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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 4
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Pudor, Heinrich: Von den modernen Farbstoffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0017

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München, 16. No?. 1908.

Beitage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint t4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

Y. Jahrg. Nr. 4.

Inh ait: Von den modernen Farbstoffen. Von Dr. Heinrich Pudor. — Die Erhattung von Biidern und
Zeichnungen. Von A. H. Church. (Fortsetzung.) — Petroso-Verfahren. Von Arnold Frische-
Düsseidorf. — Literaturanzeige.

Von den modernen Farbstoffen.
Von Dr. Heinrich Pudor.

Ais kürzlich ein berühmter Professor der Chemie
einen Vortrag über moderne Farbstoffe hielt, trat
nach dem Ende des Vortrages ein jüngerer Herr
aus dem Zuhörerkreis auf ihn zu und bemerkte,
er wundere sich sehr, dass der Professor für die
schrecklichen, modernen, künstlichen Farbstoffe
eine Lanze einlege. Der Professor, welcher über
diese Bemerkung nicht wenig überrascht war,
antwortete: Welche Farbstoffe sollte ich nach
Ihrer Meinung denn wohl empfehlen? „Sicherlich
die alten natürlichen vegetabilischen Farbstolfe,
die unsere Voreltern gebraucht haben", war die
Erwiderung. Und warum sollen diese besser sein,
als jene, die uns die moderne Wissenschaft und
Technik gebracht hat? „Weil sie nicht nur echter
färben, sondern auch weit schöner färben", war
die Erwiderung, auf die wir vorläufig erst einmal
nicht näher eingehen wollen.
Kunstgewerbe und Industrie befruchten sich
gegenseitig. Das Kunstgewerbe erhält von der
Industrie den maschinenmässigen Betrieb und die
Industrie vom Kunstgewerbe auf der einen Seite
den Respekt vor dem Material, auf der anderen
den Geschmack und den Sinn für den Entwurf,
und das, was in einer Arbeit Geistiges und
Seelisches steckt.
So auch in der Färberei. Die Industrie
brachte uns infolge der fabrikmässigen Darstellung
der Schwefelsäure, der Salzsäure, des Sodas, des
Chlorkalkes, der Chromsalze die Anilinfarben, die
Alizarin- und Azofarben und endlich die Schwefel-
farben. Das Kunstgewerbe aber tritt heute an die
deutsche Farbenindustrie mit gewichtigen Forde-
rungen heran, indem es derselben vorwirft, die
Farben seien vielfach nicht nur nicht echt genug,
sondern sie seien vor allem auch nicht „schön"

genug, da gerade die im modernen Kunstgewerbe
gebrauchten hellen, sonnigen Farben von der
Industrie nicht geliefert werden.
Fragen wir zunächst: was versteht man unter
Echtheit der Farben? Wenn wir uns hier auf die
Lichtechtheit und Waschechtheit beschränken, so
haben wir zu antworten: echte Farben sind solche,
welche im Lichte und im Waschen sich nicht
verändern, welche vielmehr annähernd so lange
dauern, als der Gegenstand, welchem sie hinzu-
gefügt sind. Das aber setzt voraus, dass sie dem
Gegenstand nicht nur oberflächlich angefügt sind,
sondern möglichst innerlich mit ihm verwachsen
und durchdrungen sind, zum mindesten mit dem
Oberflächenteil des Gegenstandes. Andernfalls
können die Farben, wie es auf der Hand liegt,
leicht abbröckeln und bleichen. Eisen z. B. muss
so oft gestrichen werden, weil in diesem Falle
die Farben mit dem Material des Gegenstandes
keine Verbindung eingehen können. Die Ver-
bindung ist in diesem Falle vielmehr nur eine
mechanische. Bei gefärbter Leinewand dagegen
kann die Farbe so tief in das Gewebe eindringen,
dass dieses selbst verändert wird und die Farbe
nur mit dem Gewebe selbst zerstört werden kann.
Aus diesem Grunde allein ist es möglich, dass
sich gefärbte Stoffe jahrhundertelang farbecht
erhalten lassen. Und in dieser Weise haben die
alten Chinesen ihre herrlichen Seidenstoffe ge-
färbt. In de Haidens Beschreibung von China
(Paris 1735) heisst es deshalb: „Diese Farben,
welche in die Seide selbst eindringen,*)
*) Bekannte moderne Kunstmittel, die Farben trotz-
dem mit den betreffenden Stoffen enger zusammenzu-
bringen, sind das Dekatieren (Dämpfen, „Krumpfen")
und die Befestigung durch Eiweiss.
 
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