3. HEFT G. LIEBE, DIE BEWAFFNUNG LÄNDLICHER AUFGEBOTE BIS ZUM 17. JAHRHUNDERT
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Die Bewaffnung ländlicher Aufgebote bis zum 17. Jahrhundert
Von G. Liebe
Die Begründung der Kriegsverfassung auf
den Lehnsverband und die dadurch ver-
anlafste Ausbildung eines Kriegerstandes
haben frühzeitig breite Schichten des
Volkes von der Waffenehre ausgeschlossen, zum
Unheil für die politische wie militärische Entwick-
lung. War die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts
aufkeimende fürstliche Landeshoheit auch bemüht,
sich wieder mehr auf die Volkskraft in ihrer Gesamt-
heit zu stützen, so hatte sie doch nur mehr die
Mannschaft ihrer Domainen zur Verfügung, nicht
die adligen Hintersassen. Einzig in den Städten
erhielt sich der Grundsatz allgemeiner Wehrpflicht,
aber erst harte Kämpfe konnten sie geneigt machen,
diese in den Dienst des Territorialherrn zu stellen.
Bei der ländlichen Bevölkerung mufste sich infolge
des mangelnden Kriegsdienstes eine Rückständig-
keit der Bewaffnung einstellen, die sie wiederum
als untauglich erscheinen liefs.
Es ist leicht verständlich, dafs die historische
Waffenkunde vorzugsweise den Waffen der Berufs-
krieger ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat, schon
weil sie weit überwieg-end erhalten sind. Die
bäuerlichen Waffen sind immer zum Teil für den
Notfall hergerichtete gewesen, wie es Defreggers
erschütterndes Bild „das letzte Aufgebot“ darstellt.
Das gilt vor allem von den Stangenwaffen, deren
Entstehung darum vielfach so unklar wie ihre Ent-
wicklung willkürlich ist. Eine Grundlage schaffen
kann vorläufig nur eine Zusammenstellung der
zerstreuten Nachrichten, wobei ich vorzugsweise
die mir näher bekannten sächsisch-thüringischen
Lande berücksichtige.
Die letzten Reichsgesetze, welche den all-
gemeinen Heerbann aller Freien voraussetzen, die
Kapitularien Karls des Grofsen schreiben als Be-
waffnung Schild, Lanze und Bogen vor, bei den
Reitern aufserdem Schwert und Halbschwert;
Helm und Panzer (lorica) werden nur von den
Dienstmannen der Grofsen, ein Brustharnisch erst
von dem Besitz von 12 Hufen verlangt (brunea)1).
Schon erscheint hier das Verbot rückständiger
Bewaffnung: Quod nullus in hoste baculum habeat
sed arcum, offenbar als Mindestmafs2). Am natür-
lichsten ist es, dabei mit Waitz an einen Keulen-
stock zu denken; wie er nach dem Mönch von
St. Gallen auch von Vornehmen damals getragen
h Waitz, Verfassungsgeschichte IV, 541.
2) Cap. Aquisgran. c. 17, 813.
wurde, und Lindenschmit hat ansprechend darauf
hingewiesen, wie sich diese Sitte beim rheinischen
Landvolk bis in die neuere Zeit erhalten hat3).
Dagegen will Brunner in baculus, fustis, wie er
einzig bei den Saliern als Waffe für den Zweikampf
vorgeschrieben wird, eine scharfe Hiebwaffe sehen,
und Rübel ist ihm entschieden beigetreten4). Die
in den abgeleiteten normannischen Rechten als
baculus cornutus bezeichnete Waffe soll ein Beil
mit einer Spitze vorstellen. Allein eine solche
Waffe ist nirgends erhalten und Brunner kann
nur eine englische Abbildung aus dem 11. Jahr-
hundert anführen. Die von ihm angezogene, oft
bipennis genannte Nationalwaffe Franciska war
ein Wurfbeil mit kurzem Stiel, dagegen mufsfustis —
die von Brunner bemerkte Vieldeutigkeit des Aus-
drucks zugegeben — jedenfalls als eine langstielige
Waffe wie die davon benannte Helmbarte gedacht
werden. Nun ist aber die Verstärkung keulen-
artiger Waffen durch Metallbeschlag oder durch
Besetzen mit steinernen oder metallenen Zacken
früh bezeugt — die Urform des Morgensterns.
Jähns bringt in dem ausgezeichneten Werke, das
den Evolutionsgedanken in der Waffenkunde so
glänzend durchführt, Abbildungen von ehernen
Stachelköpfen schon aus frühgermanischer Zeit,
die auf Holzstäbe gestülpt werden konnten5). Die
einfache Keule durch solche Mittel gefährlicher
zu machen, erscheint sehr natürlich und die Be-
zeichnung baculus cornutus ganz charakteristisch.
Jähns erwähnt auch den Reichtum der vlämischen
Sprache an Namen für keulenartige Schlagwaffen.
Was noch spät als Notwaffe der niedern Stände
erscheint, war Karl der Grofse in seinen strengen
organisatorischen Mafsregeln schon zu beseitigen
bemüht, in der Erkenntnis, dafs für den Schlecht-
gerüsteten eine Fernwaffe geeigneter sei.
Der Druck der von dem grofsen Kaiser fest-
gelegten Aufgebotspflichten trieb seit dem 7. Jahr-
hundert die Freien dazu, sich ihnen durch Schutz-
verhältnisse zu entziehen, und der Heeresdienst
wurde Aufgabe einer von den bisherigen Standes-
3) Mon. Sang. I, 34 Tune baculus de arbore malo nodis
paribus admirabilis, rigidus et terribilis cuspide manuali ex
auro vel argento cum caelaturis insignibus praefixo portabatur
in dextra; L. Handbuch der deutschen Altertumskunde.
4) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 417; R ü b e 1,
Fränkisches und spätrömisches Kriegswesen (Bonner Jahr-
bücher 1906, S. 136).
5) Entwicklungsgeschichte der Trutzwaffen, 1899.
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Die Bewaffnung ländlicher Aufgebote bis zum 17. Jahrhundert
Von G. Liebe
Die Begründung der Kriegsverfassung auf
den Lehnsverband und die dadurch ver-
anlafste Ausbildung eines Kriegerstandes
haben frühzeitig breite Schichten des
Volkes von der Waffenehre ausgeschlossen, zum
Unheil für die politische wie militärische Entwick-
lung. War die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts
aufkeimende fürstliche Landeshoheit auch bemüht,
sich wieder mehr auf die Volkskraft in ihrer Gesamt-
heit zu stützen, so hatte sie doch nur mehr die
Mannschaft ihrer Domainen zur Verfügung, nicht
die adligen Hintersassen. Einzig in den Städten
erhielt sich der Grundsatz allgemeiner Wehrpflicht,
aber erst harte Kämpfe konnten sie geneigt machen,
diese in den Dienst des Territorialherrn zu stellen.
Bei der ländlichen Bevölkerung mufste sich infolge
des mangelnden Kriegsdienstes eine Rückständig-
keit der Bewaffnung einstellen, die sie wiederum
als untauglich erscheinen liefs.
Es ist leicht verständlich, dafs die historische
Waffenkunde vorzugsweise den Waffen der Berufs-
krieger ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat, schon
weil sie weit überwieg-end erhalten sind. Die
bäuerlichen Waffen sind immer zum Teil für den
Notfall hergerichtete gewesen, wie es Defreggers
erschütterndes Bild „das letzte Aufgebot“ darstellt.
Das gilt vor allem von den Stangenwaffen, deren
Entstehung darum vielfach so unklar wie ihre Ent-
wicklung willkürlich ist. Eine Grundlage schaffen
kann vorläufig nur eine Zusammenstellung der
zerstreuten Nachrichten, wobei ich vorzugsweise
die mir näher bekannten sächsisch-thüringischen
Lande berücksichtige.
Die letzten Reichsgesetze, welche den all-
gemeinen Heerbann aller Freien voraussetzen, die
Kapitularien Karls des Grofsen schreiben als Be-
waffnung Schild, Lanze und Bogen vor, bei den
Reitern aufserdem Schwert und Halbschwert;
Helm und Panzer (lorica) werden nur von den
Dienstmannen der Grofsen, ein Brustharnisch erst
von dem Besitz von 12 Hufen verlangt (brunea)1).
Schon erscheint hier das Verbot rückständiger
Bewaffnung: Quod nullus in hoste baculum habeat
sed arcum, offenbar als Mindestmafs2). Am natür-
lichsten ist es, dabei mit Waitz an einen Keulen-
stock zu denken; wie er nach dem Mönch von
St. Gallen auch von Vornehmen damals getragen
h Waitz, Verfassungsgeschichte IV, 541.
2) Cap. Aquisgran. c. 17, 813.
wurde, und Lindenschmit hat ansprechend darauf
hingewiesen, wie sich diese Sitte beim rheinischen
Landvolk bis in die neuere Zeit erhalten hat3).
Dagegen will Brunner in baculus, fustis, wie er
einzig bei den Saliern als Waffe für den Zweikampf
vorgeschrieben wird, eine scharfe Hiebwaffe sehen,
und Rübel ist ihm entschieden beigetreten4). Die
in den abgeleiteten normannischen Rechten als
baculus cornutus bezeichnete Waffe soll ein Beil
mit einer Spitze vorstellen. Allein eine solche
Waffe ist nirgends erhalten und Brunner kann
nur eine englische Abbildung aus dem 11. Jahr-
hundert anführen. Die von ihm angezogene, oft
bipennis genannte Nationalwaffe Franciska war
ein Wurfbeil mit kurzem Stiel, dagegen mufsfustis —
die von Brunner bemerkte Vieldeutigkeit des Aus-
drucks zugegeben — jedenfalls als eine langstielige
Waffe wie die davon benannte Helmbarte gedacht
werden. Nun ist aber die Verstärkung keulen-
artiger Waffen durch Metallbeschlag oder durch
Besetzen mit steinernen oder metallenen Zacken
früh bezeugt — die Urform des Morgensterns.
Jähns bringt in dem ausgezeichneten Werke, das
den Evolutionsgedanken in der Waffenkunde so
glänzend durchführt, Abbildungen von ehernen
Stachelköpfen schon aus frühgermanischer Zeit,
die auf Holzstäbe gestülpt werden konnten5). Die
einfache Keule durch solche Mittel gefährlicher
zu machen, erscheint sehr natürlich und die Be-
zeichnung baculus cornutus ganz charakteristisch.
Jähns erwähnt auch den Reichtum der vlämischen
Sprache an Namen für keulenartige Schlagwaffen.
Was noch spät als Notwaffe der niedern Stände
erscheint, war Karl der Grofse in seinen strengen
organisatorischen Mafsregeln schon zu beseitigen
bemüht, in der Erkenntnis, dafs für den Schlecht-
gerüsteten eine Fernwaffe geeigneter sei.
Der Druck der von dem grofsen Kaiser fest-
gelegten Aufgebotspflichten trieb seit dem 7. Jahr-
hundert die Freien dazu, sich ihnen durch Schutz-
verhältnisse zu entziehen, und der Heeresdienst
wurde Aufgabe einer von den bisherigen Standes-
3) Mon. Sang. I, 34 Tune baculus de arbore malo nodis
paribus admirabilis, rigidus et terribilis cuspide manuali ex
auro vel argento cum caelaturis insignibus praefixo portabatur
in dextra; L. Handbuch der deutschen Altertumskunde.
4) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 417; R ü b e 1,
Fränkisches und spätrömisches Kriegswesen (Bonner Jahr-
bücher 1906, S. 136).
5) Entwicklungsgeschichte der Trutzwaffen, 1899.
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