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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 4 (April 1932)
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Parnitzke, Erich: Formen von "Wasser"
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0073

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sie im Ausschnill zu lesen veisuchl, kann es Schwie-
rigkeiten geben. Es zeigt sich z. B., daß C, I oder
D, 2 ebenfalls verwendet werden für „gemasertes
Holz" für „geäderte Steine" usw. Oder A, 2 für „ge-
welltes Haar" oder B, 2 — oben — für „Schafwolle".
In diesen Fällen eines noch nicht genügend speziali-
sierten Symbols verhilft zur „Eindeutigkeit" außer der
Lage die Farbe!
Entweder sind die Wasserstriche insgesamt in Blau
gezogen (oft auch schon wechselnd in Hell- und Dun-
kelblau) oder der Blauton ist ganz drüberweggetuscht,
oder er ist Grundierung, auf welcher die Musterung
aufgetragen istl Die Farbe ist etwas, mit dem von
vornherein gezeichnet wird, oder das hinterher aus-
füllt oder sich darüberlegtl Das geschieht gleicher-
maßen auf Weiß, wie auf Schwarz (Tafel), auf braunem
oder blauem Papier. Häufigste Bildform des Kindes-
alters ist die angefärbte Zeichnung. Wenn in die be-
reits ausgemalten Flächen hinterher etwas gezeichnet
werden soll, gibts Schwierigkeiten. Und es gibt erst
eine das Auge vollbefriedigende Lösung, wenn der
große Schritt getan wird zur vorbedachten Umkehrung
des Arbeitsvorganges: zur Untermalung, der eine far-
bige Übermalung folgt. Gegenüber dem ersten Ver-
fahren, das für einzeln gemeinte Dinge an einem all-
gemeinen gleichwertigen (gleich-geltenden) Grund
genüge findet, bedeutet das: mehrere Gründe im
selben Bild unterscheiden zu können. Gründe, die
noch nichts zu tun haben mit der späteren Unterschei-
dung nach „Vorder-, Mittel-, Hintergrund", sondern
neben-wertig sindl Der Britsch'sche Ausdruck
„gleichgültig" hat einen wertvollen Doppelsinn für die
früheste 'Bildhaltung, indem er zugleich meint: gleich-
geltende Umgebung, gleichwertige U-Zone um jeden
Einzelbestand und: nur als Substanz, nur als Platz
beachteter Grund, der schon „da" ist. Sobald darauf
ein zweiter verwirklicht wird und ein dritter (blaues
Wasser, braunes Boot, weiße Segel), gibt es neben-
gültige „Gründe". Formen wie A, 2 und B, 2 —
oben — verleiten immer wieder dazu, von einer Ver-
wandlung der „dreidimensionalen" Vorstellung der
„hintereinanderlaufenden" Wellen in „flächiges" Über-
einander zu sprechen. Dieser Begriff ist falschl Es geht
hier um nichts anderes, als: in der Abgrenzung für
Bach oder Fluß oder Teich oder Meeresfläche „viele
Wellen" unterzubringen. Und es zeigt sich, daß schon
uranfänglich (sofern nicht nur ein Richlungsstrich das
ganze Wasser repräsentiert) diese vielen Wellen
nicht wörtlich übereinandergereiht, sondern mit un-
verkennbarer Absicht als „überall" angebracht wer-
den, daß der „sicherste" Ausdruck dafür die Staffe-
lung ist, d. h. das „auf-Lücke-Stehen"! So daß man
folgern könnte, es handele sich selbst bei den „zu-
sammengewachsenen" Einzelwellen — B, 2 oben —
noch gar nicht um echte Überschneidungen, sondern
nur um ein An-einandergefüge. Diese Folgerung ist
keine Spitzfindigkeit; es läßt sich in manchen Belegen
augenmäßig verfolgen, daß A, 2, B, 2 nicht anders zu
lesen sind als C, 2 — ohne die Unterstellung eines
„Hintereinanders", die bereits in unserm Wort „Über-
schneidung" begangen wird. Zumindest müßte man
dann zwei Arten der Überschneidung unterscheiden,
was nebenbei für viele andre Gebilde außer dem
Wasser mitgilt.
Wenn sich die bisherigen Lösungen vielfach solchen
annähern, die allgemein als „gemustert" angespro-
chen werden können, mehr punkthaft sich in das
große Feld einer „Überall" Grundierung verlierend,
mehr streifenrnäßig ebenfalls zum Zeichen einer gro-
ßen Musterfamilie werdend, mehr „geflochten" und
schon mit Richtungsveränderlichkeit wirkend, die mal
so und mal andersherum gelesen werden kann, und
im ganzen „geadert", „geschlungen", sich kräuselnd,
windend und auch wohl überschlagend (man muß
dazu die hier vernachlässigten Bug- und Heckwell-

chen nachlesen), wenn man die verwandten Formen
von Wolken, Tüchern, Haar, Fahnen hineinnimmt in da;
Gebiet des Grenzhaften-Gerichteten-Ausgedehnten,
das Gebiet einer entschiedenen Richtungsgestaltung,
dann heben sich die folgenden Beispiele davon ab
durch ein Merkmal, das bisher fehlte: den grenzloscn
Übergang als Mittel, der Empfindung für die Model-
lierung, für das Relief, für die „Plastik" der Wellen
Ausdruck zu verleihen. Wenn man den Vergleich mit
der Musterung fortführen darf, gehts jetzt aus einer
„Textil"-Stufe hinüber in eine „metallische". Es klingt
eine Substanzwirkung hinein, wie bei gefaltetem Sil-
berpapier, bei Harnmerschlagspuren, bei Punzmustern,
bei gebogenen Blechen. Sprach vorher das „Fädige"
oder „Drahtige" (textil heißt auch Silber- und Gold-
drahtarbeit), so höhlt und rundet sich jetzt ein bieg-
samer Stoff, Dellen empfangend oder Ausbeulungen
von innen. Allerdings scheint das „Metallische" (wenn
man schon vergleicht) eng der Natur des Wassers
verwandt, aber es wäre ein großer Irrtum, zu meinen,
dieses „Metall"-werden wäre daraus abgeleitet wor-
den. Es kennzeichnet im Gegenteil nicht einzelne Na-
turgegenstände, sondern den Kunst-Zustand gewisser
Epochen, aus dem heraus Baum wie Mensch, v/ie
Wolke usw. „metallisch" werden, so wie vordem das
„Fädige" eigne Kunstformen spinnt. Wenn der Gegen-
stand des Kunstunterrichts das Bild ist (und nicht die
Naturgegenstände — mit denen es andre Disziplinen
hinreichend zu tun haben), dann muß das Interesse
des Kunstlehrers notwendig auf den Kunstzustand ge
richtet sein in den Arbeiten der Schüler. Den Kunst-'
Zustand selber kann man nicht schaffen, man kann
nur sorgen, daß aus dem jeweiligen Zustand heraus
etwas Rechtes und Ganzes gebildet werde, dessen
Prädikat schön oder nicht-schön heißen kann, aber
nicht im naturwissenschaftlichen Sinne richtig oder
nicht-richtig. Die eigentümliche Verbindung des Be-
wußtseins vom Bilde der Natur mit der Natur im Bilde
einrechnend, kann man auch sagen, es sei Aufgabe
des Kunstunterrichts, die Natui „schön" sehen zu leh-
ren, auf jeden Fall aber geht es darum, die Meinung
von nur einer Art Schönheit weder selber zu hegen,
noch besinnungslos den Schülern einzuimpfen. Ta, es
kann nötig werden, sie — d. h. die Schüler — vor be-
stimmten Arten von „Schönheit" zu bewahren in der
Arbeit, damit etwas Ganzes daraus werde aus dem
jeweiligen Werkstück und das Erlebnis der Ganzheit
haften könne als unentbehrliches Ergebnis, das eine
Kunstlehre von einer Naturlehrstunde unterscheidet.
Ich will dazu eine Erläuterung geben. Vor der Natur
arbeite eine Oberklasse Boote auf dem Wasser. Es
liegen da weiße, bunte (in den energischen Anstrich-
farben) und braune, teerfarbene Fahrzeuge. Drei Fälle
des Einsetzens seien herausgehoben. X meint die bun-
ten Rümpfe, den schönfarbigen Akkord und „fällt auf
das Wasser herein". D. h. auf die gerade wahrnehm-
bare „Natur" in vielfach gebrochenen, veränderlichen
Farben! Er kommt zu keinem ganzen Bild, wenn er
nicht adäquate Umgebungsfalben dem angeschlage-
nen „Thema" anschafft, d, h. das Wasser aus dem
gleichen Kunstzustand gestaltet. Y ist umgekehrt in
einem Kunstzustand, der mit den Beweglichkeiten und
Brechungen des Wassers fertig wird. Er fällt auf die
bunten Bootsfarben herein und zerbricht sein Bild.
Man muß ihn belehren, sich die Gegenstände auszu-
wählen, die er eher feinfarbig ausdeuten kann, z. B.
die teerfarbenen Boote, auch die weißen. Z ist erpicht
auf die schön geschweiften Formen, auf das volumi-
nöse Rund- und Gebuchtetsein der Boote. Er läuft
Gefahr, auf das Wasser hereinzufalien gleich X. Was
kann man tun? Ihm das Erlebnis der Förmigkeit des
Wassers nahebringen, sage ich. Ihm das „Gesetz"
des Wellenbaues nahebringen, das gerade sich ab
spielt! Mittel dazu kann die Zwischenaufgabe sein,
dies in Ton zu modellieren, es kann auch sein das

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