Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Weihnachtsbücherschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0100

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Iveibnachtsbücherschau.

aus dem Kissinger Badeleben, das der Meister seit zehn Jahren
genießt, die seinen alten glänzenden Humor zeigen in der
Erfassung der einzelnen Individualitäten sowohl, als der Dar-
stellung des ganzen dortigen Treibens, wo denn besonders die
Belagerung des „Busfels der Feinbäcker" ein Meisterstück
von sprudelnder Lebendigkeit ist, wie die Szene am Rakoczy eines
von Charakteristik, oder die im Biergarten eines von Humor.
Noch pikanter wird dieser Humor freilich auf dem schon 1889
entstandenen Blatte „Nach Schluß des Hoffestes", wie man
denn Menzelsche Bilder nur selten zur Erhöhung der eigenen
Menschenliebe betrachten darf, so wenig als Hogarthsche, vor
denen die Menzels überdies die unbedingteste Glaubwürdigkeit
voraus haben. Wie Menzel seine Stoffe überall hernimmt, wo
sie ihm der Zufall bietet, sieht man dann am besten aus dem
köstlichen Blatte „Auf der Fahrt durch schöne Natur", wo
man den Kondukteur sieht, der die eleganten Passagiere eines
Eisenbahncoupes ans diese Schönheit ziemlich fruchtlos aufmerksam
macht. Keine Frage, daß, wenn man die Deutschen lieben lernen
will, man dies bei Allers, der sie doch ebenso wahr schildert,
sehr viel eher fertig kriegt, als bei dem achtzigjährigen Meister,
der uns aber allerdings durch unendlich viel Geist für das ent-
schädigt, was ihm etwa an Wohlwollen im Lauf der Jahre ver-
loren gegangen ist. Dabei bleibt der spezifisch malerische Reiz
dieser Bilder außerordentlich groß, ja bei den eigentlichen Land-
schaften, deren man auch ein paar findet, vielleicht ani größten.
Von ganz besonderer Meisterschaft zeugen dann auch eine Anzahl
lebensgroßer Stndienköpfe, wo man Gelegenheit hat, sich davon
zu überzeugen, wie der Meister sein inniges Verhältnis zur
Natur auch im Greisenalter niemals erkalten läßt.

Wird man Menzel nun hier unbedingt bewundern müssen,
wie man den alten Gianbellin bewundert, wenn man seine im
86. Jahre gemalten Kirchenväter in S. Chrisostomo zu Venedig
sieht, so dürfte man ihn auch dafür lieben lernen, wenn man
die eben erschienene kleinere Ausgabe „Das Werk Adolph
Menzels" (München, Verlagsanstalt Bruckmann, gebd. 40 M.)
sieht, das in einem großen Quartband mit 31 Vollbildern und
106 Textillustrationen möglichst alles Wichtigere des großen
Menzelwerkes bringt. Denn, was uns auch da so sehr für ihn
einnimmt, ist, daß man gerade hier sein jahrzehntelanges Ringen
mit der Form sieht, sein Umhertasten nach allen Seite», bis er
sich endlich seinen eigenen Stil gebildet, ja seine ganz eigene
Weltanschauung ausgeprägt hat. Wie gründlich liebenswert er-
scheint der Knabe in seinem schon im 13. Jahre gezeichneten
„Scipio und Metellus", den ihm die unglaubliche Eselei
eines Akademieprofessors als Aufgabe in einem Alter gestellt
hatte, wo er selbst von seinen Landsleuten noch nicht viel wissen
konnte, geschweige denn von den alten Römern! Wie rührend
eifrig und ehrlich erscheint er dann als Schusterjunge, der nachts
beim dürftigen Licht der Glaskugel verstohlen des alten Blüchers
Büste zeichnet, statt Schuhe zu flicken! Und wie wunderbar reich
erweist sich bereits seine Erfindung in dem köstlichen Titelblatt zu
„Künstlers Erdenwaklen" oder dem noch besseren „Vater-
unser", die er in jener frühen Jugendzeit selber aus den Stein
zeichnete! Wenn man sieht, wie er da bereits die schwierigsten
Verkürzungen bemeislert, ja sie förmlich aussucht, um die Lebendig-
keit der Darstellung zu erhöhen, so wird man sich eben wieder
einmal überzeugen, daß geniale Naturen sich der Gesetze ihrer
Kunst von allem Anfang an instinktiv bewußt sind! — Noch
mehr erstaunt man dann, wenn man zuerst seine Versuche auf
dem historischen Feld, die „Bilder aus der brandenburgischen
Geschichte" oder den „Einzug Heinrichs des Kindes in
Marburg" sieht und so deutlich wahrnimmt, wie ihm jede einzelne
der unzähligen Figuren offenbar als ein ganz bestimmtes Individuum
vorschwebte, während sich unsere damalige Geschichtsmalerei sonst
niemals vom Theater befreien konnte, alle ihre Inspirationen dort
holte. Dies beständige Studium des ihn umgebenden Lebens,
die stolze Verachtung aller leeren Tradition in der Kunst, den
gänzlichen Bruch mit der damals herrschenden Romantik sieht
man dann am glänzendsten in dem 1851 entstandenen berühmten
Blatte des „Christus als Knabe im Tempel", wo er gegen
jedes Herkommen vor allem die jüdische Nationalität der Handelnden,
t'ogar selbst bei der Madonna betont und zugleich bei ihren
Figuren eine hastige Lebendigkeit entwickelt, die zivar echt national,
für den von der Cornelianischen Schule erzogenen Geschmack aber
ein Greuel blieb. Vorher war freilich die Vertiefung Menzels in
die Friedericianische Zeit gegangen, die 1839 beginnend, seinen
Weltruf begründete und der deutschen Kunst unseres Jahr-
hunderts den ersten wahrhaft nationalen Künstler verschaffte.
Keine Frage, daß Menzel uns diese große Zeit durch seine Werke


erst wieder lebendig gemacht hat! Das geschah nun besonders
durch die nach der Vollendung der drei großen Illustrations-
Werke, die sie Hervorriesen, entstandenen Oelbilder, wie „Friedrich
der Große auf Reisen", „Ter Hofball in Rheinsberg",
„Das Souper in Sanssouci" ec., die wir fast alle hier
finden. Alsdann erst wendet sich der Künstler der Gegenwart zu,
und es entsteht die lange Reihe jener jedesmal ein Ereignis
bildender Gemälde, unter denen nächst dem berühmten „Kr önungs-
bild", die „Abreise König Wilhelms zur Armee
1870" wohl das bedeutendste ist, wenn man nicht etwa das un-
übertreffliche „Ballsouper" vorzieht, welch letzteres uns aller-
dings nicht nur die heutige Berliner Hofgesellschaft unübertreff-
lich schildert, sondern auch ein Wunder von malerischem Reiz
aller Art ist.

Bietet Menzel also die merkwürdige Erscheinung dar, daß
er in den bald siebzig Jahren seiner Wirksamkeit nicht nur all-
mählich alle seine deutschen Zeitgenossen hinter sich gelassen hat
und unbedingt unser erster, wie unser nationalster Künstler ge-
worden ist, so bleibt er auch offenbar der einzige, der sich unter
den heutigen den großen Meistern des Cinquecento an die Seite
stellen läßt. Er vertritt mit seiner Thätigkeit recht eigentlich den
kolossalen Aufschwung unserer Nation im laufenden Jahrhundert.

Daß man aber eigentlich selber groß sein müßte, um große
Menschen ganz zu verstehen und zu schildern, ja um auch nur
großen Künstlern ihr Recht widerfahren zu lassen, das sieht man am
besten, wenn einer sich an ihnen versucht, der dazu nicht das richtige
Maß hat. So sind die „Erinnerungen eines Künstlers
von Rudolf Lehmann (Berlin, Hofmann L Eo., 7 M),
dem Bruder des bekannten Jngresschülers, welcher auch, wenigstens
mit gutem finanziellem Erfolg, malte, ein ganz interessantes Buch,
so lange es uns des Verfassers eigenes Leben gibt, wie es sich,
von Hamburg ausgehend, nacheinander in Paris, München,
Italien, und dann ganz besonders wieder in Paris von 1846 bis 48,
endlich in England abspielte. Ungenügend, ja langweilig wird
es nur, wenn es unternimmt, uns die vielen bedeutenden Männer
zu schildern, die der Künstler überall, besonders aber in Paris
und Rom kennen gelernt, hier verläßt ihn sein Porträtiertalent
fast so sehr, als bei dem Dutzend kleiner Bleistiftskizzen derselben,
die uns in Photographien mitgeteilt werden und von denen
im Grunde bloß sein eigenes Bildnis einigen Wert hat. Es zeigt
uns einen schon fast versteinerten, jedenfalls sehr kalt drein-
schauenden allen Herrn von ausgesprochen semitischer Rasse, der
gerade keinen übermäßig sympathischen Eindruck macht. Diese

(0'

Skudir. von Hugo-Vogel.
 
Annotationen