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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Riegel, Herman: Die Betrachtung der Kunstwerke, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0216

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168

kermail Riegel.

Doch alle Ratschläge, Anleitungen und Hinweisungen
wären verlorene Mühe, wenn nicht der, welcher sich den
Kunstwerken nähert, von vornherein eine gewisse Anlage,
eine gewisse Neigung mitbrächte. Jene sind nur der
Wegweiser, der ihm den Gang eines methodischen Studiums
Nachweisen, ihn vor Umwegen, vor Verirrungen bewahren
möchte, aber laufen muß er selbst können, Beine muß er
selber haben, um den ihm angedeuteten Weg auch wirklich
zu gehen. Ein warmes Herz, ein Helles Auge sind die
notwendigen Voraussetzungen für alle und jede erfolg-
reiche Beschäftigung mit der Kunst, und das Herz muß
sozusagen, im Auge liegen, damit es warm empfinde —
beim bloßen Anblick. So ist es in der Kunst wie in
der Liebe: Neigung, Verständnis, Hingabe, Begeisterung
lassen sich nicht anlernen, anlehren und anschwätzen; sie
müssen frei aus dem eigenen Busen emporsprießen. Selbst
muß der Beschauer eines Kunstwerkes thätig sein, er muß,
wenn auch keineswegs schöpferisch, so doch in Bildung
des Herzens und der Phantasie mit dem Künstler auf
gleicher Höhe stehen, er muß sich dem Wesen und der
Art von dessen Urheber offenen Sinnes völlig anbequemen
können, denn nur so kann der reine Widerklang ent-
stehen, ohne den das Verständnis fehlen oder doch mangel-
haft bleiben würde. Alles dies ist längst erkannt und
anerkannt worden. Schekling sagt in der mehrfach
angezogenen akademischen Rede klar und deutlich: „Wenn
wir die Dinge nicht auf das Wesen in ihnen ansehen,
sondern auf die leere abgezogene Form, so sagen sie auch
unserm Innern nichts. Unser eigenes Gemüt, unfern
Lar, Rickcl, s-c. eigenen Geist müssen wir daran setzen, daß sie uns ant'

Wesen von anderen hören müssen, weil sie den Zensor
machen wollen, ehe sie Schüler zu werden angefangen,
ist das Schöne unerkannt geblieben: denn sie machen cs
wie die Schulknaben, die alle Witz genug haben, die
Schwächen des Lehrmeisters zu entdecken. Unsere Eitel-
keit wollte nicht gern mit müßiger Anschauung Vorbei-
gehen, und unsere eigene Genugthuung will geschmeichelt
sein; daher suchen wir ein Urteil zu fällen. Sowie
aber ein verneinender Satz eher als ein bejahender
gefunden wird, ebenso ist das Unvollkommene viel
leichter als das Vollkommene zu bemerken und zu finden,
und es kostet weniger Mühe, andere zu beurteilen, als
selbst zu lehren. Man wird insgemein, wenn man sich
einer schönen Statue nähert, die Schönheit derselben in
allgemeinen Ausdrücken rühmen, weil dies nichts
kostet; und wenn das Auge ungewiß und flatternd auf
demselben herumgeirrt und das Gute in den Teilen,
mit dessen Gründen, nicht entdeckt hat, bleibet es an
dem Fehlerhaften hängen", .... denn in der Ver-
sicherung, viel Schönes zu finden, werden sie dasselbe
suchen, und einiges wird sich ihnen entdecken: man kehre
so oft zurück, bis man es gefunden hat; denn es ist vor-
handen. Die zweite Erinnerung ist: nicht der Hand-
werksentscheidung nachzusprechen, welche mehrenteils das
Schwierige dem Schönen vorzieht; und diese Warnung
ist nicht weniger nützlich als die vorhergehende, weil der
Schlag gemeiner Künstler insgemein so urteilt, die nicht
das Wissen, sondern nur die Arbeit schätzen. . . . Zum
dritten mache man, wie die alten Künstler augenscheinlich
gethan, einen Unterschied unter dem Wesentlichen in einer
Zeichnung und unter Nebendingen". . . .
 
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