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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Oettingen, Wolfgang von: Die Düsseldorfer St. Lucas-Ausstellung 1895
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0174

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Die Düsseldorfer St. Luras-Ansstellung ^895. Don lv. von Bettingen.

,Z9

mehr Raum verstattet als die frische Freude an der
Natur in jedem offenen Gemüte beansprucht. Daß aber
Rocholl bei weitem nicht nur der schneidige Schlachten-
maler ist (sein Hauptbild ist diesmal ein Kürassier, der
am Tische einer Schenke „in Feindesland" ermüdet ein-
schlummert), würde durch seine schlicht und groß empfundene
Landschaftsstudie vom Niederrhein erwiesen, wüßte man
es nicht bereits aus mancher seiner Radierungen und
Skizzen. Keine Spur von Gefühl für die stille, vor-
nehme Größe der Natur und für den geheimnisvollen,
geheiligten Zusammenhang des menschlichen Herzens mit
ihr offenbart dagegen Gerhard Janssen. Seine Sphäre,
oder wenigstens die Sphäre seiner ausgestellten Werke,
ist die staubige, rauchige Luft der städtischen und vor-
städtischen Kneipen, das wüste, lärmende Treiben der
Jahrmärkte, der urwüchsig brutale, daneben auch der
stumpfsinnige Lebensgenuß roher Charaktere. Ohne
Zweifel bieten diese Gegenstände viele malerische Motive,
viele Charakterzüge von prächtigem Humor und schlagen-
der Wirkung, und beides weiß Janssen mit erstaunlicher
Energie auszubeuten, aber trotzdem ist die Überlegung
gerechtfertigt, ob die Behandlung solcher Gegenstände
in der zügellos farbenklecksenden Manier, die Janssen
gewöhnlich beliebt, die also zu der Rohheit des Motivs
noch eine gewisse künstlerische Rohheit hinzufügt, sich
durch irgend etwas maßgebendes entschuldigen oder auch
nur erklären läßt. Ich muß gestehen, daß ich nichts
finde als das Bestreben, durch eine im höchsten Grade
unruhige Technik den Eindruck packender Lebendigkeit noch
zu steigern; jedoch wiegt dieses Streben meines Er-
achtens nicht schwer genug. Frans Hals hat auch vor
seiner spachtelnden Periode die lebendigste Naturwahr-
heit erzielt, Jan Steen und die übrigen sind stets in
den Grenzen feiner Malerei
verblieben. Das thaten sie
schwerlich aus Unvermögen,
sondern unter dem Gesetze
desselben Geschmackes, der
den gesitteten Menschen jeder
Periode eine anstößige Extra-
vaganz ihrer Äußerungen
ohne weiteres verbietet. Man
erkennt freilich heute nur
widerwillig die ungeschriebe-
nen Gesetze an, und vorzüglich
die Künstler sind nie nervöser,
als wenn ein Laie ihren an-
geblich notwendigen Eigen-
tümlichkeiten und Freiheiten
eine Schranke vorzustellen
wagt: aber gerade die unge-
schriebenen, die aus den nor-
malen Bedürfnissen der kulti-
vierten Menschheit allerZeiten
hervorgcgangenen Gesetze sind
die unvergänglichsten, und
daher lehrt die Erfahrung,
daß alles willkürlich Ge-
steigerte, alles was unter
Nichtachtung der (in der be-
treffenden Periode und in
weitem Sinne giltigen) Ästhe-
tik künstlerisch geschaffen ist,

eine kühle Kuriosität bleibt, auch wenn es eine Partei
begeisterter Bewunderer findet.

Unter den Landschaftern scheint Louis Herzog
der am eifrigsten nach neuen Ausdrucksmitteln Suchende
zu sein. Sein venezianisches Lagunenmotiv bei dunstiger,
trüber Stimmung, seine Veroneser Straßeneindrücke sind
auf sehr komplizierte Weise hergestellt. Indessen ist er,
gegen früher, doch bedeutend einfacher, verständlicher und
dem schlichten Auge genießbarer geworden: vor allem jenes
Lagunenbild mit dem grauen, gekräuselten Wasserspiegel
ist in Ton und Empfindung eine imponierende Leistung.
— In seiner längst erworbenen Sicherheit, in der herben
Wucht einer niederdeutschen Natur zeigt sich Olo f Jern-
berg: in den kleinen Herbst- und Winterbildern aus
Wald und Feld schlechthin überzeugend, in den größeren
Kompositionen, z. B. dem blühenden Mohnfelde unter
einem Junihimmel mit massiven Wolken, Größeres,
Höheres anstrebend, aber durch ein gewisses Übermaß
der Ausdrucksweise die gewollte künstlerische Wirkung
eher für Künstler als für Laien erreichend. Auch hier
möchte man die Frage anregen, inwiefern Kunstwerke vom
Künstler nur für sich selbst und für wenige Gesinnungs-
genossen geschaffen werden, und ob der Künstler, der
doch kein halbbewußtcr Träumer ist, sich schädigt, wenn
er mit einiger Selbstbeschränkung die Ziele seiner fürs
Publikum bestimmten Werke modifiziert. — Eugen

Kampf bringt eine Anzahl gestimmter Niederlands-
motive: Wind-, Morgen-, Nachmittag-, Abend-Stim-

mungen, die zum teil vor der Natur gemalt sind und ein dis-
kretes, objektives Eingehen auf ihre feineren Reize be-
zeugen. In dieser Beziehung wetteifert mit ihm Gustav
Wendling, der neben seinen Kanal- und Flußansichten
auch eine „Windmühle" unter Gewitterhimmel und eine

herbstliche Allee im Park von
Putbus eingeschickt hat. Hein-
rich Hermanns, Helmuth
Liese gang und Ernst

Zimmer mann treten
weniger hervor; es ist, als
hätten sie sich für andere Ge-
legenheiten bereits ausgegeben
und für diese leider nur bei-
läufiges zur Hand gehabt.
Von Henke, der als Land-
schafter vielleicht noch besseres
leistet denn als Tiermaler,
sind ein Paar zierliche Rehe
in herbstlichem Gestrüpp zu
sehen. Alles in allem: man
hat den Wunsch, es möge der
St. Lucas-Klub, der stolzen
Absicht bei seiner Gründung
getreu, das nächstemal, als
Kraftprob en sein er Mitglieder,
nur ganz Äuserlesenes und
also weniger Füllstücke wie
dieses Jahr ausstellen; unter
„Auserlesenem" aber ver-
stehen wir Kunstwerke, die
nicht nur Gewolltes andeuten,
sondern auch völlig Erreichtes
darbieten.

Lin Schwerenöter, von Leop. Schmutzler.
 
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