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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 14 (2- Aprilheft 1898)
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Semrad, Josef: Wiener Theater
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Sommer, Hans: Die Wertschätzung der Musik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0054

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raser" zur ersten Aufsuhrung zu bringen. Der Verpflichtung dieses Theaters
zur Pflege des klassischen Drainas wurde ein Tag der Woche geopfert. Jeden
Donnerstag bringt cs zn halben Preisen und in halben Besctzungen den halben
Text irgend eines klassischen Stückes zur Darstellung. Was cbsn von st-8 bis
*/2^o llhr geboten werden kann. Längere Vorstellungen gehören in diesem
Theater zu den größten Seltenhciten.

Das Carltheator, unsere ülteste Kasperlbühne, hat sich in diesern Wintcr eben-
falls als Schauspielbühne versucht. Es brachte „Das neue Ghetto" von Theodor
Herzl, „Freiwild" von Arthur Schnitzler, „Ledige Leute" von Felix Dörmann u. a.
zur Aufführung. Daneüen liefen Overetten und ein paar Pariser Schwünke. Dieses
Theater hat sich das zweifelhafte Verdienst erworben, die Judenfrage wieder
einmal auf die Bühne gebracht zu haben. Das Stück ist von einem Juden
und ausgesprochen tendenziös im Sinnc des Judentums. Finden das die
Leute, die heute unser Theaterlebcn beherrschen, ganz in der Ordnung, — so
sragt man sich choch: was würden sie sagen, wenn ein Nichtsude dasselbe
Thema in abmeichendem Sinne behandelt hätte? Der Einbruch der Barbarei
in die Kunst wäre sicherlich verkündet worden.

Unsere vierte Schauspielbühne, das Raimund-Theatcr, stand in diescm
Winter ganz unter der Herrschaft des LokalkomikerS Girardi, nur die Wiener
Posse blühte. Der Versuch, dieses Volks-Theater dem sranzösischen Kokotten-
Drama („Fall Clemenceau", „Frou-Frou", „Ciprienne") zu crschließen, scheint
geschäftlich nicht geglückt zu sein, denn er wurde rasch wieder aufgegeben.

Schlimm steht es gegenwärtig mit der Operette in Wien.

Unsere einzige Operettenbühne. das Theater an der Wien, hat sich heucr
mehr der komischen Oper gewidmet als seinem eigentlichcn Genre. Seitdem
Strauß und Millöcker alt geworden, Suppe und andere gestorbcn sind, ist es
still im Wicncr Musikleben, soweit es sich auf unsere Vorstadtbühncn erstreckt.

Nur in der Wiener Hofoper ist es laut. Der neuc Dirertor Mahler,
welcher diescs Theater scit dem vorigen Herbst leitct, hat es sehr stark in dcn
Vordergrund des öffentlichen Jnteresses gerückt. Er kam als Reformator und
geberdet sich Tag für Tag als solcher. Es war manches faul geworden unter
der achtzehnsährigen Direktion Wilhelm Jahns, aber Mahler sängt, fürchte ich,
an, seine Stellung zu verkenncn. Er reformiert nicht blotz alte Vorstellungen,
entläßt beliebte Sänger, zerzankt sich mit den Kapellmcistern, er kanzelt auch
Autoren bei den Proben ab und macht dem Publikum Vorschristen, sperrt die
Zuspätkommenden aus u. s. w. Deshalb spricht man dem schneidigen Direktor
keine langc Lebensdauer zu in Wien. Seine bisherigen Autoren, die er teils
schon vorgeführt, teils angekündigt hat, sind: Smetana, Tschaikowsky, Moß-
kowski, Leoncavallo und Nubinstein. Datz es eine deutsche Musik gibt, erfahren
wir in Wien nur aus den Werren der Klassiker. Ioses Semrad.

Die Mertscbützuilg der /Dusik.

(Fortsetzung.)

Unsern Nationalökonomen und Gesetzgebcrn, die sich so besorgt zeigen,
wenn es sich um die Eintrüglichkeit z. B. unserer Branntweinbrennereien han-
delt, sei dieses Kuriosum zur gründlichen Erwägung vorgelegt. Wollte man
wirtschaftlich ähnliche Verhältnisse heranziehen, so künnte man etwa an den
Forstbetrieb denken, in dem Säen und Ernten zcitlich ebenfalls weit ausein-
 
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