48
KARL MEWS, ESSENER GEWEHRFABRIKATION UND GEWEHRHANDEL
V. BAND
Essener Gewehrfabrikation und Gewehrhandel
Von Dr. Karl Mews, Essen (Ruhr)
Die Bedeutung der Waffe in ihrer Eigenschaft
als Handelsgegenstand zu werten, setzt
Boeheim in seinen trefflichen Ausfüh-
rungen1) der Bebauung eines unabsehbar
weiten Brachfeldes gleich. Mit spekulativem Scharf-
sinn ahnte Boeheim die hohe Bedeutung des Waffen-
handels für das gesamte wirtschaftliche und
kulturelle Leben. Ziffernmäfsig den Umfang des
Verkehrs in Waffen darzustellen, nannte Boeheim
— Unmögliches leisten. Dem ist indes nicht so.
Umfangreichen Archivstudien ist es zu danken,
Boeheims Vermutung: „In Westeuropa machen
sich verschiedene Erzeugungszentren (von Feuer-
waffen) bemerklich, deren Tätigkeit noch völlig
unbekannt ist2)“ zu rechtfertigen und dahin zu er-
gänzen, dafs die heut weitberühmte Waffenschmiede
der Welt, Essen, Jahrhunderte hindurch die Stätte
einer blühenden Gewehrindustrie und eines leb-
haften Gewehrhandels gewesen ist. Bis ins 15. Jahr-
hundert datieren die ersten Nachrichten über die
Lieferungen von Essener Büchsenschmieden an
andere Orte. Zwar sind die Essener Schmiede
in den ersten Zeiten noch abhängig von aus-
wärtigen Meistern im „Sauerlande“, von wo das
„unbereitete“, nur geschmiedete Feuerrohr be-
zogen wurde, um es dann in Essen zu „bereiden,
Stelen, dreveln, boren“. Seit 1519 aber ist das
Schmiedehandwerk selbständig, die Bereitung
auswärts geschmiedeter Gewehrläufe wird unter-
sagt. An den zahlreichen Wasserläufen in und
bei Essen werden „Gewehrmühlen“ erbaut, in
denen das meist aus der Mark bezogene Eisen
und Stahl — insbesondere das Osemund — zu
Platten geschlagen wird, die Läufe geschmiedet,
gebohrt und geschliffen werden. In der nähern
Umgebung Essens sind 18 Wasserwerke im Dienste
der Essener Gewehrfabrikation, in Jahren steigen-
der Konjunktur arbeiten sogar die Gewehrmühlen
in den benachbarten märkischen Gebieten für die
Essener Industrie, die zu reger Betätigung des
Stadt wirtschaftlichen Systems: Billigkeit für alle,
dem Produzenten sein Auskommen; dem Konsu-
menten seine Qualität, seine Menge, seinen Preis
— führt, wie die vielen Magistratsverordnungen
und Zunftprivilegien beweisen.
Bereits 1544 macht sich der Magistrat den
Gewehrhandel nutzbar, indem er auf jedes aus-
geführte Gewehr eine Akzise erhebt (— 1 Doppel-
]) Vgl. diese Zeitschrift Bd. I S. 171.
2) Vgl. diese Zeitschrift Bd. II S. 16.
haken — 1 Pfg.; 1/2 Haken, — 1 Handrohr und
kleinere Büchsen — 2 Heller; was gröfser ist als
1 Doppelhaken — 2 Pfg-). Diese Akziseaufzeich-
nungen geben sichere Auskunft über die jähr-
liche Gewehrausfuhr, deren statistische Darstellung
zeigt, wie eng die Schicksale der Gewehrindustrie
mit den jeweiligen politischen und kriegerischen
Konstellationen verknüpft sind. Durch die Ver-
pachtung der Akzise sind bis 1586 nur annähernde
Ausfuhrziffern erhalten, 1544 — etwa 2000 Stück
in der Folgezeit durchschnittlich 4000 und mehr,
bis dann 1587 die Akzise in die Verwaltung des
städtischen Rentmeisters übergeht, der jedes aus-
geführte Gewehr buchte, so dafs fortan sichere
Statistik möglich ist, der zufolge ausgeführt werden
1587
4560
Stück
1619
9546
Stück
1588
6400
1620
14500
1591
7320
1621
11996
I592
7940
1622
12622
1595
8740
1632
6300
1602
9380
1642
7400
J»
Zwischen diesen Zahlen liegt mehrfach ein Mini-
mum, das durchweg nie unter 2000 sinkt, mit einer
Ausnahme: 1629, wo 755 Stück Gewehre zur Aus-
fuhr gelangen. 1684 ist wiederum ein Maximum
von 13 500 Stück zu verzeichnen, während wir für die
Jahre nach 1689, wo die Akzise wieder in Pächter-
hand ist, annähernd auf eine hohe Jahres-
ausfuhr schliefsen können, die von 1689 — 1701
gegen 8—xoooo Gewehre beträgt, 1702 auf 13000
steigt, dann langsam zurückgeht, 1720 noch 4500
ausmacht, dann aber plötzlich einen dauernden
Tiefstand erreicht, der unter fortwährendem
Schwanken zwischen 1500—3000 Stück, wobei nur
die Jahre 1744 und 1747 eine rühmliche Ausnahme
machen, bis 1762 währt, wo der über die Essener
Industrie hereinbrechende Verfall sich in derartig
niedrigen Zahlen dokumentiert, die einer Ausfuhr
von weit
unter
1000 Stück
gleichkommen:
1776
1004
Stück
1792
1320 Stück
1779
824
>>
1795
1980
1781
750
1798
432
1786
750
1799
55° ..
H
00
00
626
1803
3 00
Zahlreich erhaltene Lieferungsverträge geben
Kunde davon, wie Essen im Niederländischen Be-
freiungskriege die Rüstkammer beider Kriegs-
parteien war. Wilhelm von Oranien und Johann
von Nassau lassen grofse Aufträge nach Essen
gelangen; für die Truppen des Prinzen von Parma,
KARL MEWS, ESSENER GEWEHRFABRIKATION UND GEWEHRHANDEL
V. BAND
Essener Gewehrfabrikation und Gewehrhandel
Von Dr. Karl Mews, Essen (Ruhr)
Die Bedeutung der Waffe in ihrer Eigenschaft
als Handelsgegenstand zu werten, setzt
Boeheim in seinen trefflichen Ausfüh-
rungen1) der Bebauung eines unabsehbar
weiten Brachfeldes gleich. Mit spekulativem Scharf-
sinn ahnte Boeheim die hohe Bedeutung des Waffen-
handels für das gesamte wirtschaftliche und
kulturelle Leben. Ziffernmäfsig den Umfang des
Verkehrs in Waffen darzustellen, nannte Boeheim
— Unmögliches leisten. Dem ist indes nicht so.
Umfangreichen Archivstudien ist es zu danken,
Boeheims Vermutung: „In Westeuropa machen
sich verschiedene Erzeugungszentren (von Feuer-
waffen) bemerklich, deren Tätigkeit noch völlig
unbekannt ist2)“ zu rechtfertigen und dahin zu er-
gänzen, dafs die heut weitberühmte Waffenschmiede
der Welt, Essen, Jahrhunderte hindurch die Stätte
einer blühenden Gewehrindustrie und eines leb-
haften Gewehrhandels gewesen ist. Bis ins 15. Jahr-
hundert datieren die ersten Nachrichten über die
Lieferungen von Essener Büchsenschmieden an
andere Orte. Zwar sind die Essener Schmiede
in den ersten Zeiten noch abhängig von aus-
wärtigen Meistern im „Sauerlande“, von wo das
„unbereitete“, nur geschmiedete Feuerrohr be-
zogen wurde, um es dann in Essen zu „bereiden,
Stelen, dreveln, boren“. Seit 1519 aber ist das
Schmiedehandwerk selbständig, die Bereitung
auswärts geschmiedeter Gewehrläufe wird unter-
sagt. An den zahlreichen Wasserläufen in und
bei Essen werden „Gewehrmühlen“ erbaut, in
denen das meist aus der Mark bezogene Eisen
und Stahl — insbesondere das Osemund — zu
Platten geschlagen wird, die Läufe geschmiedet,
gebohrt und geschliffen werden. In der nähern
Umgebung Essens sind 18 Wasserwerke im Dienste
der Essener Gewehrfabrikation, in Jahren steigen-
der Konjunktur arbeiten sogar die Gewehrmühlen
in den benachbarten märkischen Gebieten für die
Essener Industrie, die zu reger Betätigung des
Stadt wirtschaftlichen Systems: Billigkeit für alle,
dem Produzenten sein Auskommen; dem Konsu-
menten seine Qualität, seine Menge, seinen Preis
— führt, wie die vielen Magistratsverordnungen
und Zunftprivilegien beweisen.
Bereits 1544 macht sich der Magistrat den
Gewehrhandel nutzbar, indem er auf jedes aus-
geführte Gewehr eine Akzise erhebt (— 1 Doppel-
]) Vgl. diese Zeitschrift Bd. I S. 171.
2) Vgl. diese Zeitschrift Bd. II S. 16.
haken — 1 Pfg.; 1/2 Haken, — 1 Handrohr und
kleinere Büchsen — 2 Heller; was gröfser ist als
1 Doppelhaken — 2 Pfg-). Diese Akziseaufzeich-
nungen geben sichere Auskunft über die jähr-
liche Gewehrausfuhr, deren statistische Darstellung
zeigt, wie eng die Schicksale der Gewehrindustrie
mit den jeweiligen politischen und kriegerischen
Konstellationen verknüpft sind. Durch die Ver-
pachtung der Akzise sind bis 1586 nur annähernde
Ausfuhrziffern erhalten, 1544 — etwa 2000 Stück
in der Folgezeit durchschnittlich 4000 und mehr,
bis dann 1587 die Akzise in die Verwaltung des
städtischen Rentmeisters übergeht, der jedes aus-
geführte Gewehr buchte, so dafs fortan sichere
Statistik möglich ist, der zufolge ausgeführt werden
1587
4560
Stück
1619
9546
Stück
1588
6400
1620
14500
1591
7320
1621
11996
I592
7940
1622
12622
1595
8740
1632
6300
1602
9380
1642
7400
J»
Zwischen diesen Zahlen liegt mehrfach ein Mini-
mum, das durchweg nie unter 2000 sinkt, mit einer
Ausnahme: 1629, wo 755 Stück Gewehre zur Aus-
fuhr gelangen. 1684 ist wiederum ein Maximum
von 13 500 Stück zu verzeichnen, während wir für die
Jahre nach 1689, wo die Akzise wieder in Pächter-
hand ist, annähernd auf eine hohe Jahres-
ausfuhr schliefsen können, die von 1689 — 1701
gegen 8—xoooo Gewehre beträgt, 1702 auf 13000
steigt, dann langsam zurückgeht, 1720 noch 4500
ausmacht, dann aber plötzlich einen dauernden
Tiefstand erreicht, der unter fortwährendem
Schwanken zwischen 1500—3000 Stück, wobei nur
die Jahre 1744 und 1747 eine rühmliche Ausnahme
machen, bis 1762 währt, wo der über die Essener
Industrie hereinbrechende Verfall sich in derartig
niedrigen Zahlen dokumentiert, die einer Ausfuhr
von weit
unter
1000 Stück
gleichkommen:
1776
1004
Stück
1792
1320 Stück
1779
824
>>
1795
1980
1781
750
1798
432
1786
750
1799
55° ..
H
00
00
626
1803
3 00
Zahlreich erhaltene Lieferungsverträge geben
Kunde davon, wie Essen im Niederländischen Be-
freiungskriege die Rüstkammer beider Kriegs-
parteien war. Wilhelm von Oranien und Johann
von Nassau lassen grofse Aufträge nach Essen
gelangen; für die Truppen des Prinzen von Parma,