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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Ein Brief aus Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0039

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Ein Brief aus Worpswede.

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Winterabend am Weyrrbrrg. von Gtto Modersohn (Worpswede).

Zabresausstellung Z8S5 der Uünstlergenoffenschafl im Ngl. Glasxalast zu München.

Wohnungen kenntlich. Fast ohne Vermittlung senk-
rechter Wände erhebt das Strohdach sich über dem
Boden, durch Regen und Sonnenschein verwittert,
hat es im Lauf der Zeit die Farbe der vertrockneten
Heide angenommen, darauf es steht. Der ärmliche Ein-
druck wird nicht verwischt, wenn man das Innere betritt.
Ein einziger Raum muß allen Zwecken dienen, die
Thür vertritt gleichzeitig die Stelle des Schornsteins.
Doch ob die Hütte noch so arm ist, ist sie doch reich an
malerischen Schätzen. Hier hätte Rembrandt sein my-
stisches Helldunkel gefunden, doppelt geheimnisvoll, wenn
ein verirrter Sonnenstrahl durch eine Dachspalte oder
die grünlichen Scheiben der Fensterchen in den vom
blauen Rauche des Torffeuers erfüllten Raum fällt.
Gefreut hätte er sich an dem Durcheinander von Ge-
räten, deren Zweck dem Uneingeweihten stets ein Geheim-
nis bleibt. An Zäunen, aus alten Schiffsplanken zu-
sammengefügt, lehnen sie umher, diese merkwürdig ge-
formten Messer, Hacken und Spaten, die zum Stechen
und Formen des Torfes dienen, im Schiffe liegen sie,
das mit seinem schwarzen Segel aus dem Graben neben
der Hütte aufragt und bestimmt ist, den Torf in der
fernen Stadt an den Markt zu bringen.

Doch ich fürchte, Ihre Geduld über Gebühr in
Anspruch zu nehmen, breche also ab und eile. Ihnen
schnell noch einiges von der Gründung unserer „Kolonie"
mitzuteilen.

Es war im Herbst 1889, über Moor, Heide und
Wiese war lodernde Farbenpracht ausgegossen. Wie der
Goldbaum des Märchens strahlte die Birke, purpurrot
durchbrachen ihre Wurzeln das satte Braunrot des
Moorbodens, und an ihrem Stamme hatten Nebel und

Regen Flechten von berauschendem Farbenschmelz ge-
zeugt, die Strohdächer, im Sommer grau und farblos,
wurden violett, die Moorwände bekleideten sich über
Nacht mit üppigen Moosen und aller Orten schaffen
mit Jndischgelb und Krapplack lasierte Pilze aus der
Erde. Die drei jungen Maler, die sich im Juni ein-
gefunden hatten, um vier Wochen dazubleiben — mittler-
weile waren aus den Wochen ebensoviele Monate ge-
worden — wußten nicht aus noch ein ob solcher Pracht.
Längst schon war ihre Ruhe hin, ihr Herz schwer, wenn
sie an die Abreise und an die staubigen Säle der Aka-
demie dachten, die ihrer harrten. Doch was half alles
Klagen; es mußte geschieden sein. Schon standen die
Koffer gepackt, als man beschloß, gemeinsam noch einen
Gang durch das Moor zu machen; es sollte der letzte
sein. Morgen früh wollte man die Augen zukneifen
und kalten Mutes an all diesen farbigen Wundern vor-
über gen Bremen reisen. Doch es kam anders. Stunden-
lang waren sie schon wortkarg gewandert, jeder bemüht,
sich für die im Winter zu malenden Bilder seinen Vor-
rat an Eindrücken noch bis zu guter Letzt zu vermehren.
Auf einer alten, baufälligen Moorbrücke machten sie end-
lich Halt, allmählich kam das Gespräch in Fluß, und
einer meinte schüchtern, ob man nicht diesmal Akademie
Akademie sein lassen und den Winter über statt dort,
hier zubringen wollte. So mochte ein jeder schon still
für sich gedacht, den Gedanken nur nicht haben laut
werden lassen mögen, nun aber war das Eis gebrochen
und jubelnd ward dem Sprecher zugestimmt. Sie ließen
den Gedanken zur That werden, und haben es in der
Folge nicht zu bereuen gehabt. Gastfrei öffnete ein
reicher Bauer den dreien sein Gehöft, wo sie den Winter
 
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