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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 16
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Mai, Johann: Das Zeichnen für Illustrationszwecke, [2]
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Schüz, Martin: [Rezension von: Manchot, Wilhelm, "Leonardos Abendmahl"], [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0067

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Nr. ;6.

Münchner kunsttechnische Blätter.

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zurück erhaltenen und gebrauchten Originaizeichnungen
bet weiteren und neuen Arbeiten nebeneinander auf-
zuhängen; der Vergteich zwischen diesen beiden Vor-
tagen wird am besten lehren, wie man sich in Zukunft
zu verhalten hat.
Bezüglich der Technik bei den Strichzeichnungen
lässt sich im allgemeinen nicht viel sagen, denn hier
kommt die Eigenart des Künstlers genau so zur Gel-
tung wie bei allen anderen Arbeiten, so dass man also
Hott und frei schaffen kann, ohne sich in beengenden
Grenzen zu halten. Nur beHeissige man sich einer
möglichst offenen Strichlage bei den Schattierungen,
wobei die etwaigen punktierten Verläufer mit der
Feder in feinen Linien ausgezogen und nachträglich
mit einem feinen Federmesser oder mit dem gezähnten
Schaber*) quer durch-
kende Punktierung
entsteht. Mit diesen Schabern kann man auch gedeckte
Flächen aufreissen oder rastern und werden bei einiger
Uebung ganz eigenartige Effekte erzielt. (Schluss folgt.)
Zum Thema: Leonardos „Abendmahl"
sind zwei weitere Zuschriften eingelangt, die hier
zum Abdruck gebracht seien. Wir wollen aber,
um allen Teilen gerecht zu werden, nur noch
Herrn Prof. Manchot das Wort zu einer Erwide-
rung geben und dann die Debatte über Leonardos
„Abendmahl" schliessen.
I. Herr M. Schüz-Düren schreibt uns:
Auf den letzten Artikel des Herrn Prof. Manchot
in Nr. 13 der „Münchener Kunsttechnischen Blätter"
möchte ich im Interesse der Sache folgendes ent-
gegnen. Ich gebe den von Herrn Prof. Manchot nach-
gewiesenen Irrtum zu. Doch hätte ich mich gefreut,
wenigstens ein besseres Verständnis auch für einen
Irrtum zu Hnden, dem eine Ueberlegung zugrunde
liegt, die gerade Leonardos Werk in anderen noch
zu erwähnenden Punkten nahe legen durfte. Da ich
nämlich aus der Erinnerung meines Besuches im
Cenacolo von St. Maria delle Grazie schrieb, ging ich
von der Annahme aus, der Meister des Abendmahls
habe bezüglich der Perspektive eine absichtliche
Täuschung angewandt, ein Mittel, das bei einem so —
man möchte fast sagen raffiniert — überlegenden
Geiste nicht verwundern könnte, er habe nämlich die
Perspektive des Bildraumes, also nur des Hinter-
grundes (insbesondere den oberen Teil desselben) auf
einen tieferen Augenpunkt als den des eigentlichen
Bildes (Tisch und Personen) gestimmt. Indes möchte
ich nicht zu entscheiden wagen, ob die dadurch ent-
stehenden Schwierigkeiten so ausgeglichen werden
könnten, dass der Eindruck der Harmonie des Ganzen
erhalten bliebe. Dass aber tatsächlich absichtliche
Fehler gegen die Perspektive zugunsten der Wirkung
gerade im Abendmahle gemacht worden sind, darauf
möchte ich wenigstens an einem Beispiele noch kurz
hinweisen. So wird man bei näherer Untersuchung
sehen, dass die Figuren sich nicht in die perspek-
tivische Konstruktion einreihen. Dies ist am auf-
fälligsten bei den Figuren an den beiden Enden des
Tisches; sie sind nicht vom Augenpunkt aus kon-
struiert und würden, wenn das doch der Fall wäre,
den Kopf nicht im Profil zeigen, sondern noch einen
Teil des zweiten Auges und der anderen Gesichts-
*) Die gezähnten Schaber sind in den drei Sorten
grob, mittel und fein gezähnt aus den grossen Druckerei-
fachgeschäften erhältlich, z. B. Klimsch & Co., Frank-
furt a. M.

hälfte erkennen lassen und dann gar nicht die von der
Komposition verlangte Funktion erfüllen, nämlich auf
Christus zu sehen, sondern den Anschein erwecken,
als ob sie in den Zuschauerraum blickten.
An welchen Stellen und aus welchen Gründen
sich Leonardo wiederholt veranlasst sah, Fehler gegen
die Perspektive und auch gegen die tatsächliche Mög-
lichkeit der Raumverteilung, sowohl an den Architektur-
teilen als auch an den Personen zu begehen, in obigem
Fall die Figuren entgegen der Konstruktion in Verti-
kalprojektion*) zu zeigen, als wenn der Beschauer un-
abhängig vom Augenpunkte direkt vor jeder der
Figuren stehend gedacht wäre, ist zum Teil leicht ein-
zusehen, darauf näher einzugehen, würde aber zu weit
führen. Dies nur um die Möglichkeit solcher absicht-
lichen Täuschungen nahezulegen.
Nun aber nochmals zu meiner Position: Diese
wird durch die letzten Ausführungen des Herrn Prof.
Manchot in keiner Weise geändert, ich glaube sogar
erkennen zu dürfen, dass Letzterer mir sachlich ent-
gegenkommt, indem er nun nur noch ein Podium von
einer Höhe verlangt, die uns die Aufsicht auf das
etwas über 2 m hohe Gesimse der Vertäfelung ermög-
licht. Zur Klärung der Sachlage möchte ich aber doch
noch auf folgendes hinweisen: Herr Prof. Manchot hat
allerdings auch in seinem ersten Aufsatze, der mich
zu meiner Entgegnung veranlasste, nur ein Podium
von „mehreren" Stufen vorgeschlagen. Demgegenüber
hielt ich es eben für nötig, darzutun, dass nach seinen
eigenen übrigen Forderungen dieses Podium auf Rollen
eine Höhe von etwa 2 m haben müsste: denn „es macht
einen geradezu peinlichen Eindruck, Aufsicht auf den
Tisch zu haben . . . während man so tief steht . . .
man nimmt also einen Standpunkt ein, von dem aus
man niemals die obere Fläche des Tisches sehen
könnte . . ." Also war doch mit dem „wesentlich
höheren Standpunkt" ein solcher über der Fläche
des Tisches gemeint. Diese hat aber schon eine
Höhe von etwa 3^ m über dem Fussboden. Führen
wir dies Rechenexempel weiter durch, so gewinnen
wir, für das Auge des Beschauers, der „unbeein-
trächtigt durch die zurzeit bestehende Dissonanz"
das Bild gemessen möchte, eine notwendige Höhe von
zirka 4 m über dem Fussboden des Saales (er wäre
dann immer noch */3 m unter dem Augenpunkte des
Bildes, d. i. dem Auge Christi) mithin könnte ihm also
nur mit einem Podium von mindestens 2 m Höhe über
dem Fussboden gedient sein.
Herr Prof. Manchot hält daran fest, dass der Be-
schauer zur Zeit Leonardos einen „wesentlich" höheren
Standpunkt eingenommen habe, bezüglich dass der
Saalboden früher höher lag. Ich gestehe, dass mich
diese Tatsache ausserordentlich interessieren würde —
aber ich muss noch einmal betonen, dass mir der Be-
weis dafür nicht erbracht zu sein scheint, weder mit
den Spuren neueren Verputzes, noch mit dem darunter-
liegenden neueren Mauerwerk über den Türstürzen.
Die Mauer über den Türen konnte ja aus anderen
Gründen erneuert worden sein. Müsste man nicht vor
allem nach Spuren (Balkenanlage ?) des früheren Bodens
suchen? Auch die tatsächlich höher reichende Tür-
nische unter dem Abendmahl, die einstige Verbindung
mit der Mönchsküche kann mich einstweilen noch
nicht zu der Folgerung bestimmen, dass früher der
ganze Saalboden höher lag. Der höher stehende Tisch
des Priors unter dem Abendmahl mag hinreichend
Grund für die Erhöhung dieser Tür gewesen sein.
Wäre nicht zuvor auch noch zu untersuchen, ob etwa

*) Eine Ausnahme hiervon machen nun wieder
einzelne Teile der Figuren, wie die an der Tischkante
auf liegenden Hände des Bartholomäus (linke Eckfigur),
die notwendigerweise die perspektivische Richtung
dieser Kante mitmachen müssen.
 
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