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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Neue und alte Kunst
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Tarbutt, Hermann: Die Keinerausstellung des Künstlervereins "Paranoia"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0335

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Neue und alte Kunst.

265

Mittelmäßiges, Mißlungenes vor Augen sehen. Wir
haben uns jetzt von der Antike und den alten Meistern
emanzipiert, wir haben offene Augen für alles Schöne,
Malerische, das uns ans Schritt und Tritt begegnet,
und das ist doch wohl die beste Art, ihrer würdig
zu werden. Haben denn sie zurückgeblickt?

Die herrlichen Werke der Griechen, wie die der
Venezianer oder Vlamen waren der rechte Ausdruck ihrer
Zeit — gelingt es uns, das mit unseren heutigen Bil-
dern auch zu erreichen, so anders sie auch sind, oder
vielmehr, gerade weil sie so anders sind, ebenso wie
wir Menschen, die wir heute Eisenbahnen, Photographie,
elektrisches Licht haben, auch anders sind wie jene, dann
haben wir genug gethan für alle Zeit. Es steht da
vor mir auf dem Bücherbrett ein vielverbreitetes, drei-
bändiges Werk, es ist Richard Muthers Geschichte
der modernen Malerei. Über das verdienstvolle Buch
braucht nun nichts mehr gesagt zu werden, ich habe mir
aber einmal das Vergnügen gemacht, das Schlußverzeich-
nis aller in dem Werke besprochenen Maler zu zählen.
Nun, es sind 1423 Künstler aus allen Kulturländern
zusammengenommen, und nur die bedeutenderen, die was
eigenes zu sagen hatten, überhaupt. Wäre nun die
Möglichkeit vorhanden, aus der ungeheueren Zahl von
Bildern, die diese 1423 Maler geschaffen haben, das
beste herauszunehmen und eine oder mehrere Samm-
lungen geschmackvoll zusammenzustellen, so würden die,
welche die Kunst des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu
den alten Meistern so gering schätzen, doch staunen über
die mächtigen Errungenschaften unserer Zeit, über die
vielen scharf ausgeprägten Individualitäten, die ihnen
da entgegentreten würden — ihr Urteil wäre gewiß
pietätvoller gegen die eigene Zeit. Kann es einem Ernst
sein, wenn er bei Gegenüberstellung eines Tierstückes
von Potter und eines von Zügel den Fortschritt, die
Weiterentwicklung leugnet, oder bei einem Jnnenraumbild
von Pieter de Hooch und einem von Gotthard Kühl?

Die Hauptcharakteristik der Kunst unseres Jahr-
hunderts liegt in der Auffindung neuer Darstellungs-
gebiete und der Entwickelung der persönlichen Eigenart
des Künstlers. Nenne ich in bunter Reihenfolge Namen:
Millet, Corot, Rousseau, Courbet, Delacroix, David,
Turner, Rethel, Schwind, Ludwig Richter, Menzel,
Leibl, Manet, Bastien-Lepage, Meissonier, Neuville,
Boldini, Pradilla, Walker, Landseer, Rwiere, Israels,
Mesdag, Maris, Courtens,-Kroyer, Zorn, Thaulow, Lilje-
fors, Repin, Sargent, Gabr. Max, Liebermann, Uhde,
Lenbach, Piglhein, Schönleber, Busch, Oberländer, Böcklin,
Thoma, Stuck, Klinger, Besnard, Khnopff, Guthrie, Lavery,
Paterson, Whistler, Solomon, Watts, Burne-Jones u. s. w.
— so sind damit nicht nur einige der markantesten Per-
sönlichkeiten, sondern fast ebensoviele neue, für die Kunst
eroberte Gebiete und Anschauungen genannt.

spinnen am Morgen, von Franz Simm.

Und wir sollten im Ernst so pietätlos sein und unser
Jahrhundert im Vergleich zu früheren gering schätzen?

Die großen Kunstausstellungen, wie die von Paris,
München, London bieten im besten Fall dem Publikum
eine Übersicht über das Schaffen einer ganz kurzen
Spanne Zeit, eines Jahres, es ist bei aller Strenge
mit der, bei den riesigen Massen von eingesandten Bil-
dern, die Aufnahmekommissionen arbeiten müssen, ein
Ding der Unmöglichkeit, nur Bilder von galeriefähiger
Qualität aufzunehmen. Die Ausstellungen bieten uns
also ein Bild zeitgenössischen Schaffens, die guten Gale-
rien alter Meister aber einen Extrakt aus dem Schaffen
früherer Epochen. Ein wirklicher Vergleich alter und
neuer Kunst ist der Zukunft Vorbehalten. Daß dann
die Malerei des 19. Jahrhunderts in ihrer Vielgestaltig-
keit, in ihren revolutionären Neuerungen und heißen
Mühen als rechter Ausdruck unserer unruhigen Zeit an-
erkannt und wertgeschätzt wird, soll unsere feste Zu-
versicht sein. s.—v.

Die AeinerauFskellung deF Aünftlerderein^ „Paranoia".*)

von Lermann Tarbutt.

/ländlich ist sie eröffnet, die seit Wochen erwartete
originelle Ausstellung, die keiner früheren gleicht

*) Wir entnehmen diese lustige Parodie der heurigen
Faschings-Nummer der „Münchener Neuesten Nachrichten" in
der Hoffnung, daß sie auch jetzt noch, nach Karneval, unseren
Lesern Vergnügen bereiten wird. Die Redaktion.

und wohl bahnbrechend für unser künftiges Ausstellungs-
wesen wirken dürfte. Ter großen Massenausstellungen
ist man müde; man genießt nicht mehr, wo Bild an
Bild gedrängt die heterogensten Individualitäten neben-
einander verdaut werden sollen. Intimität, Konzen-
tration, Kondensierung wurde die Losung! Aber wo
 
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