Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 5.1909-1911

DOI Heft:
3. Heft
DOI Artikel:
Forrer, Robert: Die frühgotischen Dolchstreitkolben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39947#0101

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3. HEFT

R. FORRER, DIE FRÜHGOTISCHEN DOLCHSTREITKOLBEN

81

das Gemälde Nr. 112 des Germanischen National-
museums aufmerksam, auf welchem die Gefangen-
nahme Christi dargestellt ist, darauf ein Lands-
knecht in Beckenhaube, welcher als Stangen-
waffe eine Stange führt, auf deren Spitze eine
Hand steckt, welche genau wie mein Original


Abb. 3. Wiedergabe des Oberteils eines Stangen - Dolch-
streitkolbens von einem gotischen Gemälde im Germanischen
Museum zu Nürnberg (nach Rathgen).
einen Dolch in der Faust hält. Das Gemälde
wird Dierick Bouts zugeschrieben (gest. 1475), ist
also niederrheinisch und verweist uns in das dritte
Viertel des 15. Jahrhunderts (vgl. Abb. 3)®).

«) Dies Bild ist beiläufig auch noch in manch anderer
Beziehung waffengeschichtlich von Interesse. Es zeigt uns
in der Hand des links vorn Christus festhaltenden Wächters
mit Turban eine der im Original so seltenen Fufsstreit-
äxte des 15. Jahrhunderts, charakterisiert durch breite Beil-
klinge und vielgezackte Hammerschlagseite, nach oben zur
Stofsspitze ausgebildet, die ganze Waffe von 3/4 Mannes-
länge; die Verbindung von Hammer- und Beilklinge wird
durch ein Schildchen mit dem Wappen des Trägers ver-
mittelt; als Schutz des Holzschaftes dienen eine runde Eisen-
scheibe und allseitig Eisenschienen, die den unten profiliert
verzierten Schaft bis auf ]/3 der Länge decken (vgl. Abb. 4).
Eine ähnliche Streitaxt ist hinten als Stangen waffe sicht-
bar. Daneben sieht man zwei Gläfen mit Scheibenschutz
und eine breitklingige Lanze mit Querknebel. Beachtenswert
sind ferner das schöne gotische Coutelas des Dieners, der
Pilatus die Schüssel hält, in welcher er „seine Hände in
Unschuld wäscht“, die schöne gotische Rüstung des
einen der beiden ritterlichen Wächter Christi und die aparte
Form der Kniescheibe des andern dieser Wächter; ganz
besonders aber sind die Helme mit Zierknöpfen be-
achtenswert, die in der gotischen Bewaffnung nicht Vor-
kommen, dagegen ganz genau während der älteren
römischen Republikzeit üblich waren und ersichtlich
auf ausgegrabene frührömische Bronzehelme in
der Art von Fig. 4, Taf. 88 meines „Reallexikons“
(Helm von Paestum) kopiert sind. Es ist das wieder
ein interessantes Beipiel der von mir auch hier schon mehr-
fach angedeuteten Vorboten derRenaissance, die antike
Motive, in diesem Falle einen ausgegrabenen antiken Helm,
als Vorbild nimmt, um Gestalten des Altertums als solche
besser zu kennzeichnen.

Auch auf einem andern Gemälde der nieder-
rheinischen Schule, dieses im Kölner Wallraf-
Richartz-Museum, fand General Rath gen die
gleiche Waffe als Stangenwaffe abgebildet, auch
diese in eine Hand endigend, welche in der
Faust einen vierkantigen Dolch zum Stofse aus-
holend trägt. Auch dieses Gemälde gehört der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an. Es wird
dem Meister der Lyversberger Passion zuge-
schrieben (Nr. 88 des Museums) und ist in den
Details so genau, dafs sogar auf den Messern,
deren sich die Jünger Christi beim Abendmahl
bedienen, die Messerschmiedsmarken aufgemalt
und zu erkennen sind.
Nach Ausweis dieser beiden Gemälde wären
also diese Dolchstreit kolben des Mittelalters speziell
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eigen,
aber ich glaube, sie im allgemeinen schon etwas
früher ansetzen zu dürfen, d. h. nehme an, dafs
die Maler vom Ende des 15. Jahrhunderts jene
Waffen zumeist gerade deswegen angebracht
haben, weil dieselben zu ihrer Zeit schon alter-
tümlich geworden waren. Man tat das, um die
dargestellten Kriegsleute umso eher als „Römer“,
als „Soldaten des Altertums“ kenntlich zu machen,
gerade so, wie auch Dürer noch gerne antike
Krieger mit Bacinethelmen darstellte, obwohl
oder eben weil solche zu seiner Zeit nicht mehr
üblich waren.


Abb. 4.

Auffallen mufs, dafs die „Dolchhände“ der
oben erwähnten beiden spätgotischen Gemälde
auf lange Stangen als Stangen waffen geschäftet
sind, während die Originale, wie das meine, hier
in Abb. 1 und 2 abgebildete, und alle andern, die ich
sonst zu sehen Gelegenheit hatte, dafür zu klein
und zu leicht sind.
 
Annotationen