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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 19 (1. Juliheft 1898)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7956#0226

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klar, wie aus einer Erleuchtung: dieser Mann hier war ganz gewiß der Aller-
oberste von der ganzen Gesellschaft. Nun fesselte er sie doch mehr, als sogar das
Rauchweib droben gethan. Als inzwischen ein neuer Sängcr auf die Bühne
trat, bemerkte sie, daß ein leises Lücheln über das nachdenkliche Gesicht des
Mannes glitt; das Lächeln verstärkte sich, und ein stilles kurzes Lachen er-
schütterte plötzlich die ganze hagere Gestalt. Das machte das Nannerl ganz
froh, sie lachte laut mit voller Entzücken, den obersten Mann der Gesellschaft,
der ihr so gut gefiel, so lustig zu sehen. Und da, — da wandte der Fremde
seinen Kopf und gewahrte das voll fröhlicher Spannung auf ihn gerichtete
Kindergesicht. Er nickte ihm kurz und herzlich zu, und sofort nickte Nanni eifrig
zurück. Von da an aber blickten sich die beiden auch ohne besondere Ursache
immer öfter an, und immer häufiger nickten sie eins zum andern hinüber.
NannerlS Eltern schmunzelten, ein wenig verlegen, und schüttelten ihre Köpfe
zum fremden Herrn hin mit einer Art Entschuldigung. Doch der Herr ver-
langte keine Entschuldigung.

Nun noch ein rasend heruntergeklapperter Galopp, dann war die Vor-
stellung aus. Als die Menge in gedrängten Schaaren den offenen Flügelthüren
des Ausgangs zuströmte, gab sich's, daß er an Nannerls Seite kam. „'s ist
halt «och gar ein dnmmes Ding, die Nanni!" lächelte die rundliche Mutter
gutmütig-holdselig zu ihm hinauf. Der Mann gab keine Antwort, er traf die
verstohlenen Kinderblicke, wie er so niedersah — und er legte ihr plötzlich
leise und liebreich die Hand auf das schlichte Haar. Das Nannerl ward ganz
rot vor Vergnügen. Dann trennte eine Menschenwoge die zwei.

Draußen spiegelte sich das elektrische Licht der Bogcnlampen in den tausend
Psützen und Pfützchen einer laucn Winternacht. Nannerls Eltern schoben sich
mühselig und rutschend auf dem schlüpfrigen, übereisten Stcig heimwärts,
während die Kleine schnell atmend neben ihnen her trippelte. Das Zünglein,
das ihr drinnen im Wirtshaus wie angebunden gewesen, schien auf oinmal
sreigekommen zu sein. Sie schwatzte und fragte drauf los nach allem, was ihr
Neues aufgestoßen, daß ihre Eltern froh waren, als endlich die rechte Haus-
lhür dastand. „Stcrnel" sagte der Vater, als er aufschloß, mit einem letzten
Blick zum Himmel. Vier Treppen ging's dann hinan, bis das Nannerl
in scin Schlafstübchen kam. „Gute Nacht, Nannerl." Aber es mochte doch
noch nicht schlafen. Das kurze Zöpflein umgeflochten, im langen Nacht-
hemd huscht' es, alleingelassen, aus dem Bett anS Fenster, und drücktc die
Nasc an der Scheibc platt. Da hing der Mond vor ihr, an ganz klarem
Himmel, gar nicht hoch über dem Giebel vom Nachbarhaus, und rings um ihn
standen einzeln dic großcn, bläulichen Funkelsterne. Das alte Schindeldach
glänzte wundervoll, grad' als wär' es aus lauter Silber gemacht, aber daneben
ragte finster und riesenhoch der Schornstein, und aus seinem Schlunde ging wie
ein lebendiger Atem cin leiser, weißer Nauch. Ach, und jetzt kam ein großes,
dunkles Kater-Schattenbild sacht über den First durch die klare Mondnacht ge-
schlichen. „Katcrer", rief das Mädchen bänglich, „hast gehört, Katerer?" Der
Kater richtete sich am Schornstein auf, griff mit den Vorderpfotenkrallen in eine
Fuge der Ziegcl und strecktc sich ganz geisterhaft. Das Nanncrl aber machte,
daß es ins Bett kam und lugte unter der Decke hervor.

Der Mondschein dämmerte durch den Fenstervorhang hindurch ein un-
ficheres Licht, das füllte die Stube. Wie fremd darin alles aussahl Das
Nannerl begann vor unwiderstehlichem Vorwitz ihre eigne Furcht herauszu-
fordern: drüben am Kleiderständer hing der Schlafrock der Mutter so geheim-
 
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