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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Das Lächeln des Michel-Angelo: ein Erinnerungsblatt aus Florenz
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Personal- u. Atelier-Nachrichten - Vermischte Nachrichten - Kunstlitteratur u. vervielf. Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0475

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Das Lächeln des Michel-Angelo. — Personal- und Atelier-Nachrichten.

Z75

Simi ist dem überall wohlangesehenen jungen Manne
sehr gewogen und sähe in der Welt keinen andern lieber
zum Tochtermann als Egisto Guicci.

Den schwachen, künstlichen Damm brechen die
hochaufwallenden Wogen des Glückes in beider Seelen.

Da sehen sie vor sich, ihnen entgegen kommend, den
Finstern, Vergrämten, mit sich und der Welt Zerfallenen,
Ringenden, Michel-Angelo.

Und urplötzlich flammt in des Mädchens Brust jene
große Menschenliebe auf, die in edlen Herzen unter der
Sonne des Glückes sproßt, die von ihrer eignen Selig-
keit Teil geben muß, deren Mitleid so tief und heilig,
so heiß, so ergreifend und unbezwinglich ist, daß cs so-
gar den Neid verstummen macht.

Des neuen Empfindens voll wendet sie sich zu dem
Bräutigam mit thränenden Augen: „Wir, die Kleinen so
selig, jener Große dort ohne Glück! Könnten wir doch
von dem unfern ihm geben, einen Tropfen nur, nur für
einen Augenblick ihm ein Lächeln entlocken!" Der Bräu-
tigam erwidert in glücklichem Stolze: „Wäre Sor
Buonarotti an meiner Stelle, o Giovanna, und dürft'
er deine Lippen küssen, wie ich will und muß, Giovanna,
ich glaub's wohl, er lächelte da."

Und das Mädchen verhindert den Jüngling daran,
tritt auf den Meister zu und sagt: „Messer Buonarotti
vergebt meiner Kühnheit. — Schier berauscht bin ich
und stolz, und glücklich gemacht über die Maßen in eben
diesem Augenblicke durch die Liebe dieses Jünglings, der
mich als Braut umfangen will; der mich eitel machen
wollte, indem er meinte, selbst Ihr, o Meister, würdet

Die Verkündigung des neuen Morles.
Zeichnung von Giovanni Segautini.

nicht verschmähen von meinen noch unberührten Lippen
den ersten Kuß zu nehmen; das Einzige, das Beste, was
eine Florentinerin Euch bieten kann."

Da lächelt Michel-Angelo. Ein schönes, großes,
volles, olympisches Lächeln hellt sein Antlitz auf. Er
küßt die dargebotenen süßen Lippen; beugt sein Haupt
nieder auf Giovannas weiße Hand, auch diese zu küssen,
und erwidert:

„Wahrlich, edle Jungfrau, noch nie hat mir Florenz
eine lieblichere Gabe geboten. Seid bedankt und möge
das Leben allzeit so gütig mit euch verfahren, wie ihr
in diesem Augenblicke mit mir."

Michel-Angelo lächelt ihnen noch einmal zu und
geht weiter.

Donna Giovanna aber lächelt nicht mehr, so wie
früher nie wieder! Und alle Küsse des geliebten Gatten und
der vielen schönen Kinder, mit denen ihre glückliche Ehe
gesegnet war, konnten den Kuß nicht verlöschen, mit dem
ein gewaltiger Genius, wie flüchtig auch immer, ihre
reinen Lippen berührt. Sie hat ihn nie vergessen, diesen
Kuß, der wie ein Hauch göttlicher Weihe ihr gewesen
war, der etwas in ihre Seele hineingetragen, das in
dem engen Rahmen ihrer stillen Tage keinen Platz hatte,
das wieder hinauf wollte zu den Großen, von denen es
kam, die Seele ihrer Seele heimlich mit sich fortreißend.

L.-v. Darmstadt. Der Bildhauer Ludwig Habich erhielt
von dem Großherzog von Hessen den Auftrag, eine lebensgroße
Büste, sowie eine Statuette der Grobherzogin anzufertigen und für
einen Sarkophag des verstorbenen Großherzogs Ludwig IV. Ent-
würfe vorzulegen. Derselbe Künstler wird für das Grab des Malers
Heinz Heim im Auftrag der Familie ein Reliefmedaillon Herstellen.

— Wiesbaden. Für ein hier zu errichtendes Bismarck-
denkmal waren auf das erlassene Preis-Ausschreiben hin 18 Mo-
delle eingesendet worden. Das Resultat ist gewesen, daß eine
neue engere Konkurrenz ausgeschrieben werden wird, an der sich
nur vier von den bewerbenden Künstlern und zwar, Robert Bär-
wald, Ernst Herter, G. Eberlein und N. Pfretzschner
beteiligen sollen. jb-so;

^Nürnberg. In Anerkennung seiner Wirksamkeit
bei der Gestaltung der heurigen Bayer: schenLandes-Aus-
stellung ist dem Sekretär und Bibliothekar des hiesigen Ge-
werbe-Museums, Dr. Paul Joh. Ree, die Ludwigs-Medaille,
Abteilung für Industrie, von Sr. K. H. dem Prinzregenten ver-
liehen worden. ieisis

— London. Sir John Everett Millais, der
Nachfolger Leightons in der Präsidentschaft der Royal Academy
ist am 13. August nach längeren Leiden, die schon seit Monaten
das Ableben erwarten ließen, gestorben. -Our populär Printer-,
dieses bereits im Jahre 1882 in einer angesehenen englischen
Zeitschrift gebrauchte Epitheton charakterisiert knapp und schlagend
die Stellung, welche der Verstorbene in der englischen Kunst, für
die er als ein echter Typus angesehen werden kann, einnahm.
Am 8. Juni 1829 zu Southampton geboren, begann Millais
seine künstlerische Ausbildung bereits mit 9 Jahren und trat 1840
in die Akademie zu London. Er, der jetzt als deren Leiter ge-
storben ist, kehrte ihr einstmals, unzufrieden mit ihrem Unterricht,
ostentativ den Rücken, indem er sich, achtzehnjährig, mit
D. G. Rossetti und Holman Hunt zur >?rae Haünelite Lrotber-
boock- verband und sich einem neuen Ideal zuwendete: der
Natur, wie sie den jungen Künstlern auf den Bildern der älteren
italienischen Schulen erschien und nicht, wie sie dieselben in der
Antike dargestellt fanden. In Burne-Jones hat diese Bewegung,
deren Einfluß im heutigen Kunstleben noch deutlich zu verspüren
ist, ihre höchsten Triumphe gefeiert, Millais hat nicht ganz ein
Jahrzehnt ihren Stil beibehalten und man kann sagen, daß gerade
die später erfolgte Wandlung kennzeichnend für das echt englische
Wesen unseres Künstlers ist. Aus der überzarten geistigen
Atmosphäre der Werke seiner präraffaelilischen Epoche ist er zum
 
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