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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 5 (Mai 1932)
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Abramowski, Paul: Kunsterziehung und ihre Aufgaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0090

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Goethes Ratschlag soll man in erster Linie „die Dinge
auf sich wirken lassen”, um zur Erkenntnis zu gelan-
gen. Wir Kunstpfleger an den Museen reichen Ihnen
gc'in hilfreiche Hund dazu, etwa in Form des zwang-
losen Gedankenaustausches bei unseren Führungen.
Ich habe Ihnen die Art des früheren Zeichenunter-
richts darum ins Gedächtnis gerufen, damit sich die
bereits angedeuteten Aufgaben des neuen Zeichen-
und Kunstunterrichts davor klarer abheben. Dieses
Fach ist heute an den höheren Schulen, und zwar
durch alle Klassen hindurch, zum Träger jugendlicher
Kunsterziehung geworden. Sie fruchtbar zu gestalten
heißt in erster Linie auf jenen naturgegebenen Genius
j im Kinde einzugehen und ihn als Spiritus rector anzu-
erkennen. Das eifordert von seiten des Lehrers natur-
gemäß einen außerordentlich hohen Grad an Einfüh-
lungsvermögen gegenüber dem Kinde und heran-
wachsenden jungen Menschen. Nicht jedem ist die
Gabe gegeben, und man wird sagen dürfen, sie wird
sich praktisch umso tiefer auswirken, je mehr die
Leitung in den Händen eines wahren Freundes des
Kindes und besonnenen Künstlers liegt. Denn das
ist der grundlegende Unterschied gegenüber dem
technischen Abgerichtetwerden von ehedem und der
geistigen Führung gegenwärtigen Unterweisens, daß
das Lehren von heute in einem Hervorlocken, Ermun-
tern, unmerklichen Leiten und Vermitteln sich auswirkt.
„Alles Lehren ist mehr Wärmen als Säen," sagt Dean
Paul. Nirgends trifft das mehr zu, als gerade für den
Bereich dieses Unterrichtsfaches.
Seine Methode in ihren Einzelheiten auszubreiten,
ist fast unmöglich. Das liegt auch nicht im Rahmen
dieses auf das Grundsätzliche eingestellten Vortrages.
Es ist darum unmöglich, weil ja die Tätigkeit des
Kunsterziehers nach dem eben Gesagten ganz auf
das Individuelle gerichtet sein muß. Sie ist ein Wirken
von Mensch zu Mensch und fast immer dazu noch ein
wechselseitiges Einwirken. Der Kunsterzieher
hat nicht ein vorgeschriebenes, starres „Pensum" zu
erledigen, damit die Schülerschaft einer Klasse nach
Ablauf des Schuljahres bestimmte Fertigkeiten des
Zeichendrills erlangt, sein heutiges Pensum ist uner-
meßlich und auf weite Sicht eingestellt, mit einem
Wort: Es ist psychogenetischer Natur. Das bedingt
seinen geistigen Charakter. Es kann Vorkommen, daß
bei hundert Kindern die Einwirkung des Lehrers hun-
dert Mal, also in jedem Falle, verschieden sein muß
und zwar nicht allein auf Grund verschiedener Reife,
verschiedenen Alters und Geschlechts, sondern eben
darum, weil jedes Kind von Natur aus in seinem Aller-
eigensten und damit in seinem schöpferischen Gestal-
tungstrieb grundverschieden veranlagt ist. Dieses
Allereigenste aber, sofern es gut ist, sich voll aus-
wirken zu lassen, es zu lenken, ihm seine Entfaltung
zu erleichtern, muß vornehmste Richtschnur des Kunst-
erziehers sein. Der Weg des modernen Zeichen- und
Kunstunterrichts ist, wie Sie sehen, also kein Weg
ungebundenen Sich-Auslebens, aber es ist der ver-
antwortungsvolle Weg der Freiheit.
Natürlich bedarf es in hohem Grade planvollen Vor-
gehens, das mit der entwicklungsbedingten Leistungs-
und Aufnahmefähigkeit, d. h. also mit dem Alter der
Schülerschaft, Schritt halten muß. Danach regeln sich
die Aufgaben. Sie werden sich in den unteren und
mittleren Klassen ganz ausschließlich an die unmittel-
bare Erlebniswelt und Vorstellungsgabe des Kindes
zu richten haben. Doch muß in jedem Falle immer ein
breiter Spielraum gegeben sein, um die Möglichkeit
individueller Auffassung und Gestaltung zu gewähr-
leisten. Nur um anzudeuten, was ich meine, seien ein
paar solcher vor- und darzustellender Aufgaben ge-
nannt. Etwa: Kinder im Walde, die Eisenbahn, Weih-
nachten, Indianerleben, „Auf den Bergen die Burgen",
die Hölle, Erntezeit, Automobilrennen, Fasching usw.
Die Themen sind ja unerschöpflich.

Neben solcher auf innerer Schau beruhender Ge
staltung darf das Beobachten der Außenwelt und die
sachliche Darstellung des Gesehenen m. E. nicht ver-
gessen werden. Doch wird dies vornehmlich Aufgabe
der oberen Klassen sein und braucht mit Kunsterzie-
hung nichts zu tun zu haben.
Um sich eine Vorstellung von der Praxis dieser fri-
schen Methode zu verschaffen, gibt es schlecht und
recht keine bessere Möglichkeit, als selber dem Unter-
richt beizuwohnen. Doch wird das nur in seltenen
Fällen statthaft sein. Umso mehr sollte der Öffentlich-
keit durch häufige Ausstellungen Gelegenheit gebo-
ten werden, an der in stiller Arbeit sich auswirkenden
Kunsterziehung unserer Tugend anteilnehmen zu kön-
nen. Für Breslau wird das z. Zt. durch zwei sich gegen-
seitig ergänzende Ausstellungen ermöglicht, die eine
unter dem Titel „Das Kind zeigt sein Heiz" im Museum
der bildenden Künste und eine zweite im Kunst-
gewerbemuseum, die einen Blick in den Zeichensaal
vermitteln soll. Auf beide sei hiermit besonders hin-
gewiesen.
Erfahrungsgemäß ändert sich mit dem Eintritt in die
Entwicklungsjahre, zugleich mit der Umwandlung und
Entfaltung körperlicher und geistiger Fähigkeiten, auch
der künstlerische Betätigungsdrang des heranwach-
senden jungen Menschen in entscheidender Weise.
An den Kunsterzieher stellt diese Krise die größten
Anforderungen, und es gehört ein beträchtliches Maß
an Nachsicht und beobachtender Hingabe dazu, um
pädagogisch jetzt das Richtige zur Förderung des
Schülers zu treffen. Es kann oft genug die Beobach-
tung gemacht werden, daß bei Kindern, die einen
ausgesprochen starken Gestaltungstrieb zeigten, die-
ser nach und nach zu versiegen scheint. Im allgemei-
nen darf gesagt werden, daß der Zeit kindlicher Pro-
duktivität nun eine Spanne rezeptiven Verharrens folgt,
scheinbar ein toter Punkt, der über lange Zeit an-
dauern kann. Das Endergebnis ist eine Spaltung des
Intellekts, die besonders stark beim Knaben in Er-
scheinung tritt. Diese Spaltung hebt jene wundervolle
Einfalt und Einheit des kindlichen Charakters auf, und
Herz und Verstand werden zu Faktoren, die von nun an
oft genug als Gegenspieler durchs ganze Leben hin-
durch auftreten. Der Zeichen- und Kunstunterricht, der
das nicht beachtet, verkennt seine Aufgabe. Der viel-
fach verworrene Dualismus dieser Übergangszeit be-
dingt, daß die kunsterzieherische Aufgabe von nun an
ein doppeltes Gesicht trägt: sie wird einmal dem star-
ken Drange des Ergründenwollens und andrer-
seits der mehr und mehr sich herauskristallisierenden
Phantasie, die eine Angelegenheit des erwach-
senen Menschen ist und mit der kindlichen Vorstel-
lungsgabe nicht verwechselt werden darf, gerecht
werden müssen.
Jetzt ist der gegebene Augenblick gekommen, den
Schüler mehr als vorher an Aufgaben heranzuführen,
die seinem forschend eingestellten Sehen entgegen-
komrnen. Man wird ihn zeichnen lassen nach Dingen,
die ihn interessieren und die dieses Interesses wert
sind. Technische Gegenstände und konstruktive Ge-
bilde werden oft den Vorzug genießen. Das Wesent-
liche ist jetzt nicht mehr das Erzählen mit Stift und
Pinsel, sondern instinktiv das Beschreiben. Das
schafft die ersehnte Klarheit. Künstlerische Ansprüche
werden notgedrungen manchmal zurücktreten müssen.
Es kommt jetzt auf Klarheit an, auf Sauberkeit (des
Wollens und Schaffens), auf eine gewisse sachliche
Disziplinierung. Das schließt jedoch nicht aus, daß an
den eigentlichen kunsterzieherischen Aufgaben wei-
tergearbeitet wird. Im Gegenteil. Aber sietragen jetzt
ein vorwiegend anderes Gesicht und werden vielfach
dem Theoretischen zugewandt sein. Darauf, daß die
Beschäftigung mit allen in Frage kommenden Pro-
blemen, wie Bildaufbau, Farbenwahl, Ausdrucksgestal-
tung usw. immer in phantasieanregender Weise ge-

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