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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Pietät in der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0171

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,22 Pietät in der bildenden Aunst.

lust erleidet dadurch keine Einbuße. Name und Preis wirken zu sehr aus die Begierde nach dem Besitz. Wohl dem
deutschen Meister, dessen Kunst in Frankreich ihre Weihe bekommen, der seine Individualität mit französischem
Firnis überziehen und seine Eigenart durch französische Mache verleugnen kann. Wie in der Industrie, so geht's
auch in der Kunst. Deutsche Strümpfe (aus Sachsen) werden zur Appretur nach England geschickt und kommen
von dort als englische Ware ans den deutschen Markt — deutsche Künstler versuchen ihrer Technik den
französischen Stempel aufzudrücken, weil sie wissen, daß der französische Schein den Kaufwert erhöht und die
Kauflust weckt. Unmöglich können die deutschen Künstler glauben, sich durch noch so intensives Studium die
Eigenart einer fremden Nation anzulernen. Es gilt hier das Goethesche Wort: Braut ein Ragout von anderer

Schmaus. In dieser Beziehung sind manche Künstler pietätlos. Sie verleugnen oder versuchen

wenigstens ihre Individualität — ganz können sie es doch nicht! — zu verleugnen im Gefühl der Schwäche
oder aus Lust zur Nachahmung. Die leicht scheinende Manier Taubignys und Corots verführt manche, nun
auch Bäume und Flächen mit flottem Pinsel auf die Leinwand zu setzen — sie vergessen aber ganz, daß die
den Pinsel leitende Empfindung für die Farbe der innersten Schöpferkraft ersprießt und durch kein Studium
errungen werden kann. Sie verwechseln Nachempfinden mit Empfinden und bedenken nicht, daß im eigenen
Empfinden des Künstlers Seele liegt. Wir erinnern an Böcklin und seine Nachahmer. Das Blau Böcklins
wirkte berauschend, und eine Anzahl unselbständiger Talente versprach sich hohen Lohn von der leichten Mühe
der Anwendung der Farbe. Wie sehr sind diese Maler abgefallen! Wie sehr vom Meister entfernt geblieben!
Und dies ist die Nachahmung eines Schweizers, eines Malers, dessen Kunst der unseren nicht so fern steht,
zumal da er seine Ausbildung auf deutschen Schulen — Düsseldorf, München, Weimar — genoß. Wie schwer
muß es nun für einen Deutschen sein, romanische Art seiner individuellen Kraft einzuimpfen! Und ist es am
Ende ein beneidenswerter Ruhm für einen deutschen Maler, wenn der Beschauer ausruft: Wie ein Franzose!
Ist es schmeichelhaft für die deutsche Kunst, wenn sie, weil sie sich schwächer fühlt, das Schild der Franzosen
borgt und mit geborgter Schutzwehr in den Kampf zieht? Die Nachwelt wird doch dermaleinst vom Eigenen
das Entliehene abziehen und ohne Rücksicht richten. „Verbunden werden auch die Schwachen stark" — jeden-
falls ist das Bündnis der Schwachen ehrenvoller und pietätvoller als der Übertritt ins fremde Lager Einzelner
unter Vorgabe des Anlernens. Wir wollen durchaus damit nicht gesagt haben, daß wir das Lernen und Sehen
der uns überlegenen Franzosen perhorrescieren — nicht im entferntesten! — nur das Nachahmen, das unver-
ständige Nachmalen wollen wir in die Grenze der Heimat
zurückführen — studieren mag jeder Künstler wo er will
und kann. — Auch den Ausstellungskomitees, insbeson-
dere den Aufhängekommissionen, können wir den Vorwurf
nicht ersparen, gar zu oft pietätlos zu sein, wenn wir auch
der Schwierigkeiten gedenken, die sich ihrer mühevollen
Arbeit in den Weg stellen und die Rücksichten erwägen,
auf die sie oftmals — leider zu oft — Bedacht nehmen
müssen. Hat ein Bild Gnade hör den Augen der Kom-
mission gefunden, und soll es ausgestellt werden, dann
muß es mit aller Rücksicht placiert werden, die das Motiv
und der Ton des Bildes erheischt. Wir erinnern uns,
auf einer Münchener Ausstellung in der untersten
Reihe ein Bild von Bokelmann: „Der Täufling" zwischen
einem Bilde von Vautier (Ein Gast im Herrenstübl) und
Schlabitz (Kirchenchor in Tirol) gesehen zu haben. Drei
fignrenreiche Bilder verschiedener Malweisen nebenein-
ander! Die unvorteilhafte Wirkung benahm dem Be-
schauer den Genuß, den jedes der drei genannten Bilder
zu bieten im stände war. Das Hängen darf kein Durch-
einanderhängen werden; mit gutem Willen kann auch
ein minder gutes Werk durch feine Umgebung gehoben
werden. Das soll das Bestreben sein. Nicht ein gutes
Bild durch einen bösen Nachbarn verderben! — Wir
wollen unsrer Meinungsäußerung nicht den Wert bei-
messen, daß sie das Bestehende zu ändern vermag, wir
wünschen und hoffen nur, daß unsre Betrachtung Anlaß
zu weiteren Erwägungen gibt und die Überzeugung weckt,
daß es an der Zeit ist, die Pflicht der Pietät zu üben —
gegen die lebenden Künstler.

Unschuld, von L. Dies.
 
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