aderholt für
die Bezirke Hamburg, Düsseldorf, Arnsberg und Münster zu, nicht
aber für die Provinz Sachsen. Maßgebend für den letzten Punkt

Dar bÄrgsrliche KErrLtt irr Preußen.
Berlin, 21, April. In der heutige« Sitzung des preußische«
Landtags wurde der WohlfahrtSMinister Abgeordneter Sieger-
wald (Zentrum) mit 227 von 349 gültigen Stimmen zum Mini-
sterpräsidenten wiedergewählt. Auf den Abgeordneten Braun
(Soz.) entfielen 108, auf den Abgeordnete« Ludwig (U.S.P.) 21
und auf den Abg. Buch (Ztr.) 1 Stimme. Im ganzen wurden 378
Stimmzettel abgegeben, von denen jedoch 22 unbeschrieben waren.
Berlin, 21. April. Wie der „Deutsche" mitteilt, wird
Ministerpräsident Stegerwald voraussichtlich morgen dem Landtag
das neue Kabinett vorstellen und in programmatischen Aus-
führungen die nächsten Aufgaben der Regierung mitteilen. Darauf
werden die Vorsitzenden der Fraktionen den Standpunkt ihrer Par-
tei mitteilen. Am Samstag wird die Debatte über die Regierungs-
erklärung fortgesetzt und mit der Abstimmung über die Vertrauens-
frage enden.
Dem „Berl. Tageblatt" zufolge fand am Vormittag unier dem
Vorsitz des Ministerpräsidenten eine Besprechung der in Aussicht
genommenen neuen Minister statt, in der die Regierungserklärung
in ihren Grundzügen erörtert wurde.
Die Maske der preußischen Komödie ist kamst gefallen. Ste-
gerwalb, von der alten Koalition Zur Regierungsbildung beauftragt,
ist mit allen bürgerlichen — einschließlich der deutsch-
nationalen!! — gegen die sozialistischen Stimmen wiederge-
wählt, die Sozialdemokratie ist aus der Regierung hinausgedrängt.
Jetzt gibt es für unsere Partei lein Paktieren mehr, sie wird dem
neuen Kabinett zu zeigen haben, was es heute heißt, ein Bour-
gevisministerium gegen die sozialistische Arbeiterschaft zu bilden.
Herr Stegerwald aber und seine Partei hat einen unerhörten
Wortbruch begangen, denn nach der nicht mehr wegzuleuguenden
Vereinbarung mußte Stegerwald zurücktreten, wenn es ihm nicht
gelang, ein Kabinett mit der Sozialdemokratie zu bilden. Aber
was ist diesen Herrschaften ein Wortbruch, wenn sie ihr Ziel er-
reichen. Der Zweck heilighier hie Mittels , . ,
Unterzeichnung des Korrtdorabkommenr.
Paris, 21. April. Nach mehrmonatlichen Verhandlungen,
die unter Vermittlung des von der Botschasterkonserenz hierfür be-
stimmten Herrn Leverve stattfanden, ist heute 'M Ministerium für
auswärtige Angelegenheiten in Anwesenheit des Vorsitzenden der
Botschasterkonserenz, Jules Cambon, und des Herrn Leverve das
sogenannte Korridsrabkommen -wischen Deutschland, Polen und
Danzig unterzeichnet worden, und Mar für Deutschland durch den
Gesandten von Mutius und für Polen und Danzig durch den
Ministerialdirektor Llczvwski. Das Abkommen regelt auf Grund
des Artikels 08 des Friedensvertrags den Durchgangsverkehr zwi-
schen Ostpreußen und dem übrigen Deutschland. Es bedarf der
Ratifikation, die vereinbarungsgemäß so bald als möglich
erfolgen soll. Grundsätzlich tritt es mit dem Austausch der Rati-
fikationsurkunden in Kraft, eine Anzahl gerade der wichtigsten Be-
stimmungen jedoch erst mehrere Monate darnach. Ueber eine vor-
läufige Regelung des Eisenbahnverkehrs bis zum Inkrafttreten der
Bestimmungen des Abkommens wird zwischen der deutschen sind
polnischen Regierung verhandelt.

sind die Ausführungen der „Roten Fahne", die erst heute wieder
einen neuen Hetzartikel gemäß den Bestimmungen des Zentralaus-
schusses bringt. War der Geist, den der Abg. Rosenfeld als den
revolutionären Geist der Arbeiterschaft pries und der sich in den
schwerste« Verbrechen dokumentiere, wirklich der Geist der Arbeiter-
schaft? Der Name des Arbeiters ist von diesen Verbrechern ge-
schändet worden. Es ist auch einfach nicht wahr, daß alle diese
Schreckensnachrichten, welche gestern als Lügennachrichten der ka-
pitalistischen Presse bezeichnet wurden, erlogen sind. Sie sind wahr.
Auch unsere sozialdemokratischen Blätter haben dies bestätigt. (Pro-
teste links, lebhafte Zurufe usw.) Selbst sozialdemokratische Schutz-
leute sind bestialisch niedergemetzelt und noch im Tods geschändet
worden. Mit Ekel und Entrüstung haben sich die Arbeiter von
ihnen adgewandt. Bedauerlich bleibt nur, daß die Hetzer, die in
der Heimlichkeit ihr Werk treiben, nicht zu fassen sind. Die Son-
dergerichte müsse« mit Kaulelsn versehe» werden, damit Klassen-
justiz zur Unmöglichkeit wird. Das will unser Antrag. Die Zu-
ständigkeit der Svndergerichte muß durch ein Gesetz festgelegt wer-
den. Der Redner wendet sich dann gegen die Rechte, die mit Un-
recht glaubt, aus den kommunistischen Umtrieben für sich Nutzen zu
ziehen. Der Reaktionär spricht aus allen ihren Reden. Kein Ar-
beiter wird sich von ihnen einfangen lassen. Er müsse fragen, ob-
wohl unter der Monarchie, solche Demonstrationen für die Repu-
blik möglich gewesen feien, wie sie vorgestern noch für die Monarchie
in Potsdam erfolgt seien. Umso bedauerlicher und unverständlicher
fei es, daß die Kommunisten sich bemühten, die Einigkeit der Ar-
beiter zerstören und die Gewerkschaften beseitigen wollten.
Es sprechen noch ReichÄustizminister Heinze, Wg. Cre-
mer (DV.), der dagegen protestiert, daß Dr. Rosenfeld, der feiner
ganzen Vermögenslage nach nicht zu den Arbeitern gehöre, als
deren Vertreter sich hier aufspiele, "Abg. Guerard (Ztr.) und
Abg. Delius (Dem.).
Vizepräsident Dr. Boll schlägt hierauf dem Hause vor, die
Beratung nunmehr abzubrechen und den einstweilen zurückgestellten
Punkt der Tagesordnung, den Gesetzentwurf über die Prüfung und
Beglaubigung der Fieberthermometer zu erledigen. Das Haus be-
schließt demgemäß. Der Gesetzentwurf wird nach kurzer Debatte,
nachdem Staatssekretär Lew ald sich dahin ausgesprochen hatte,
baß auch die beteiligte Industrie ihre Zustimmung zu dem Entwurf
ausgesprochen habe, in zweiter und dritter Lesung angenommen. -
Freitag mittag 2 Uhr: Anfragen und Weiterberatung. Schluß
>»7 Uhr. .„H,.. .


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Politische Ueberficht.
Die 5. Versammlung der Bölkerdundsuga.
Brüjfsl, 21. April Die Union der Völkerbundsligen setztet
unter dem Vorsitz von Ador die fünfte Vollversammlung auf den
8. Juni inGenf fest. Aus der Tagesordnung der nächsten Kon-
ferenz werden besondere Zusätze zum Vertrag stehen, ferner die
Fragen der Einschränkung der Rüstungen, der Wirtschaftsblockade,
des Minderheitenrechts, der Gleichheit der Rassen und der Tätig-
keit für die Ausbreitung 0es Verständnisses für die Arbeit des Völ-
kerbundes. Der Sitzung wohnten Willvughby, Dickinson, Frhr.
Adelswaerd, Mura, Liagekang, Paul Pietet, Galay und Prud-
hammeaux bei.
Dis psMischs Unfruchtbarkeit der U.S.P.
Anläßlich der preußischen Regierungsbildung schreibt Eduard
Bernstein im „Vorwärts" über die Verantwortung der U.S.P.
Er meint, die S.P.D. hätte in Preußen ihre innen- und außen-
politisch so bedeutsame Machtposition nicht aufzugeben brauchen,
„wenn unsere Nachbarn avf der Linken endlich sich der
ihnen obliegenden politischen Verantwortlichkeit bewußt werden und
nach ihr handeln wollten." Welch schwere Schuld die U.S.P. ge-
rade in den Jahren seit der Revolution durch ihre negative un-
fruchtbare Politik auf sich geladen hat, zeigt Bernstein in folgenden
Ausführungen:
„Zum drittenmal versagt die Unabhängige So-
zialdemokratie in einer für die Entwicklung der Republik
bedeutungsvollen politischen Entscheidung.
Das erstemal geschah es Ende Dezember 1918, als ihre
Mitglieder im Rat der Vv'.ksbeauftragten dem Drän-
gen der äußersten Linken der Partei — größtenteils heute Mosko-
witer — nachgaben und aus der Regierung austraten. Daß ihre
Stellung in dieser keine leichte gewesen war, sei ohne -weiteres zu-
gegeben. Sie war es sür keinen der Beteiligten. Ader um je mehr
war für alle das Pflichtgebot: Ausharren! Es galt, der Republik
über die Krisen himveghelfen, die sich schon damals ankündigten.
Sie ganz M verhindern, war niemand gegeben, Liebknecht hätte
feinen Putsch auch ins Werk gesetzt, wenn Haase und Genossen in
der Regierung geblieben wären. Aber der Verlauf wäre wahr-
scheinlich ein anderer gewesen, der Nachhall weniger verhängnisvoll
und die Stellung der Sozialdemokratie in der Nationalversammlung
eine wesentlich günstigere, als es unter der Einwirkung der Spal-
tung tatsächlich geschah. Es ist eine große Verantwortung, welche
diejenigen auf sich geladen haben, die damals die Sozialdemokratie
nicht schnell genug wieder auseinandertreiben konnten, nachdem
das große Geschehen des 9. November 1918 sie zufammengeführt
hatte.
Das zweite Versagen erfolgte im Juni 1920 nach der
Reichstagswahl. Mit 80 Abgeordneten rückten damals die
Unabhängigen in den Reichstag. Ihrer Agitation war es zugute
gekommen, daß die Sozialdemokraten die Kompromisse hatten ein-
gehen müssen, ohne die das unabweisbar notwendige Werk der
Herstellung der Verfassung der Republik nicht unter Dach und Fach
gebracht werden, die Republik keine Regierung Haden konnte. Nun
galt es eine neue. Regierung zu bilden. Sie war als Regierung der
Linsen nur möglich, wenn die unabhängige Sozialdemokratie bereit
war, an ihr teilzunehmen. Hermann Müller, damals Reichskanz-
ler, lud sie in der entgegenkommendsten Weise ein, ihre Bedingun-
gen für eine Mitwirkung darzulegen. Die Partei aber versagte wie-
der. Sie geberdete sich als zu erhaben, die gestellte Frage auch nur
in Betracht zu Ziehen, ließ es nicht einmal auf einen Versuch der
Verständigung über eine Regierungsbildung ankommen. Ein ab-
weisender Brief voll ausgesuchten Hohns war die Antwort auf
Müllers Einladung.
Schlimmer noch. Ton und Inhalt des Schreibens bewiesen,
daß die Sozialdemokraten, wenn sie in der Regierung blieben, di«
80 Unabhängigen als feindselige Opposition im Rücken haben wür-
den. Das wäre für sie als Panei, das wäre aber auch für die Re;
publik selbst ein unerträglicher Zustand gewesen. Sie sahen sich
genötigt, von der Regierung zurückzutreten, und es erfolgte dec Ein-
tritt der Nationallkberalen in die Regierung der Republik. Mit
welcher Wirkung für die innere und äußere Lage Deutschlands ha-
ben wir zur Genüge erfahren.
Die Wirkung wäre unzweifelhaft noch schlimmer gewesen, wenn
nicht Preußen wenigstens seine Regierung der Linken behalten
hätte. Die ist nun jetzt aber ernsthaft in Frage gestellt. Demo-
kraten und Zentrum erklären, nach dem Ergebnis der Landtag-uv ahl
sei die Basis für die Regierung der Linken „zu schmal". Man kann
das mit gutem Fug bestreiten, in Ländern, die schon lange parla-
mentarisch regiert werden, hat man die Erfahrung gemacht, daß
Negierungen mit kleiner Mehrheit ost lebenskräftiger sind als solche
mit großer. Indes muß zugegeben werden, daß es kein angenehmer
Zustand ist, wenn eine Handvoll Leute durch Unbotmäßigkeit einen
in die Minderheit bringen können. Aber die Basis kann nicht nur
nach rechts, sie könnte ebensogut nach links hin verbrei-
tert werden, wenn — es sei wiederholt — wenn die Unabhängi-
gen in der politischen Verantwortung, die sich aus dieser Lage sür sie
ergibt, bewußt und dazu entschlossen wären, ihr Genüge zu 'eisten.
Sie sind im Abgeordnetenhaus heute 30 Mitglieder stark, und
das würde ausreichen, die ziffernmäßige Basis für eine Regierung
der Linken selbst gemäß den Ansprüchen der Bürgerlichen tragbar
zu gestalten. Und da die Unabhängigen nun des moskowiterischen
Einschlags ledig sind, fallen manche Bedenken hinweg, die sonst ihren
Eintritt in eine Regierung der Republik erschweren würden. Es
käme nur darauf an, daß von ihrer Seite Erklärungen abgegeben
würden, die ein ersprießliches Zusammenarbeiten auf dem Boden
der demokratischen Republik in Aussicht stellen und Anerkennung
von deren staatlichen Notwendigkeit zum Ausdruck bringen.
Sie sollten den Unabhängigen nicht sehr schwer fallen. Denn
ihr ganzes parlamentarisches Tun wäre widersinnig, wenn ihm nicht
 
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