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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Boy-Ed, Ida: Erdrückt, [2]: eine Malergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0435

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Erdrückt, von Ida Bo^-Ld.

ihm Modell stehen könne. Er hatte dies Angebot als
rohe Störung empfunden.

Eines Nachmittags, als er heimkam, das Gesicht
braunrot von Staub und Sonnenhitze, auf dem Rücken
sein Gerät, in der Hand eine Düte von Zeitungspapier,
die ein paar Artischoken und etwas Uritts. mista enthielt,
die er sich im Vorbeigehen bei einem Garkoch gekauft,
eines Nachmittags begegnete ihm auf der letzten Treppe
vor seiner hohen Behausung ein Weib.

Eine große Person, beinahe eine gewaltige Figur,
wie die Römerinnen des Trastevere. Aber sie trug ein
sehr modernes Gewand, das beim Schreiten rauschte, als
falle es über gestärkte Weiße Unterröcke und dann saß
auf dem weißgepuderten Gesicht ein Federhut, groß, ver-
wogen, mit weißen und gelben Federn auf Hellem Filz.
Es war Luigia Romaldo, die Tochter der Wirtin, und
die Notwendigkeit, den ganzen Tag mit ihrem Körper,
ihren bräunlich-warmen Farben und zuweilen auch mit
irgend einem italienischen Volkskostüm ihr Geld zu ver-
dienen, machte es der Luigia zur erhöhten Wonne, sich
am Nachmittag kreideweiß zu pudern und sich — natür-
lich ahnungslos — durch eine modische Kleidung von
schlampiger Eleganz zu entstellen.

Sie sah den heraufsteigenden Maler fest an. Er
bemerkte aber nur eine unfein aussehende, zu große
Gestalt mit kalkigem Gesicht.

Dann, als sie aneinander vorbeistreiften, trafen sich
sekundenlang die Augen. Ein dunkler, flammender Blick
zuckte hinüber in des jungen Malers Blauaugen.

Betroffen stand Hans und sah der Frau nach. Ihre
Figur erschien ihm jetzt majestätisch, er sah einen üppigen,
schwarzen Haarknoten.

Er atmete auf — abwehrend. Nein, kein Weib.
Nichts wie Arbeit und Arbeit.

Vier Wochen dauerte das bange Ringen. Wohl
sammelte sich eine Anzahl von Skizzen in Hans Atelier,
allein er wagte kaum sie anzusehen. Die Versuche, durch
Farbenmischungen den bläulichen Silberglanz, der über
der Landschaft ruhte, herauszubekommen, wurden zur
Manie bei ihm.

Da begann es zu regnen. Emen langen Tag brachte
Hans in seinem Atelier zu, seine Skizzen kritisierend,
seine Ohnmacht beweinend. Abends ging er in eine
Osteria, wo er deutsche Kollegen zu finden wußte. Seine
Not drängte nach Aussprache und er erzählte seine Qual
einem Landsmann, dessen behagliches Lachen und dessen
sichere Sprechart ihm Vertrauen einflößte. Er bekam
so viel Trost als er brauchte.

„Das ist der moralische Kater, den jeder kriegt in
der ersten Zeit hier", sagte der Maler und goß sich
und Hans von dem Chianti ein, den Hans hatte kommen
lassen, „das giebt sich. Man ist immer so'n bischen
von der Schönheit betrunken. Dann verduselt man den
Rausch und nachher sieht man's philosophisch an. Wo-
zu in aller Welt haben Sie denn auch den Raptus,
landschaftern zu wollen? Ich denke, unsres lieben Herr-
gotts Ebenbild, das zweibeinige Monstrum Mensch ge-
nannt, ist Ihr spezieller Fall. Ihr Lübe ist ein ver-
rückter Kerl — was Landschaft malen um ein Land
zu verstehen! Wozu überhaupt verstehen? Schnack. Es
ist ja ganz egal, was man malt, wenn's Publikum bloß
kauft. Kopieren Sie, wenn's Ihnen um die Groschen
ist. Wie Sie mich da sehen, habe ich Ihnen schon an

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die vierzig Mal in allen Formaten die heilige Familie
von Andrea del Sarto kopiert, von 500 bis zu 100 Lire.
Und die Bella Tiziana ein dutzendmal, das kleinste
Format zu 50 Lire geht am besten — das Publikum
will gebildet und billig zugleich kaufen. Und sonst ist
es ganz egal, was man malt."

Von dem Trost nahm Hans, was er brauchte, auf
den Trostgeber sah er voll heimlichen Meitleids herab.
Zehn Jahre in Florenz sein und sich zufrieden beim
handwerksmäßigen Kopieren fühlen — denn Hans wußte,
daß der Mann längst nicht mehr das Original, sondern
seine Kopien kopierte — nein, das war eine zu niedrige
Aussicht.

Wer selbst noch im himmelhohen Fluge der Er-
wartungen und Hoffnungen dahinrast, verachtet den, der
sich anstatt mit Kronen mit einem Bißen Brod zu-
frieden giebt. In Hans war noch die volle Stimmung
des Vorsatzes: siegen oder sterben.

Er beschloß, in die Galerien zu gehen, bisher hatte
er noch keinen Fuß weder über die Schwelle des Pitti
noch der Uffizien gesetzt. In der That, es war eine
Thorheit von ihm gewesen, sich mit der Landschaft zu
plagen. Fühlte er doch seine Phantasie erfüllt von
kühnen und eigenartigen Bildern und stolz konnte er
vor die alten Meister hintreten. Ihm war, als würde
das ein Tempelgang sein, wo er in heiligen Hallen
das stumme Gelöbnis thun wollte, sich nicht zu zer-
splittern, sondern das ihm gegebene Pfund recht und
mit ernster Sammlung zu verwalten. Er wollte wie
mit Scheuklappen versehen fortan an Land und Leuten
vorbeiwandern, fleißig von den alten Meistern lernen
und seine eigenen Ideen verkörpern.

Daheim, im Zwang des Lehrganges, hatte er noch
nicht den Mut der eigenen Ideen gehabt und sie ängst-
lich geheim gehalten, wie man Jrrtümer verhehlt. Sie
waren symbolisch-phantastischer Art und eine Reihe von
deutungsvollen Jdealgestalten lebte in seinem Hirn,
inmitten unirdischer Landschaften. Hier aber war er
unbeobachtet, sein eigener Herr, und er konnte trachten,
seine Eigenart herauszuringen aus den anstürmenden
Gedanken.

Und zum zweitenmal begab sich ein Wunder an
ihm. Ja, es war ein Tempelgang, aber die Offen-
barungen der göttlichen Kunst waren zu überwältigend.
Mit wankenden Schritten, fahl unter seiner sonnver-
brannten Haut, das Auge wie trunken und unsicher
umherblickend, so irrte er in den Sälen der Uffizien
umher. Stundenlang stand er an einem Tag vor dem
Frauenporträt von van Dyck und starrte nur immer
auf die Hand, die auf den Falten des schwarzen Kleides
herabhängend, nur vier Finger zeigte. Er hatte das
Gefühl, als ob diese Hand ihn wahnsinnig machen
könne — das war nie, nie zu erreichen. An einem
andern Tag konnte er nicht von dem kleinen Selbst-
porträt David Teniers wegfinden. Das feine, feine,
freche, lebensfrohe Antlitz drückte ihn durch die unaus-
sprechlich scharfe Charakteristik nieder, selbst die Art, wie
der lila Samtüberwurf gemalt war, quälte ihn.

Dann geschah es, daß er unter die alten Italiener
geriet. Es war eine Art von Umspannung aller
Nerven, so als ob man den Saiten einer Geige ganz
plötzlich eine andere Stimmung geben will, und solch
gewaltsames Umstimmen hat schnelle Erschlaffung zur
 
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