R. FORRER, NEUES STUDIENMATERIAL ZUR MITTELALTERLICHEN BEWAFFNUNG V. BAND
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den alten Schriftstellern für unsere Vorfahren
hervorgehoben und in modernen Reiseschrift-
stellern für exotische Völkerschaften vielfach be-
zeugt. Und gerade auch für die abschreckende
Wirkung, welche das Feuerspeien unserer Feuer-
waffen bei Völkern niedriger Stufen hervorruft,
bieten die modernen wie die älteren Entdeckungs-
reisen mannigfache Beispiele.
Dies Machtmittel mufste seine abschreckende
Kraft freilich allmählich verlieren, je stärker sich
die Anwendung der Feuerwaffen mehrte, je mehr
man auf der Geg-enseite gleiche Waffen kennen
lernte und zur Anwendung brachte, und je mehr
die Vervollkommnung derselben vorwärts schritt,
d. h. je gröfser die Distanzen wurden, auf die man
sich mit den Feuerwaffen bekämpfte.
Wie das Feuer, so müssen wir aber auch den
Knall bei den ersten Feuerwaffen als einen
Faktor betrachten, den die Feuerschützen des
Mittelalters in Rechnung stellten. Auch das war
eine unserem mittelalterlichen Schlachtgetümmel
(nicht aber den Byzantinern) bisher fremde Er-
scheinung, die den Gegner ängstigen mufste und
in die Flucht zu treiben geeignet war. Es ist
dasselbe Schreckmittel durch den auf das Ohr
und durch dieses auf die übrigen Sinne einwir-
kenden Schall, das ältere Völker durch Zu-
sammenschlagen der Schilde und Waffen, durch
Schlagen grofser Kriegstrommeln und durch
Kampfgeheul, die Juden beim Überfall der Phi-
lister durch Mitbringen und Zerschlagen von
vielen Tongefäfsen und durch die Trompeten von
Jericho hervorriefen. Und diese Wirkung mufste
wiederum in der Frühzeit der Feuerwaffen eine
besonders intensive sein, weil die Kanonen und
Gewehre aus grofser Nähe abgefeuert wurden.
Aber auch hier verlor sich die demoralisierende
Wirkung auf den Feind immer mehr, je weiter-
tragend die Feuergeschütze und damit die Feuer-
distanzen und je häufiger die Feuerwaffen über-
haupt wurden, d. h. die Mannschaften sich an
den Donner der Geschütze als zur Schlacht ge-
hörig gewöhnten.
Auch heute noch bringen Rauch und Pulver-
dampf, das Feuer und der Donner der Geschütze
den Kampfungewohnten in Bangen, aber es sind
keine Faktoren mehr, mit denen der Schütze den
Feind zu schrecken versucht, mit denen als Schreck-
mittel gerechnet wird. Dafs das im Mittelalter
bei den ersten Feuerwaffen des 14. und 15. Jahr-
hunderts anders war, wollte ich durch die obigen
Zeilen hervorheben.
Der Turnierteppich im Museum zu Valenciennes
Von Oberst von Kretschmar
Bei Gelegenheit der Vorarbeiten für einen
heraldischen Vortrag hatte ich Veranlas-
sung mich mit einem Wandteppich zu
beschäftigen, der sich im Museum zu
Valenciennes befindet und nach Ansicht von
Müntz und anderen1) eine flandrische Arbeit aus
dem Ende des 15. Jahrhunderts ist.
Er ist 4,70 m zu 5,60 m grofs und stellt im
Mittelfeld ein Turnier dar, während die etwa
59 cm breite Kante mit 20 vortrefflich gezeich-
neten Wappen geschmückt ist, von denen die
oberen zwölf die einzelnen Felder des Wappens
des Kurfürstentums Sachsen von 1477 bis 1538
darstellen, während die übrigen acht Wappen
solche von Herrschaften etc. sind, die zwischen
1490 und 151° im Besitze der Kurfürsten waren.
Die Zusammenstellung dieser Wappen, sowie
die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse der durch
*) Guiffrey, Müntz et Pinchard, Histoire g^ndrale
de la Tapisserie Bd. 3, S. 40.
sie dargestellten Länder, Ämter und Besitzungen
führte auf den Kurfürsten Friedrich den Weisen
(i486 bis 1525), und die Darstellung des Turniers
unter Berücksichtigung der als Zuschauer auf
einer Tribüne dargestellten Personen berechtigen
zu der Annahme, dafs der Teppich von diesem
Kurfürsten gelegentlich seiner Anwesenheit in
Flandern im Jahre 1494 in Antwerpen bestellt
wurde und als Geschenk für seinen Oheim, den
Fierzog Albrecht den Beherzten bestimmt war,
zur Erinnerung an dessen Tätigkeit in den Nieder-
landen, als deren Statthalter und als Vormund
des Herzogs Philipp des Schönen, des Sohnes
Kaiser Maximilians und Erben der Länder seiner
frühverstorbenen Mutter, der Herzogin Maria von
Burgund. Darauf führt auch die Art des Turniers,
das nach dem Tagebuch eines Begleiters des
Kurfürsten FViedrich am 19. und 20. Oktober 1494
nach der Landessitte gehalten werden sollte: „also
dass geschehen sollt ein Rennen mit den Spiessen,
darnach zu den Swerten zu greifen und einander
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den alten Schriftstellern für unsere Vorfahren
hervorgehoben und in modernen Reiseschrift-
stellern für exotische Völkerschaften vielfach be-
zeugt. Und gerade auch für die abschreckende
Wirkung, welche das Feuerspeien unserer Feuer-
waffen bei Völkern niedriger Stufen hervorruft,
bieten die modernen wie die älteren Entdeckungs-
reisen mannigfache Beispiele.
Dies Machtmittel mufste seine abschreckende
Kraft freilich allmählich verlieren, je stärker sich
die Anwendung der Feuerwaffen mehrte, je mehr
man auf der Geg-enseite gleiche Waffen kennen
lernte und zur Anwendung brachte, und je mehr
die Vervollkommnung derselben vorwärts schritt,
d. h. je gröfser die Distanzen wurden, auf die man
sich mit den Feuerwaffen bekämpfte.
Wie das Feuer, so müssen wir aber auch den
Knall bei den ersten Feuerwaffen als einen
Faktor betrachten, den die Feuerschützen des
Mittelalters in Rechnung stellten. Auch das war
eine unserem mittelalterlichen Schlachtgetümmel
(nicht aber den Byzantinern) bisher fremde Er-
scheinung, die den Gegner ängstigen mufste und
in die Flucht zu treiben geeignet war. Es ist
dasselbe Schreckmittel durch den auf das Ohr
und durch dieses auf die übrigen Sinne einwir-
kenden Schall, das ältere Völker durch Zu-
sammenschlagen der Schilde und Waffen, durch
Schlagen grofser Kriegstrommeln und durch
Kampfgeheul, die Juden beim Überfall der Phi-
lister durch Mitbringen und Zerschlagen von
vielen Tongefäfsen und durch die Trompeten von
Jericho hervorriefen. Und diese Wirkung mufste
wiederum in der Frühzeit der Feuerwaffen eine
besonders intensive sein, weil die Kanonen und
Gewehre aus grofser Nähe abgefeuert wurden.
Aber auch hier verlor sich die demoralisierende
Wirkung auf den Feind immer mehr, je weiter-
tragend die Feuergeschütze und damit die Feuer-
distanzen und je häufiger die Feuerwaffen über-
haupt wurden, d. h. die Mannschaften sich an
den Donner der Geschütze als zur Schlacht ge-
hörig gewöhnten.
Auch heute noch bringen Rauch und Pulver-
dampf, das Feuer und der Donner der Geschütze
den Kampfungewohnten in Bangen, aber es sind
keine Faktoren mehr, mit denen der Schütze den
Feind zu schrecken versucht, mit denen als Schreck-
mittel gerechnet wird. Dafs das im Mittelalter
bei den ersten Feuerwaffen des 14. und 15. Jahr-
hunderts anders war, wollte ich durch die obigen
Zeilen hervorheben.
Der Turnierteppich im Museum zu Valenciennes
Von Oberst von Kretschmar
Bei Gelegenheit der Vorarbeiten für einen
heraldischen Vortrag hatte ich Veranlas-
sung mich mit einem Wandteppich zu
beschäftigen, der sich im Museum zu
Valenciennes befindet und nach Ansicht von
Müntz und anderen1) eine flandrische Arbeit aus
dem Ende des 15. Jahrhunderts ist.
Er ist 4,70 m zu 5,60 m grofs und stellt im
Mittelfeld ein Turnier dar, während die etwa
59 cm breite Kante mit 20 vortrefflich gezeich-
neten Wappen geschmückt ist, von denen die
oberen zwölf die einzelnen Felder des Wappens
des Kurfürstentums Sachsen von 1477 bis 1538
darstellen, während die übrigen acht Wappen
solche von Herrschaften etc. sind, die zwischen
1490 und 151° im Besitze der Kurfürsten waren.
Die Zusammenstellung dieser Wappen, sowie
die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse der durch
*) Guiffrey, Müntz et Pinchard, Histoire g^ndrale
de la Tapisserie Bd. 3, S. 40.
sie dargestellten Länder, Ämter und Besitzungen
führte auf den Kurfürsten Friedrich den Weisen
(i486 bis 1525), und die Darstellung des Turniers
unter Berücksichtigung der als Zuschauer auf
einer Tribüne dargestellten Personen berechtigen
zu der Annahme, dafs der Teppich von diesem
Kurfürsten gelegentlich seiner Anwesenheit in
Flandern im Jahre 1494 in Antwerpen bestellt
wurde und als Geschenk für seinen Oheim, den
Fierzog Albrecht den Beherzten bestimmt war,
zur Erinnerung an dessen Tätigkeit in den Nieder-
landen, als deren Statthalter und als Vormund
des Herzogs Philipp des Schönen, des Sohnes
Kaiser Maximilians und Erben der Länder seiner
frühverstorbenen Mutter, der Herzogin Maria von
Burgund. Darauf führt auch die Art des Turniers,
das nach dem Tagebuch eines Begleiters des
Kurfürsten FViedrich am 19. und 20. Oktober 1494
nach der Landessitte gehalten werden sollte: „also
dass geschehen sollt ein Rennen mit den Spiessen,
darnach zu den Swerten zu greifen und einander