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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 5.1909-1911

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2. Heft
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Feldhaus, Franz Maria: Griechisch-römische Geschütze
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https://doi.org/10.11588/diglit.39947#0074

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54

FRANZ M. FELDHAUS, GRIECHISCH-RÖMISCHE GESCHÜTZE

V. BAND

ihre frühere Stellung zurück, reifsen die Arme
samt der Sehne nach vorn, bis die Arme mit
ihren äufseren Enden auf das Widerlager der
Aufsenständer aufschlagen und in diesem Momente
verläfst das Geschofs seine Laufbahn.


Abb. 3. Palintonon für Pfeile.

Nach diesem Prinzip hat Major Schramm
zwei verschiedene Geschütze erbaut, den Angaben
und Mafsen der griechischen Techniker Heron
und Philon folgend (dem dritten Jahrhundert
v. Chr. und dem zweiten Jahrhundert n. Chr.1) an-
gehörend) und mit Benutzung desVitruv, der ums
Jahr 24 v. Chr. schrieb. Hierbei ergab sich nun
eine Schwierigkeit. Die alten Techniker unter-
scheiden nämlich zwei Geschützarten, die sie
Euthytonon und Palintonon nennen, ohne den
Unterschied irgendwie zu erläutern, der also dem
Griechen ohne weiteres aus dem blofsen Namen
klar sein mufste. Für uns freilich, die wir Griechisch
erst lernen müssen, gilt das nicht, und so haben
denn die neueren Techniker diese Ausdrücke,
jeder nach seiner Weise, verschieden gedeutet.
Der Italiener Marini meint, beim Euthytonon seien
die Spannerven ohne besondere Hilfsmittel ein-
gezogen, beim Palintonon aber nach der ersten
Bespannung nochmals (mit dem Flaschenzuge)
nachgespannt, eine Erklärung, die grammatisch
richtig, aber technisch unwahrscheinlich ist und
dem Autor selber nicht recht gefallen wollte.
Köchly und Rüstow, die seit mehr als fünfzig Jahren
für die antike Artillerie als einzige Autoritäten
galten, übersetzten Euthytonon mit„Geradspanner“
undPalintonon mit„Winkelspanner“; sie behaupten,
die Bogenarme und Sehne ständen beim Euthytonon
rechtwinklig zu den Spannervenbündeln, beim
Palintonon aber dazu in einem Winkel von 45 °.
Hiergegen erhebt der Major Schramm mit folgen-
* den Worten Einspruch: „Die Bewegungsebene
der Bogensehne, also auch die der Bogenarme
’) Der Streit über die Lebzeit des Herrn ist noch
immer nicht geschlichtet. Man schwankt zwischen 150 vor
und 150 nach Christus.

mufs unbedingt rechtwinklig zu den Achsen der
Spannervenbündel liegen. Jede Verdrückung aus
dieser Ebene ergibt eine Einbufse an Kraft. Eine
Schrägstellung der Arme bis zu 450 ist ganz un-
möglich, wie durch den allereinfachsten Versuch
ohne weiteres nachzuweisen ist.“ Und man mufs
sich in der Tat wundern, dafs die Offiziere Rüstow
und Deimling diesen technischen Fehler nicht
gesehen haben, der auch einem Laien sofort
bemerkbar ist. Schramm bezieht deshalb die beiden
Namen auf die verschiedene Richtung: „das Euty-
tonon ist ein geradeaus, also direkt richtendes
Geschütz; das Palintonon stand hinter einer
Deckung zurückgezogen oder schofs gegen Ziele,
die hinter einer Deckung standen. Die beiden
Geschützarten würden also unseren heutigen
Flachbahn- und Steilfeuergeschützen entsprechen.“
(Abb. 1 links, Abb. 2.)
Aus der Abbildung 2 wird der Leser die
Einzelheiten der Konstruktion ohne Mühe er-
kennen; die Befestigung der Spannbolzen, über
die das Spannervenbündel gezogen ist; die
Ständer des Geschützkastens, die dem Anprall
der Arme als Widerlager dienen; die Laufbahn
des Geschosses, die auf ihrer festen Unterlage
mit der Sehne rückwärts und vorwärts sich be-
wegt; die Winde und Welle, welche Sehne und
Arme gewaltsam zurückzieht; die Klaue, die
während des Visierens das Geschütz in Spannung
hält; den Drücker, die beiden Sehnenarten, die
Form der Geschosse — kurz alles, was zum Ver-
ständnisse des Baues und der Bedienung der
antiken Geschütze erfordert wird und auch ohne
fachmännische Kenntnisse verständlich ist. Fügen
wir nun noch die glänzenden Schiefsresultate


der Geschütze des Major Schramm hinzu, so
werden wir ihm mit vollem Herzen Dank zollen,
da er zuerst die erstaunlichen Leistungen der
antiken Artillerie uns vor Augen geführt hat.
Das Dunkel, das bisher diesen höchst wichtigen
Teil der antiken Kriegskunde umhüllte, ist ver-
trieben, die Wahngebilde von Köchly und Rüstow
 
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