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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Riegel, Herman: Die Betrachtung der Kunstwerke, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0236

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I8H

Die Betrachtung der Kunstwerke.

von Derman Riegel
(Schluß aus dem vorigen Hefte.)

s möchte einer Erörterung nicht bedürfen, daß ein
völliges Verständnis des einzelnen Kunstwerkes durch
den Kunstfreund nur möglich ist, wenn er sich eine ge-
wisse Kenntnis vom Wesen und von der geschichtlichen
Entwickelung der Kunst erworben hat. Da aber bei der
ersten näheren Bekanntschaft mit Kunstwerken das natür-
liche Gefallen und Mißfallen die Vermittlung bildet,
so ist klar, daß mehrere verschiedene Standpunkte
bei Betrachtung
der Kunstwerke
vorhanden sind, die
vom ersten bloßen
Gefallen und Miß-
fallen aufsteigend
einander folgen bis
hin zur tiefsten
künstlerischen und
kunstgeschichtlichen
Würdigung des
Denkmals. Es kann
nicht die Absicht sein,
diese verschiedenen
Standpunkte hier zu
erörtern. Ohne
Liebe und Begeiste-
rung wird man kein
wahres Verhältnis
zur Kunst finden und
also auch in deren
Verständnis nicht
aufsteigen. Die
wichtigsten Stand-
punkte in jener
Stufenfolge mögen
die des Liebhabers
und des Kenners
sein, denen sich dann
derjenige anreiht,
wo reifere Einsicht
in das Wesen der
Kunst und innigere
Vertrautheit mit der
Kunstgeschichte ein
auf wissenschaft-
licher Grundlagebe-
inhcndcs, tieferes
Verständnis ermög-
lichen. Richtige Auffassung und völliges Verständnis der
Kunstwerke aller Zeiten und Völker ist nur mittelst
eines aufgeschlossenen geschichtlichen Sinnes möglich, der
sich lebendig in den Geist der verschiedenen Zeiten und
Völker versetzen, gleichsam in deren Wesen vorüber-
gehend verwandeln kann. Wer diesen geschichtlichen
Sinn nicht oder nicht genügend besitzt, wird vor einem
großen Teile der Kunstdenkinäler fremd stehen bleiben,
keine Beziehung zu ihnen finden und sie wohl gar miß-
verstehen. Der geschichtliche Sinn allein befähigt zu um-
fassender Aufnahme der Kunstwerke in Uebereinstimmung
mit ihrem eigenen Wesen. lind das ist doch gerade das

Wesentliche in der richtigen Erfassung der geschichtlichen
Denkmäler in der Kunstgeschichte.

Geht die Betrachtung eines Kunstwerkes über das
Streben, es sich innerlich möglichst vollkommen anzu-
eignen hinaus, und untersucht sie, ob es dem Begriffe
und Wesen der Kunst genüge oder nicht, so wird sie
kritisch im eigentlichen Sinne. Die Kritik, die
der Griechen, ist eine richterliche Arbeit — richten),

sie ist das Geschäft
der Unterscheidung
und Beurteilung, so
daß man sie in Be-
zug auf Kunstwerke
deutsch auch die
Kunstrichterei, den
Kritiker aber, wie
zu Lessings Zeiten
stets, Kunstlichter
nennt. Über Zweck
und Grundsätze der
Kunstkritik ließe sich
viel sagen. Sie stellt
oft schwierige Fra-
gen an den Be-
urteiler und ver-
langt von ihm reife
Sachkenntnis, Klar-
heit und Gerechtig-
keit. Sie bezieht
sich vorzugsweise auf
Werke der Zeit-
genossen.

Man könnte hin-
sichtlich des Zweckes,
der Aufgabe der
Kunstkritik die
Frage aufwcrfen,
was sie denn nütze
sei, da doch das
kritisierte Werk
bleibt wie es ist.
Abgesehen davon,
daß offenbar im
letzten Grunde die
Kunstkritik nur aus
sich selbst ihre Be-
rechtigung nehmen
kann, daß sie also, wie die Wissenschaft überhaupt und
auch die Kunst, sich Selbstzweck ist, lautet die Antwort
auf die aufgeworfene Frage: Förderung der Kunst bei
den Künstlern, Förderung des Verständnisses bei den
Kunstfreunden, indem sie in das Wesen und die Ge-
staltung des Kunstwerkes in jedem Betrachte feinfühlig
eindringt, das Gefundene darlegt und cs nach den all-
gemeinen Gesetzen beurteilt, welche die besten und an-
erkanntesten, dem Wesen der Kunst rein entsprechenden
Denkmäler an die Hand geben. Sie braucht nicht zu
loben, sie braucht nicht zu tadeln, sic soll untersuchen,
ergründen und seststellen. So bringt eine gute Kritik

Die Werbung, von Adolph Artz.
 
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