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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1898)
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Melodramatisches, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0150

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drucken. Von (797—(855 ist das Stück auf dem Berliner kömglichen
Theater 56 Mal gegeben ivorden. Unabhängig von Rousscau und dessen
einzigem Versuche war auch Benda (Kapellmeister in Gotha) auf den
gleichen Gedanken gekommen und hatte sein langs Zeit mit Rccht be-
liebtes Duodrama „Ariadne auf Naxos" komponiert, welches in den
Jahren (776—(855 nicht weniger als 76 Mal in Berlin zur Dar-
stellung gelangte. Sonderbar, daß man Jahr und Tag der Gothaer
Erstaufführung nicht kennt! Die Angaben schwanken zwischen (770 und
(77^. Die letztere Jahreszahl ist wahrscheinlicher als die erste.

Nach Gotha kam zeitweise die Seilersche Gesellschaft aus Weimar,
das Ehepaar Brandes gehörte derselbcn an. „Die von allen üewunderte
Schauspielerin Brandes", so heißt es in Schillings Lexikon, „brachte den
menschenscheuen Benda auf den Gedanken, ihr mimisches und deklama-
torisches Talent mit Musik verbunden auf dem Theater zu nutzen. Gotter
und Engel waren zugegen und wurde zu Rate gezogen. Brandes schrieb
für seine Frau und für Benda die Dichtung." Jn einer kleinen Benda-
Monographie von ü>r. Hodermann (Gotha, (893) wird erzählt: „Man
glaubte, ein neues Kunstgeheimnis entdeckt zu haben; die Kritiker schrieben
für und wider und allenthalben sprach man von Frau Brandes als
Ariadne in Gotha."

Fast überschwänglich lauten die Berichte der Zeitgenossen, wenn sie
aus das crste deutsche Melodram „wo das Orchester gleichsam den Pinsel
in der Hand hält, diejenigcn Empfindungen auszudrücken, welchc die
Deklamation dcs Akteurs beseelen" zu sprechen kommen. MozartS En-
thusiasmus dasür ist aus seinen Briefen bekannt. Gerber schreibt in
seinem ülteren Lexikon ((?98): „Wem ist nicht bei Anhörung der Ariadne
auf Naxos' Furcht und Freude, Beben und Entsetzen angekommen? Wer
ist nicht aus sich selbst gesetzt worden? Jch habe vor etwa zwanzig
Jahren hier in Berlin diese vielgerühmte „Ariadne" in einem musik-
geschichtlichen Vortrage als „Beisviel" ausführen lafsen. Ernst Dohm
befand sich unter den Zuhörern. Er meinte: „die Dichtung ist noch ietzt
nicht veraltet, sie wirkt durch Jnhalt und Ausdruck, die Musik klingt da-
neben ziemlich antiquiert. Wenn der rechte Komponist sich mit dem
rechten Poeten verbindet, dann würe dem Melodrama geholfen." Das
ist auch mcine Ansicht!"

Soweit Tappert. Jch möchte seine Benda betreffenden Ausfüh-
rungen noch durch zwei bisher unbeachtetc Berichte dc la Motte-Fouquas
ergänzen, die von der ungemeinen Wirkung jener Melodramen auch noch
auf die nächsten Generationen Zeugnis ablegen. Jn seiner Autobiographie
(Halle (8l(0) erzählt der Dichter, welchen unauslöschlichen Eindruck
Bendas „Medea" auf ihn machte: „Wer vermag den Zauber der Poesie
nachzutönen, als nur durch neue, ihm von der Muse beschiedene Her-
vorbringungen? Nnd der damals nur mäßig erhellte Schauspielsaal —
keine späterhin so vielfach gesehene glünzende Erlcuchtung hat je mir die
Schauer dieses Helldunkels ersetzen mögen sAha, Bayreuth! d. R.j —
das Stimmen der Jnstrumente im Qrchester, ebcnsovielen miMschen
Echorufen vergleichbar, die mehr und mehr still anwachsende Zahl der
Zuschauer, die im Proszenium aufleuchtenden Lampen, dahinter der wie
von geheimnisreichen Zuglttften, aus einer unbekannten Welt herein-

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