Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

DOI Artikel:
Boy-Ed, Ida: Erdrückt, [3]: eine Malergeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0455

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Von Jda Bo^-Ed.

359

„Nimm's doch nicht tragisch. Zu Eigenem ringt
mancher sich erst allmählich durch."

„Geht!" schrie Hans wieder. Dann war er allein.

Nachempfunden! Nachempfunden! Erstarrte sein Werk
an. Ja, jedermann
würde sprechen wie der
Freund eben: lieber
eine ehrliche Kopie
als solche ideenarme
Nachbildung.

Ideen? Wo
waren seine Ideen
hingekommen?

Hatte er je wel-
che gehabt!

Er erinnerte sich
wohl, wie einst sein
Kopf von Plänen
glühte, wie viel
Bilder seine Phan-
tasie gemalt.

Derblausilbrige
Duft der italienischen
Landschaft hatte sich
zuerst wie ein Schleier
zwischen ihn und sein
Eigenleben gelegt,
dann hatten mit ihrer
übergewaltigen Ma-
jestät die Unsterblichen
in den Uffizien seine
Phantasie zermalmt
und endlich war das
schöne Weib gekommen
und hatte vampyr-
gleich die Reste der
Gedanken aus seinem
Hirn gesogen.

Er hockte am
Erdboden und sah
wirr von einem Bild
zum andern. Er schrie
sie an, als seien sie
Lebewesen, könnten
hören und ihm ant-
worten.

„Gebt mir meine
Ideen wieder!"

„Gebt sie mir
wieder — wieder."

Stunden schlichen
hin. Luigia war mit
den anderen Malern
fortgegangen, denn sie
hatte beschlossen, daß
von nun an diese
Liebschaft ein Ende
haben solle.

So störte ihn niemand.

Oft saß er mit geschlossenen Augen lange wie ein
Schlafender. Dann fuhr plötzlich ein Schreck durch
seine Glieder, daß sie schlotterten. Seine Lippen
murmelten Unverständliches.

Bildnis seiner Tuchler, von Franz Simm.

Dämmerung kroch heran, spät und dann sehr schnell
in Dunkelheit übergehend.

Aber für die Augen des Unglücklichen blieb es hell
im Raum. Er sah seine Bilder, sie hatten Leben und

Gestalt. Er fluchte

ihnen, es waren

seine Henker.

Und als er mit
ihnen so haderte,
schienen sie Rache

nehmen zu wollen.
Sie stürzten herab
und fielen mit ihrer
Schwere alle, alle auf
ihren Schöpfer unt-
erdrückten ihn.

Er rang sich
empor, schweißtrie-
fend, keuchend, als
lägen sie wirklich auf
ihn gehäuft. Und
dann schienen sie doch
wieder noch an der
Wand zu hängen? Er
lachte gellend den
Spuck an. Taumelnd
ging er an den Wän-
den entlang nnd
tastete mit hocherho-
benen Händen, ob
die Bilder da seien.
Und dann packte ihn
Raserei und wild
schlug er gegen die
Bilder, wohin er mit
den Fäusten traf, durch-
stieß Leinwände, zer-
schlug Rahmen, kratzte
an den Wänden.

Und der grause
Lärm lockte Nachbarn
herbei. Licht bestrahlte
den wüsten Raum und
den wirren Mann da-
rin, der mit blutigen
Fäusten wider die
Wände schlug und sich
nun wie ein Raubtier
gegen dieVenus warf.

Eine Stunde spä-
ter sah stiller Mond-
schein in das Atelier
und auf die Trümmer,
die das letzte Zeug-
nis waren eines sieb-
rischen Ringens.

Der Mann, der
hier gelebt, war fort-
geschafft worden. — Die Wogen der Schönheit waren
zu übermächtig gegen ihn herangerauscht und da seine
Kraft noch nicht ausreichte, sich von ihnen tragen zu
lassen, hatten sie ihn verschlungen.
 
Annotationen