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Dehio, Georg
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler (Band 1): Mitteldeutschland — Berlin, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.11052#0115

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Frei

— 98 —

Frei

noch arm, die gotischen schon wieder überlastet. — Der Sach-
inhalt gibt einen verkürzten, auch im räumlichen Sinne sehr ge-
drängten, Auszug aus dem Programm gleichzeitiger französischer
Marienkirchen, an denen die Bildhauer meistens drei Portale neben-
einander zur Verfügung hatten. Im Mittelpunkt der ganzen Kompo-
sition steht das Türbogenfeld mit der Anbetung der drei Könige —
Mariens höchster Ehrentag im irdischen Stande. Darüber, in der
ersten Archivolte, ihre Krönung im Himmel; von ihr, wie von
Christus, werden nur Kopf und Schultern sichtbar; in ganzer Figur
die Engel. Die übrigen drei Archivolten tragen Bestandteile des
jüngsten Gerichts; die äußerste die Auferstehung des Fleisches, die
mittleren Apostel, Evangelisten, Abraham, der die Seelen in Empfang
nimmt, die Taube des H. Geistes. Unter den Gestalten am Ge-
wände erkennt man sicher links Daniel, die Königin von Saba,
Salomo, Johannes d. T., rechts Aaron und David; die beiden an-
dern ungewiß. — Der Freiberger Meister geht dem Wechselburger
parallel und ist wie dieser aus der mittelsächsischen Schule hervor-
gegangen, deren Zentren bis dahin Halberstadt und Magdeburg
gewesen waren; außerdem ist er von der französischen Kunst, nicht
bloß in der tektonischen Komposition, sondern auch im plastischen
Stil, berührt worden; doch ist es nicht notwendig eine direkte Be-
rührung gewesen und jedenfalls ist das Vorwaltende die heimische
Tradition und die eigene Künstlerpersönlichkeit. — Vgl. A. Gold-
schmidt im Jahrbuch der K. Preuß. Kunstsammlungen Bd. 23 m.
Abb. Ältere Literatur im fnv. — Aus derselben Bildhauerschule
des 13. Jh. haben sich noch einige andere Werke, sehr verstümmelt,
aber doch mit Spuren hohen Wertes, erhalten: zwei kleine Bogen-
felder», zuletzt im Kreuzgang; eine Hochrelief-Platte0, aus
den Umrissen Moses und die eherne Schlange erkennbar, sicher
zu einer Kanzel gehörig (vgl. Wechselburg), jetzt an der Fassade
I der Thümerei eingemauert. [Auf dem zerstörten rom. Lettner
stand- ehemals die jetzt im Dresdener Altertumsverein aufbewahrte
Kolossalgruppe0 der Kreuzigung, aus Eichenholz geschnitzt,
die Figuren 2,2 m hoch, im Stil ähnlich der berühmten Wechsel-
burger Gruppe, im Ausdruck etwas gebundener.] — »Tulpen-
kanzel"0 um oder nach 1500. Bizarrer Naturalismus der Erfin-
dung, künstlerische Feinheit der Formenanschauung, höchste Virtuo-
sität der aufgelösten Steinmetzarbeit. Die Bühne als großer Blätter-
kelch mit den Halbfiguren der Kirchenväter, getragen von 4 ganz
ins Lichte ausgearbeiteten Stengeln, zwischen deren Verschlingungen
Engelskinder sich tummeln. Der Treppenaufgang imitiert roh zu-
sammengeschlagene Baumäste und Bretter. An ihrem Fuße sitzt
ein Mann in Handwerkertracht (etwa der Meister, der Predigt
lauschend), höher auf dem mittleren Baumstamm ein jüngerer
 
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