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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 5.1909-1911

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6. Heft
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Forrer, Robert: Neues Studienmaterial zur mittelalterlichen Bewaffnung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.39947#0185

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6. HEFT R. FORRER, NEUES STUDIENMATERIAL ZUR MITTELALTERLICHEN BEWAFFNUNG

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Andeutungen geben, welche darauf abzielen, das
Gesagte zu verdeutlichen, nicht nach der Seite
der von verschiedenen Autoren auch an dieser
Stelle schon oft erörterten Schufsweite, Treff-
sicherheit und Schufswirkung des Projektils,
sondern blofs nach der Seite der Schall- und
F euerwirkung.
Wenn wir eine Kanone, ein Feuergewehr
oder auch nur einen Revolver abschiefsen, ge-
wahren unsere Sinne einen Feuerstrahl und
einen Knall, ersterer begleitet von Rauchent-
wicklung und von, dem Geruchsinn fühlbarem,
„Pulverdampf“, der Knall begleitet vom Sausen
des Geschosses.
Alle diese Begleiterscheinungen des Scharf-
schusses sind im Kriege von heute dem Feld-
herrn lästige Nebenerscheinungen, wenigstens
soweit sie beim eigenen Heer auftreten. Sie
sind geeignet, die wohlverdeckten Stellungen dem
Feind zu offenbaren und man hat deshalb be-
sonders die Rauchwirkung abzuschwächen ver-
sucht, „rauchschwaches“ und „rauchloses
Pulver“ eingeführt. Die anderen genannten
Begleiterscheinungen sind weniger leicht ab-
zuschwächen oder zu beseitigen, teils auch von
weniger einschneidender Bedeutung im modernen
Krieg. Dafs man aber auch sie gerne missen
möchte, beweisen die Versuche der allerneuesten
Zeit, welche darauf abzielen, den Gewehrknall zu
dämpfen bezw. zu beseitigen.
Aber ich glaube, dafs diese uns heute lästi-
gen Begleiterscheinungen in den Zeiten der
Anfänge der Schufswaffen als nicht un-
wesentliche Mithelfer im Str eit, als willkom-
mene Kampfgenossen aufgefafst wurden,
d. h. dafs man ihre Wirkung auf den Feind
nicht wenig einschätzte.
Am wenigsten kam in dieser Hinsicht in Be-
tracht diejenige Erscheinung, welche dem heutigen
Taktiker am lästigsten erscheint, die Rauch-
entwicklung. Der moderne Krieg sucht diese
einzuschränken, weil sie dem Feind die Stellung
des Schützen verrät. Dieser Grund gilt heute,
weil unsere Schufswaffen so ungemein weit tragen,
und daher das Feuergefecht oft schon auf so
grofse Entfernungen eröffnet wird, dafs das feind-
liche Auge den zudem noch möglichst gedeckt
liegenden Schützen kaum erspähen könnte, wenn
nicht der aufsteigende Rauch die Stellung des
Schützen verriete. Aber für die Anfangs-
stadien des Geschützwesens galt dieser Grund
nicht, weil man sich da selbst mit den besten
Schufswaffen jener Zeit doch nach heutigen Be-
griffen nur überaus nahe gegenüberstand. Das
treffendste Beispiel bietet die Nachricht über die
Gefechtsanweisung desRitters H ugues de Cardilhac

vom Jahre 1347, wo dieser für die Besatzung
seiner Burg Bioule vorschreibt, dafs beim Ansturm
des Feindes zuerst die grofsen Armbrüste, dann
die Schleudern und dann erst die Kanonen ab-
geschossen werden sollten. Der Feind kam also
dem Schützen so nahe, dafs er diesen oder zum
mindestens dessen Feuer mit Leichtigkeit sehen
konnte und also der Rauch als Verräter der
Schützenstellung nicht ins Gewicht fiel. Weit
eher war der Rauch dem Schützen selbst lästig,
da er diesen am Ausblick auf die feindliche
Stellung hinderte.
Umgekehrt stand es mit dem, dem Feuerrohr
entfahrenden Feuerstrahl. Für den modernen
Schützen fällt er bei der grofsen Entfernung vom
Feind und bei der starken Deckung, die man
heute sucht, als Verräter der Stellung ungleich
viel weniger in Betracht, und den so weit ab-
liegenden Feind schreckt der Feuerstrahl selbst
gar nicht. Aber in der Kinderzeit der Feuer-
waffen- stand man sich mit den Feuerwaffen so
nahe gegenüber, dafs die Wirkung des Feuer-
strahles mehr ins Gewicht fiel, ja geeignet war,
auf den Feind demoralisierend zu wirken: Man
darf nicht vergessen, dafs im 14. und selbst
noch zu einem grofsen Teil im 15. Jahrhundert
jede Schlacht ein Nahkampf, Mann gegen Mann
war und das Feuer als solches bisher bei
dieser Kampfweise, wenn wir von dem der
Byzantiner absehen, keines der üblichen Kampf-
mittel gewesen war. Nun traten plötzlich in
nächster Nähe dem Feinde Kämpfer entgegen,
deren Waffen „Feuer spieen“. Allein das schon
hatte für den daran noch nicht gewöhnten
eine beängstigende Wirkung, genau so, wie
wir einem uns entgegengeschleuderten bren-
nenden Streichholz, einer Fackel oder der-
gleichen ausweichen, genau so, wie der wilde
Tiger vor dem Neger mit Feuerbrand in der
Hand zurückweicht und wie die Kriegselefanten
ITannibals vor den Feuerbränden der Römer in
Schrecken gerieten. Das Feuer allein war also
schon ein wesentlicher Machtfaktor, ein Schreck-
mittel, und gerade die Schreckmittel sind ja zu
allen Zeiten ein nicht unwesentlicher Kampf-
faktor gewesen; ich erinnere an die Gesichts-
und Körperbemalung der vorrömischen und exo-
tischer Krieger, an die Fr atzen visiere und die
Helme in Tierkopfform, womit das Auge des
Gegners geschreckt werden sollte, während
Schlachtgesang und Schlachtgebrüll, Waffen-
und Schildschlagen auf das Ohr einzuwirken be-
stimmt waren.
Das Bauen auf dergleichen Schreckmittel
finden wir je häufiger, je tiefer noch die Stufe der
Waffen Vervollkommnung ist. Wir finden sie bei
 
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