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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,2.1898

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Heft 20 (2. Juliheft 1898)
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Vom Tage
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* Den Wunsch nach Kunstbüh-
nen neben den Geschäftsbühnen spricht
Heinrich Hart im ersten Hefte der
von ihm herausgegebenen „Deutschen
Bühne" aus. „Dem akademischen
Drama gegenüber, wie es lange Zeit
hindurch unsere Literatur beherrschte,
bcdeutet das realistische Drama mit
seiner derben Frische, seiner lebens-
oollen Sprache, seiner sorgfältigen
Kleinmalerei unbedingt einen Fort-
schritt. Schon deuten aber alle An-
zcichen darauf hin, datz die Entwicke-
lung auch über den Alltagsrealismus
hinausgehen, datz unsere Literatur sich
mit reicherem Phantasiegehalte,helleren
Farbenstimmungen, idealeren Geistes-
empfindungen durchsetzen wird. Der
Vers, den einst Jbsen totgesagt hatte,
lebt auch auf der Bühne wieder auf.
Und selbst im engeren Bezirke der
Jbsen-Schule wagt die Phantasie, die
über die nackte Wirklichkeitsgestaltung
hinausstrcbt, von neuem ihre Schwin-
gen zu entfalten; man getraut sich
wieder an Helden heran, die mit der
Alltagselle nicht zu messen sind. Aber
auch geistig wird das Drama neue
Wege einschlagen müssen; es mutz über
den Standpunkt der blotzen Kritik und
Analyse, der Skepsis und Verhöhnung,
wie ihn Zbsen mit seiner ganzen An-
hüngerschaft vertritt, hinauskommen.
Jbsen hat nicht dic Kraft gehabt, den
neuen Menschen zu gestalten, ein Bild
zu entrollen von dem frcudigeren
Leben, das er ersehnt. Er sieht nicht
ein, datz cin solches Leben doch auch
heute schon gelebt werden, datz es mit
all seiner Jdealität doch auch heute
schon als real erfatzt werden kann.
Jn Bild und Gestalt aber, nicht im
Reden, bewährt sich der Künstler.
Jbsens Kunst und die Kunst seiner
Schüler, dor Holz und Schlaf, Hirsch-
seld und Sudermann bleibt in der
Negation stecken, es ist Zeit, ihr eine
Kunst des Positiven entgegenzusetzen.
Jn dieser Richtung liegen, wie mir
scheint, die Aufgaben der Zukunft."
„Das Grundübel dcr modernen Bühne
besteht darin, datz das Theater nichts
weniger, als ein reines Kunstinstitut,
sondern vorwiegend einllnterhaltungs-
und ein Geschäftsinstitut ist. Es nimmt
in der Reihe unserer öffentlichen Ver-
gnügungseinrichtungen, die von Tanz-
und Sportveranstaltung bis zum Zir-
kus und zur Varietä-Vorstellung an-
steigen, »geistig« den ersten Platz ein,
aber im Wesen und im Zweck unter-
scheidet es sich von den übrigen Ver-

gnügungen nur ganz unbedeutend.
Die Kunst aber, mag ihr auch ein
Unterhaltungselement innewohnen,
geht über den Vergnügungszweck weit
hinaus; sie hat ähnliche Aufgaben zu
erfüllen, wie die Religion: den ganzen
Menschen zu weihen, ihn innerlich um-
zugestalteu, ihn mit Lebensquellen zu
tränken, von denen die Welt nichts
weiß. Sie sucht genau wie die Reli-
gion den Menschen der Alltäglichkeit
zu entreitzen und ihn mit Ewig-
kcitsstimmungen zu erfüllen. Diesen
Aufgaben dient das heutige Theater
dann und wann, in seinen besten Stun-
den, aber die Wirkungen, die es an
einem Abend erreicht, schlägt es am
andern wieder tot. Das fordert eben
das Geschäft, die Rücksicht auf die
Masse, die eine ständige Erhebung gar
nicht verträgt und einerseits mit ihren
Alltagsneigungcn das Theater beein-
flußt, andererseits vom Theater in
ihren Wünschen und Empfindungen
bestärkt und gestützt wird. Um der
Masse und Kasse willen ist das Thea-
ter genötigt, nicht nur die Kunst der
Untcrhaltung hintanzusetzen, sondern
auch Aufführung an Aufführung zu
reihen, und infolgedossen die Massen-
ware, die slüchtig und schnell schaffende
Mittelmätzigkeit zu begünstigen, zu-
gleich aber die darstellenden Kräfte
übcrmäßig auszunutzen und sie aus
Künstlern zu Handwerkern zu machen.
Ein vergeblichcs Unterfangen wäre
es aber, das Theater als Unterhal-
tungsinstitut beseitigen zu wollen, so
lange es einem Bedürfnisse entspricht.
Was wir allcin erstreben können und
müssen, ist die Errichtung von Ku nst-
b ühnen neben den Geschäftsbühnen.
Wie dieseKunstbühne sich iin einzelnen
zu gestalten hat, das darzulegen wird
eine wesentliche Aufgabe unsererZeit-
schrift sein. Selbstverständlich wird
sie unabhängig von der Kasse sein
müssen, dainit sie nicht in der Häufig-
keit, sondern in der Vortrefflichkeit der
Aufführungen ihre Stärke zeigen kann.
Mit ihren Darbietungen wird sie nicht
dem Geschmackc des Publikums dienen
und schmeicheln, sondern ihn hebsn
und erziehen. Das wird um so leich-
ter geschehen können, als es ihr mög-
lich sein wird, auch auf die Unter-
haltungsbühnen Einflutz zu gewinnen;
sie wird ihnen notwendigerweise als
Musterbühne dienen, uach deren lite-
rarischem und schauspielerischem Ni-
veau sie gezwungen sind, das eigene
zu erhöhen."
 
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