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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1898)
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Hart, Julius: Berliner Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0018

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diese Naivetäten des Dilettantismus, auch wenn er sich geschickt anstellt, ver-
lohnt es sich nicht zu reden. Wie Burckhard in sciner „Bürgermeisterwahl"
nach Hauptmann hinüberschielt, wührend er im „Katherl" mit derselben An-
passungsfähigkeit dem derbstofslichen Vorstadtbühnennaturalismus Kretzers folgt,
so ist Georg Engel ein Sudermannjünger. Er bringt uns eino Duodezaus-
gabe von ihm, aber versteht sich nur sehr schlecht auf dessen theatralische
Taschenspielerkunststückchen und sein Geschick in der Erfindung und Erzählung
romanhafter Handlungen. Sein Schauspiel .Abschied" ist einc rührselige, in
Thrärien schwimmende Jfflandiade von dem Elende der armen Leute, die kcine
— Million zu verzehren haben, von der Not einer eitlen Thörin, die nach
dem Verlust ihres Vermögens noch immcr die reiche Frau spielen möchte und
zu diesem Zweck fremde Gelder unterschlägt. Eine Charakterfigur hat der
Verfasser auS dieser Gestalt nicht geschaffen, sondern nur die Sentimentalität
für sie zu wecken gesucht, aber wir ärgern uns über die unreife Menschen-
kenntnis Engels, der unsere Sympathie für eine so ganz und gar unsympa-
thische Närrin beansprucht. Sie verlangt von ihrem Sohn, daß er um der
Ehre des Hauses willen eine Geldheirat mache, er aber licbt ein armes hold-
seliges Mägdelein, — und damit stchen wir nvch einmal inmitten des aller-
trivialsten und verbrauchtesten Roman-Konfliktes. Das Ganze hat mit mo-
derner Kunst ganz und gar nichts zu thun und könntc sehr wohl im Anfang
dieses Jahrhunderts geschriebcn sein. Nur gibt es hier und da einige Stcllen,
die man sofort als unmittelbare Erinncrungen an Jbsen, Hauptmann und
Sudermann erkennt. Die Freie Bühnen-Bewegung ist heute schon auf das
»Dramaturgische Jnstitut" gekommen, wolches geradezu den Geist dieser Be-
strebungen unfreiwillig parodiert. Es will den Theaterleitern mahnend vor-
stellen, an welch köstlichen Erzeugnissen sie blind vorübergehen, und führte zwei
Stücke auf scin Lustspiel „M. d. R." und ein Volksstück „Unlauterer Wettbe-
werb"), die der alleruntersten Geschmackssphäre angehürtcn und dazu noch ganz
unbeholfene Anfängerwcrke waren. Derartige Dramen verschwinden mit Recht
tüglich zu Hunderten in dcn nur zu dieseui Zwecko aufgestellton Papierkörben.
Unter all diesen Kleinsten und Alltüglichsten steht Ernst RoSmer noch immer
als ein großes und originales) Genie da. Ueber die „KönigSkindcr" dieser
Schriftstellerin dars man selbst in crnsthaften Künstlerkreisen sprechen, ohne daß
man sich damit gleich bloßstellt. Jn ihrem eigentlichcn Kern und Wesen ist
auch sic trotz der naturalistischen Kleider, die sie gcstcrn, und trotz der symbo-
listischen Gewänder, die sie heute anlegte, cinc Sentimentalitätspoctin von der
Richtung der Hausbackcncn, die allcrhand Rührendcs und Trauriges aus der
Familiensphäre zu crzählen wissen. Ein Knabe und cin Mügdclein haüen sich
über alle Maßcn licb. Aber es geht ihnen gar zu traurig, und die bösen Men-
schen stoßen sie unbarmherzig von stch und geben ihnen nicht einmal satt zu
essen, bis sic schließlich, wie Rückcrts fremdes Kind, am Weihnachtsabend ver-
hungern und erfrieren. Das ist das Eigcntliche und Echte in ihrem Mürchen-
spiel, und wäre das schlicht, einsach und volkstümlich, mit dem Zauber wirk-
licher Lyrik dargestellt, so hätte man cine künstlerisch-organische, innerlich wahre
Schöpfung empfangen. Aber Frau Rosmer ist nichts weniger als ein Lyri-
ker, und ihre Verse gehen ganz hart und tot ohne alles rhythmische Gefühl
einher. Noch vicl weniger ist sie naiv, sondern eine sehr ehrgeizige Dame, die
durch Bildung ersetzen möchte, was ihr an Ursprünglichkeit abgeht. Sie pumpt
ihre Kunst auf und wird dadurch unwahr. Sie glaubt, rvenn sie die moderne
Form, den Stil und die Manier Anderer sich ancignet, so besitze sie Geist und
 
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