Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

DOI Heft:
Nr. 24
DOI Artikel:
Werkstättendienst und Künstlerproletariat
DOI Artikel:
Barbarische Restaurierungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0099

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 24-

Münchner kunsttechnische Blätter.

95

so züchten sie ein Künstlerproletariat heran, Jahr um
Jahr, das nach Vollendung seiner Studienjahre so
ziemlich allen Bitterkeiten des Lebenskampfes aus-
geliefert ist. Wo sollen sie hin mit ihrer Kraft I* Wer
kauft ihnen ihre Bilder, ihre teuren Denkmalsentwürfe,
ihre Palastpläne ab? Soviel Kunst, hohe und ideal-
gesättigte oder auch nur geschickt nachgeahmte Kunst,
können wir ja gar nicht brauchen. Wohin damit? Wo
bleiben all diese entsetzlich gleichgültigen Leinwände
unserer riesenhaften Bitderbasare? Wie schwer hat
es gehalten, nur durch die Jury zu schlüpfen! Wie
viel schwerer ist es, den Ausweg zu finden und den
freien Platz in der Gegenwart!
In jeder grösseren Kunststadt gibt es Hunderte
solcher Künstlerexistenzen, die mit Galgenhumor oder
Verzweiflung zwischen Leben und Sterben schwanken
und doch nicht die Kraft aufbringen, ihrer akademisch
beglaubigten künstlerischen Zukunft zu entsagen und
ein rechtschaffenes, bürgerliches Gewerbe zu ergreifen,
solange es noch Zeit ist. Jeder rät es dem andern,
keiner will den Anfang machen. Der akademische
Bildungsdünkel, das ist die Krankheit, die an ihnen
frisst. Eine Abart unserer allgemeinen Bildungs-
philisterei, ist er ethisch, ästhetisch, volkswirtschaftlich
gleich verhängnisvoll. Er legt uns einen Teil höchst
brauchbarer Kräfte lahm. Sind wir denn wirklich so
reich, diesen dauernden Aderlass ohne Schaden ver-
tragen zu können?
Was ist da zu tun? Eugen Kalkschmidt sieht eine
Abhilfe in der Forderung: Wer zur Akademie
will, müsste erst ein paar Jahre Werkstätten-
dienst getan haben. Einen durchaus obligatorischen
Dienst, der ganz sicher dazu angetan sein würde,
Hunderte von jungen Bürschchen, denen die Locken
zu wild fürs bürgerliche Leben wachsen, die den freien
und stolzen Künstlertraum träumen, — vor dem aka-
demischen Katzenjammer durch heilsame Abschreckung
zu bewahren. Drei Jahre lang sind genug zur Besinnung.
Wer dann sein Wollen und Können, die Richtung seines
Talentes noch nicht so weit erkannt hat, um sich zu
sagen: Entweder oder, ja oder nein?, der soll die
Hände von der Kunst lassen. Und tut er's nicht,
sondern läuft er als unverstandenes Genie wehklagend
irgendwelchen Pfuschern in die Hände, die ihm das
Blaue vom Himmel versprechen gegen schönes Lehr-
geld — so ist's weiter nicht schade um ihn. Der
Staat jedenfalls ist der Verantwortung für ihn ledig.
Solange die staatliche Kunstschule aber die stattlichsten
Summen verbraucht, um das bürgerliche Leben mit
mittelmässigen Künstlern voll akademisch hohen An-
sprüchen zu belasten, solange klingt sie innerlich hohl,
weist sie eine pompöse Fassade vor auf schlechtem
Fundament und kann leicht in Gefahr geraten, bei
einem kräftigen Sturmwinde neuen Geistes einzustürzen
wie ein Kartenhaus.-—
Dazu bemerkt Dr. Storck im Türmer (Heraus-
geber Frhr. v. Grotthuss):
Ich halte diesen Gedanken von einem pHicht-
mässigen Werkstättenunterricht vor dem Besuche
einer Akademie geradezu für eine Erlösung. Einmal
für Hunderte menschlicher Existenzen. Aber auch
für die Kunst an sich. Was unsere Kunst zumeist
schädigt, ist einmal die Loslösung vom Leben und
sodann in rein künstlerischer Hinsicht die unzureichende
Technik. Was das erste anlangt, so zeigt jede Kunst-
ausstellung, dass die Mehrzahl der Bilder ohne Rück-
sicht darauf gemalt ist, was wir in unseren Wohnungen
wirklich aufhängen können (aus den einfachsten Raum-
gründen) und was man überhaupt bei sich aufhängen
wollen kann (aus stofflichen Gründen). Ein Verhältnis
zwischen Auftraggeber und Künstler gibt es kaum mehr;
die Art der Preisnotierungen schliesst den Mittelstand
vom Bilderkauf geradezu aus.

In der Technik aber offenbart sich der Mangel
an handwerklichem Können am erschreckendsten in der
Plastik, wo wir nur ganz wenige Künstler haben, die
noch im Material zu arbeiten verstehen, wo die meisten
darauf angewiesen sind, ihre Arbeiten so vor der
Oeffentlichkeit erscheinen zu lassen, wie sie aus den
Handwerkerhänden des Steinmetzen oder Bronze-
giessers hervorgehen. Und das Farbenelend unserer
Maler! Wie viele Bilder — man sehe sogar die
Menzels — reissen vorzeitig, weil die Künstler sich
nicht mehr ihre Farben reiben können, weil sie alles
so benutzen müssen, wie es aus den chemischen
Fabriken kommt. In kunstmoralischer Hinsicht aber
wissen nur die wenigsten noch den Wert der Arbeit
an sich zu schätzen, verstehen auch gar nicht, solch
gediegene Mal- und Zeichenarbeit zu leisten. Und
doch beweist die Kunstgeschichte immer wieder, dass
in dieser Arbeit an sich ein unvergänglicher Wert
liegt.
Dazu möchten wir bemerken: Was stellen
sich die Herren Kalkschmidt und Dr. Storck unter
„Werkstättendienst" vor? In welcher Werkstatt
sollte der angehende Akademiker ein paar Jahre
dienen und wie soll er sich dort für die Aka-
demie vorbereiten? 1st etwa eine Anstreicher-
werkstatt gemeint oder die Arbeit bei einem
fertigen Künstler? Im allgemeinen Interesse wäre
hier eine Aufklärung erwünscht, denn schöne
„Schlagworte" allein tun's doch nicht! D. H.
Barbarische Restaurierungen.
Der „Vossischen Zeitung" wird aus Amsterdam vom
14. April geschrieben:
Es hat begreifliches Aufsehen erregt, als die-
ser Tage das „Amsterdamer Handelsblatt" den Be-
richt einer Kommission, an deren Spitze der Maler
und Kunsthistoriker Veth steht, veröffentlichte, aus
welchem nichts mehr und nichts weniger hervor-
ging, als dass man sich an den herrlichen Schöpfungen
von Frans Hals im Stadthause von Haarlem eines
fortgesetzten Vandalismus schuldig mache. Es
hat sich nämlich herausgestellt, dass verschiedene
dieser Gemälde, u. a. die zwei wunderbaren Darstel-
lungen der Regenten und Regentinnen des Oude-Man-
nen-Hauses, in der letzten Zeit wiederholt mit einem
Geheimmittel — wahrscheinlich Kapaivabalsam — ein-
gerieben worden sind, wie aus den gleichlautenden
Aussagen mehrerer Augenzeugen hervorgeht. Man
kann an einzelnen Stellen der Gemälde noch deutlich
sehen, dass ihr ursprünglicher Ton ein viel matterer
gewesen ist als jetzt, wo sie durch wiederholtes Auf-
trägen von Firnissichten viel dunkler geworden sind
und dem Zuschauer gegenüber den widerlichen Glanz
japanischer Lackarbeiten entfalten. Es kann nicht
ausbleiben, dass die ursprünglich Hott und kühl ge-
malten Stücke stets dunkler werden. Die Kommission
hofft, dass es jetzt noch möglich sein werde, diese
Schichten ohne Schaden für das Gemälde zu entfernen,
aber die Aussicht, dass man die anderen Gemälde in
Zukunft in Ruhe lasse, sei doch eine sehr unsichere,
da die Kommission sich selbst überzeugen konnte,
dass die Offiziere des Kloveniersdoeten von 1633 bereits
aus dem Rahmen genommen seien, um sie derselben
Prozedur wie die Regentenstücke zu unterwerfen,
während die Offiziere des Kloveniersdoeten von Ï627
bereits „auf der Nomination ständen", obwohl doch
bei diesen zwei Stücken die Farbenverhältnisse, be-
sonders an den Köpfen, sehr befriedigend seien und
die für alte Gemälde ganz eigentümliche relative Matt-
heit einen sehr wohltuenden Gegensatz zu dem glatten,
 
Annotationen