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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0022

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Die letzten pinselstriche. Nach Mrs. N). A. Llifford.

S

Die letzten VmjMriche.

Nach Nrs. 1v. L. Llifford.

Aus dem Englischen übertragen von Narie von Schmid.

1.

Ohne Zweifel war Henri Carbouche der größte
Maler Frankreichs. Er hatte sein Bestes gethan, um
die Welt hiervon zu überzeugen, und die Welt ihrerseits
versuchte nun, ihm ihre Anerkennung zu beweisen. Ein
paar Zoll Leinwand, von ihm bemalt, galten Tausende.
Fürsten schätzten es als einen Vorzug, sich sein Atelier
ansehen zu dürfen. Orden wurden ihm angeboten, er
aber wies sie zurück, obgleich er ein Franzose war.
Die Biographen schmachteten danach, Einzelheiten aus
seinem Leben zu erfahren, doch er gewährte ihnen keine.
Niemand wußte, wer er eigentlich war, wo er studiert
hatte, und was seines Lebens Geschichte gewesen. Seine
Bilder waren hochberühmt; aber es war, als ob sein
Ruhm keinen Anfang gehabt hätte, als wäre er mit
einem einzigen Sprunge auf seine jetzige Höhe gelangt.
Noch ein Jahr, bevor er sich der Welt gezeigt, kannte
niemand seine Werke, aber im nächsten bereits wurde
davon fast wie von einem nationalen Besitztum ge-
sprochen, und so blieb es seit der Zeit. Aber seine
Person war fast unbekannt, selbst von Gesicht kannten
ihn nur wenige. Er hatte keine Freunde, keine besonderen
Orte, wo er sich zu zeigen pflegte, nichts, was ihn regel-
mäßig mit seinen Berufsgenossen vertraut gemacht hätte.
Außer in geschäftlichen Angelegenheiten suchte ihn nie-

mand auf, und dann waren diese Besuche kurz und sach-
lich. In den letzten Jahren hatte es sich dann und
wann ereignet, daß er aufgefordert wurde, für geradezu
fabelhafte Summen ein Porträt zu malen. Aber die-
jenigen, welche ihm gesessen hatten, kannten ihn kaum
besser als die übrige Welt und konnten nur wenig Ein-
zelheiten über ihn berichten, denn während er malte,
war er schweigsam und förmlich, und alle Versuche, ihn
in eine Unterhaltung zu ziehen, schlugen gänzlich fehl.
Die Verbeugung, mit welcher er sich von dem Betreffenden
zum letztenmale verabschiedete, war ebenso zurückhaltend
wie diejenige, mit welcher er ihn empfangen hatte.
Niemals hatte er eine Frau gemalt. Er war nicht
mehr jung, etwas über oder unter fünfzig; er selbst gab
keinen Aufschluß über sein Alter; aber er war grau,
und die Linien auf seinem Antlitz waren tief und zahl-
reich. Sein Gesichtsausdruck war ernst und fest, sein
Benehmen vornehm. Er schien ein nur objektives Inter-
esse an seinen Werken zu haben; wohl niemals war
seine Seele lebhaft damit beschäftigt. Seine Bilder
machten den Eindruck, als ob sie ganz außer ihm lagen;
sie schienen eher durch die unsichtbare Macht irgend
eines anderen ins Dasein getreten sein, als durch den-
jenigen, der den Pinsel geführt hatte. Außer an seiner
Arbeit nahm er noch einiges Interesse an seiner Kapital-

Die Kunst für All- XI.

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