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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 12.1932

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Heft 10 (Oktober 1932)
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Sartorius, Dorothea: Nadelarbeit im Rahmen der Werkerziehung an der Pädagogischen Akademie Breslau
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https://doi.org/10.11588/diglit.28170#0178

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wuiden aul ihre inelhodisciien und erziehungswissen-
schafHichen Zusammenhänge hin in ausführlichen theo-
lelischen Sonderübungen, die zum Teil wahlfrei waren,
zu klären gesucht. Die grundlegende Arbeit der Er-
weckung eigener Gestaltungsfreude ist deshalb so
unbedingt wichtig, weil die höhere Schule bekannt-
lich hier nicht die notwendigen Voraussetzungen
schafft. Die so im eigenen Tun gewonnenen Erkennt-
nisse handwerklicher Gesetzmäßigkeit bilden alsdann
den Anknüpfungspunkt für die Beurteilung handwerk-
licher Erzeugnisse überhaupt. Sie allein ermöglichen
eine klare Stellungnahme zu neugeprägten Formen in
Handwerk und Industrie. Ohne diesen Weg ist jede
theoretische Erörterung ohne Substanz. Es bedarf wohl
eigentlich nicht der Erwähnung, daß bei der nun fol-
genden Anfertigung von Gegenständen mechanisches
Kopieren vermieden und die jeweilige Form vielmehr
selbständig aus Werkzeug, Material, Zweck und der
persönlichen Gestaltungsfähigkeit gefunden wurde.
Angedeutet sei, daß der Zeichenunterricht diese Auf-
gabe erfüllte, indem er tiefer in die Gesetze .der Form
und Farbe und die Verschiedenartigkeit der spezifi-
schen Ausdrucksmittel einführte. Leimfarbe und Druck-
technik wurden kennengelernt, gemalte Wandfriese
usw. entstanden. Im Werkunterricht wurde z. B. die
Verarbeitung von Flolz, Metall und Pappe in ihren wich-
tigsten Unterschieden kennengelernt. Im Nadelarbeits-
unterricht wurden in gleicher Weise in Häkeln und
Stricken, Hand- und Maschinennähen die Eigenart der
fechnik und ihre Verwendungsmöglichkeiten betont.
Dabei entstanden nun die Dinge des täglichen Bedarfs,
wie Mützen, Söckchen, Handschuhe, Wäsche. Auch
die Ausbesserungsarbeiten wurden berücksichtigt. So
wurde an dieser Stelle den ökonomischen Notwendig-
keiten Rechnung getragen, aber mit vertiefterer und
umfassenderer pädagogischer Grundlegung, als es
bei einer nur aus dem Zweckgedanken abgeleiteten
Absicht sich ergeben hätte.
An die pflichtmäßige Ausbildung schloß sich eine
Vertiefung für besonders Interessierte in Form des
Wahlsystems, wie es auch für die wissenschaftlichen
Fächer üblich ist. Hier galt es, die in den Pflichtübun-
gen gestreiften Probleme eingehender zu behandeln
und in gesteigertem Maße die geistige Lebendigkeit
im Gestalten des Rohmaterials zu wecken, um so aus-
giebiger an die schöpferischen Kräfte heranzuführen,
jus denen die Volkskunst erwuchs, und deren noch
jetzt jede Mutter bei der EiziehurYg ihrer Kinder und
der Pflege ihres Heims bedarf, und ohne die auch die
kulturellen Höchstleistungen von Handwerk und Indu-
strie nicht möglich sind. Wie für den Zeichen- und
Werkunterricht die Aufgaben entsprechend erweitert
wurden, so wurden im Nadelarbeitsunterricht Perlen
und Holzknöpfe zu rhythmisch geordneten Ketten oder
ru allerlei anderen Gestalten der Phantasie gefügt.
Die Faltübungen aus Papier ließen ein ganzes Faltdorf
entstehen. Das farbige Trikotzeug alter Strümpfe, Stoff-
reste und Watte ergaben im Verein mit Ton und Holz-
slaben die Gruppenarbeit „ein Jahrmarkt", wofür jede
Studentin eine Charakterpuppe lieferte als Ergebnis
persönlicher Gestaltungskraft und verfeinerten Mate-
I nialgefühls. Außerdem wurde gewebt, zuerst auf den
einfachen Webapparaten, dann aber mit besonderer
Vorliebe an den großen Flachwebstühlen. Welche
Giünde waren für die Aufnahme dieses Arbeitsganges
maßgebend? Das Weben ist in seiner strengen Bin-
dung an die im Webprozeß enthaltenen Möglichkeiten
lui das Verständnis echter Werkarbeit im allgemeinen
von großem Wert. Im besonderen bildet es die Grund-
lage für die Herstellung der meisten textilen Erzeug-
nisse. Die Arbeit am Webstuhl führt daher am unmit-
telbarsten in das Verständnis für Textilwaren ein und
gibt den besten Ubeiblick über die Entwicklung vom
einlachen Webstuhl zu den komplizierten modernen
Maschinen, der schließlich auch durch den Besuch

einer mechanischen Spinnerei und Weberei gefördert
werden kann. Sie ermöglicht besonders auch in Schle-
sien das Anknüpfen an schwindende Volkskunst. Man-
cher nicht mehr gebrauchte Webstuhl könnte für den
Unterricht nutzbar gemacht werdenl Ich darf wohl
sagen, daß viele Studentinnen mit wachsendem Inter-
esse an den Webstühlen gearbeitet haben. Daß selbst
Studenten wiederholt webten, zeigt, wie fließend die
Grenzen für Arbeitsgebiete sind, die man gern als
speziell weibliche bezeichnet, wie sehr Arbeit am
sinnlichen Stoff und Kunsterziehung bei beiden Ge-
schlechtern zunächst grundlegend unterbaut werden
können, und wie wenig sie an die Verarbeitung be-
stimmten Materials gebunden sind. Damit ist nichts
Grundsätzliches gegen die Tatsache gesagt, daß in
der weiteren pädagogischen Betreuung von Knaben
und Mädchen notwendige wesentliche Unterschiede
bestehen. Für das 3. und 4. Semester waren dann eine
Vertiefung der verschiedenen Arbeitsgänge und, da-
mit verbunden, die erweiterte Herstellung von Zweck-


formen vorgesehen, für Nadelarbeit z. B. Wäschenähen
und Schneidern. Stets unter dem übergreifenden Zu-
sammenhang der Idee des Gestaltens wurden die
ökonomischen Aufgaben der Nadelarbeit gelöst. Auf
der festen Grundlage selbst erworbener Erkenntnisse
wurden dann zusammenfassend die Überschau über
die verwandten Kullurgebiete, besonders auch die
Volkskunst, gepflegt und die Stellung der Nadelarbeit
zu dem Wirtschaftsleben und den sozialen Aufgaben
unserer Zeit deutlich gemacht. Der Abbau der P. A.
bereitete unserer Arbeit leider ein unerwartet schnel-
les Ende.
Den stärksten Ausdruck fand die unter einheitliche
Gesichtspunkte gestellte Werkerziehung in der Ge-
meinschaftsarbeit, an der alle drei Gebiete der bil-
denden Kunst gleichmäßig beteiligt waren. Eine solche
war u. a. das Kasperltheater. Hier wurde das Theater
gebaut, wurden Kulissen gemalt, für die Puppen Köpfe
modelliert und passende Gewänder genäht. Jeder ar-
beitete im Dienste einer einheitlichen bildnerischen
Idee. Derselbe Geist der Gemeinsamkeit zeigte sich
in den Akademiefestlichkeiten. Gemalte Plakate, Pa-
pierlaternen und Fabelwesen zauberten ein farben-
frohes Bild hervor, das durch oft selbst genähte Ko-
stüme abgerundet wurde. Es war geplant, diese Ge-

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