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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Schmidkunz, Hans: Der Dilettant
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0229

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i?8

Or. ^ans Schmidkunz.

der Mangel dieses Etwas soll den Dilettanten kenn-
zeichnen.

Um dieses näher zu bestimmen, beachten wir, daß
der Mensch mit sehr vielseitigen Anlagen auf die Welt
kommt, deren ungleiche Ausbildung noch im Schoß der
Zukunft ruht. Er besitzt im Keim seine Sinneskräste,
seine Phantasie, seine Urteilskraft, seine Forschungskrast,
sein Gemüt, seine körperliche Geschicklichkeit u. s. f. Das
spätere Leben gibt dann der einen oder andern dieser
Anlagen Gelegenheit, sich in besonderer Weise zu ent-
falten, und läßt die übrigen in verschiedenem Maß zu-
rücktreten, ohne doch in der Regel auch nur Eine ganz
zu ertöten. So kann man sagen, wohl jeder Mensch
bewahrt ein Stück Phantasie u. s. w., auch wenn seine
Schicksale, zumal sein Berufsleben, etwa die Urteilskraft
in vorherrschender Weise entwickelt haben; jedenfalls
bleiben einige der übrigen Kräfte leidlich gut bestehen.
Nun begnügen sich aber diese menschlichen Kräfte nicht
mit ihrem bloßen Dasein, sondern streben auch einiger-
maßen nach Bethätigung. Wird diesem Drang einer
Kraft, die nicht zur bestimmenden im Leben entwickelt

Flora, von Ludwig Ga mp.

ist, bis zu handelnder Teilnahme nachgegeben, so ent-
steht der Dilettantismus. Wie es hier mit Einer von
jenen Kräften geschieht, so geschieht es beim Kind mit
allen, die überhaupt einmal in gewisser Stärke vorhanden
sind und Gelegenheit zum Hervortreten erhallen. Die
Kinder sind in allen ihren Äußerungen Dilettanten; „sie
nehmen sich ein unerreichbares Ziel vor, das sie durch
geübte und verständige Alte haben erreichen sehen",
sagt Goethe und knüpft daran die Schlagworte: „Ihre
Mittel werden Zweck. Kinderzweck. Bloßes Spiel.
Gelegenheit, ihre Leidenschaft zu üben."

Sehen wir zu, worin sich von dem so charakte-
risierten Kind der Erwachsene, falls er nicht völlig Kind
geblieben ist, unterscheidet, so werden wir zugleich auch
den Abstand zwischen Meister und Dilettanten beleuchten.
Über die Kindesstufe hinaus geben wir uns — freiwillig
oder zwangsweise — einer oder manchmal mehreren
jener Kräfte so hin, daß das derart Erfaßte zum Be-
stimmenden im Leben, zum Lebenszweck wird, dem sich
die übrigen in der Hauptsache dienend unterordnen.
Dadurch gelangen wir zu unserem sogenannten Beruf;
daß er oft ein verfehlter ist und gar zu häufig bloß im
Erwerb des Existenzbedarfes besteht, verwischt zwar die
Sache, tilgt sie aber nicht aus. Ebensowenig dies, daß
er manchmal mehr als Einer ist. Wollen wir dann noch
eine andere von unseren Kräften auftreten lassen, so ist es
nicht mehr gut möglich, sie ebenso zur Lebensherrscherin
zu machen: sie ist von vornherein auf halbe Höhe ge-
setzt, hat ferner von der, welcher sie gleich den übrigen
nachsteht oder sogar dient, eine bestimmende Färbung
empfangen und ist so relativ nicht über die Höhe einer
jeden im Kindeszustand hinausgeko.nmen, vielleicht sogar
dahinter zurückgegangen. In ihr bringen wir's nur zum
Dilettantismus. Meistenteils wird die zu einem wahr-
haften Beruf entwickelte Anlage auch die von vornherein
stärkste, dagegen die nur neben ihr entfaltete keine be-
sonders starke sein. Einen solchen Mangel sieht Goethe
dadurch ausgefüllt, daß erstens zum Genuß der Kunst-
werke alle Menschen eine unsägliche Neigung haben, und
daß zweitens der Mensch nichts erfährt und genießt,
ohne sogleich produktiv zu werden.

So ist der Dilettant von kräftigem Wirken und
hohem Erreichen nicht ausgeschlossen; umsoweniger, als
er in seiner positiven Eigenschaft, der Liebe zum Gegen-
stand des Dilettierens, eine der besten Hilfen dafür hat.
Allein vom Kräftigsten und Höchsten, das ein Mensch
auch nur im Verhältnis zu seinem individuellen Erbteil
von Anlagen und zu seinen jeweiligen äußeren Gütern
und Verhältnissen erstreben kann, ist er auf Grund
seiner negativen Eigenschaft ausgeschlossen, d. i. auf
Grund des Umstandes, daß diesem Erstreben nicht als
dem obersten Lebensziel alles übrige dienend angepaßt
wird. Indem wir also gezeigt, was die Grundeigentüm-
lichkeit des Dilettanten ist, müssen sich, wenn wir Recht
haben, die übrigen Eigenschaften, die in seiner näheren
Beschreibung erscheinen werden, als Folgen daraus
ergeben.

Fürs erste. Jede Kunst, Wissenschaft u. s. w. ist
zu vergleichen einem Bau, insofern darin eins das
andere trägt, und viele Mittel, selbst wieder durch
andere Mittel gefördert, dem einen oder einigen Gesamt-
zwecken dienen. So ist, um das Nächstliegende Beispiel
zu nennen, in der Kunst des Malers die Zeichnung
 
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