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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 14 (2- Aprilheft 1898)
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Semrad, Josef: Wiener Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0052

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MUener Tbcater.

Die Winterspielzeit unserer Bühnen neigt sich bereits dem Ende zu
Mannigfache Ereignisse haben sich vollzogen, aber auf eines, das mit der
Kunst etwas zu schaffen hätte, haben wir bis hcute vergeblich gewnrtet. Ju
eincm viel höhercn Maßs alS sonst gewann man den Eindruck, datz das heu-
tige deutsche Theater ein großer internationaler Jahrmarkt sei, auf welchem die
Zwischenhändler mit Literatur das grotze Wort führen und — die Tantidmen
heimtragen. So weit der Blick reicht: kein Gedanke, kein Ziel, keine That.
Bon einem ganz besonderen Mißgeschick war unsere allererste Bühne verfolgt,
das Burgtheater. Es eröffnete am September v. I. die neue Spielzeit und
bot uns einen erncucrten Zuschauerraum. Die Klagen gcgen schlechtes Sehen
und Hörcn sollten verstunimen, Hunderttausende waren darangewandt worden,
das Publikum mit dem unpraktischen Prunkpalast zu versöhncn, und man
konnte an eine gute Saison glauben. Aber nach einer mehr als sechsmonat-
lichen Spielzeit stehen wir vor einem unerhörten Ergebnis, denn nichts ward
neu aufgesührt als dor Schwank «Dcr Liguidator" von F. G. Triesch und das
Lustspiel „Die Jugendsreunde" von Ludwig Fulda. Eine Direktionskrisis, —
die man längst erwartet hatte und die cndlich zum Ausbruch gckommen war,
hat das ganze Spicljahr künstlerisch vernichtet. Max Burckhard, dcr vor acht
Jahren als jungcr Ministcrial-Vicesekretär zum Erstauncn aller Welt zur Lei-
tung dcs Burgtheaters berufen wurde, hat diescn Posten wieder geräumt. Und
diejenigcn Kritiker, die ihn beim Antritt seiner Direktion am härtesten befehdet,
die ihn jahrclang verhöhnt haben, sie bekannten sich jetzt offen zu ihm, sie
gaben ihm cin AbschiedSbankett, als er gefallen war, und verkündeten in Toasten,
was sic in den Kritiken über das Burgtheater stets verschwiegen hatten: daß
Burckhard ein „großcr Mensch" sei. Diese Erschcinung bedarf der Aufklärung.

Herr vr. Max Burckhard galt immer als ein ansgczeichnetcr Jurist und
cr ist sicherlich kcin alltäglicher Kopf. Als Literat aber ist er ein Dilettant,
als Mensch ein Zynikcr. Kaum war er aus seiner Beamtcnsphäre heraus in
die Höhenluft des Burgtheaters vcrsetzt, so zeigte sich sein Mangcl an cigencm
Urtcil gegcnübcr den Erscheinungen dcr moderncn Literatur. So kunterbunt, wie
im Spielplan dcs Burgtheatcrs, ging cs auf keiner zweiten deutschen Bühnc
zu. Er dcmoliertc das große alte Repertoire und überstürzte sich in der Pflege
des neuen. Dabei entzündete sich seine eigene Phantasie, und er fing schließlich
sclbst zu schreiben an. Man verzich ihm bci Hofe Fuldas „Sklavin", das
„Hannele" und andcre Neuheiten, denn man sah ein, daß die moderne Rich-
tung ja nicht ganz abgcwiesen werdcn konntc, aber sein Fall wurde unab-
weislich, als er selbst in die Arena hinabstieg. Burckhard hat nichts gcthan,
was ein sreier Mann nicht thun dürftc, aber er that vieles, was der Direktor
des Hofburgthcaters nicht thun darf. Er hat „die Würde seincs Amtes" nicht
zu wahren gcwußt. Zuerst verband er sich mit eincm Kreise von klcinercn
Literaten zu cincm Ansturm gegen dic Zensur. Monate lang wurde agitiert,
wurden Ncdcn gehaltcn, wurden „EnquLten" veranstaltet und Autoren vom
Nange der Hcrren Buchbinder, Bauer, Leon, Dörmann, Eiscnschütz u. s. w.
üffentlich einvcrnommen über ihre Anschauungen von dcr Zensur. Und
l)r. Burckhard, dcr es liebte, sozialistisch zu schillern, saß im Ausschuß, er ließ
sich sogar „beaustragen", einen Theatergesetzentwurf im Sinne der Schreier
auSzuarbeiten. Das machtc ihn zuerst populär bei den Journalistcn, und,
während sie scmen Mut priesen, wunderte man sich in andcrn Kreisen bercits
übcr seine Naivetüt. Dann kam alsbald cin diletiantischer Roman („Simon
 
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