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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 10
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Berger, Ernst: Ein Brief Segantinis
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Mai, Johann: Die Künstlersteinzeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0042

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3S

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. io.

genau im Anschluss an die auf die Leinwand
aufgetragene scharfe Zeichnung, je eine dicke
Farbschicht, blau für den Himmel, weiss für die
Schneeberge, grün für die Almen und innerhalb
dieser wieder für jeden besonderen Gegenstand
in deren Grundton vor, und kratze dann mit
einem scharfkantigen Instrument alie auf seinen
Bildern sichtbaren Rillen und Vertiefungen heraus,
um dann das eigentliche Malen auf diese Höcker,
in diese Rillen mit ziemlich dünnflüssiger Farbe
zu beginnen.
In obigem Sinne sind die Ausführungen des
genannten Kunsthistorikers gehalten und wurden
in der Absicht veröffentlicht, um den Künstler
zu veranlassen, entweder diese Darlegung zu be-
stätigen oder aber zu berichtigen. Das letztere
geschah auch von seiten Segantinis in aner-
kennenswerter Offenheit durch Einsendung eines
Briefes, den Dr. Carstanjen gelegentlich eines Vor-
trages über den Künstler in den Räumen des
Züricher Künstlerheimes, das eben eine Sonder-
ausstellung von dessen Werken veranstaltete, zur
Mitteilung brachte.
Durch das freundliche Entgegenkommen des
Herrn Dr. Carstanjen sind wir in die Lage ver-
setzt, den erwähnten Brief hier anfügen zu können;
derselbe ist von Maloja (Engadin), 27. Juni 1896
datiert und enthält nach einer kurzen, in deutscher
Sprache gehaltenen Entschuldigung den italienisch
geschriebenen Text, welcher hier in Ueberset-
zung folgt:
„Geehrter Herr,
Ihrem Wunsche entsprechend, antworte ich
auf Ihren Artikel, welchen ich gelesen, und in
welchem ich viele sehr interessante Stellen ge-
funden habe. Aber wo Sie meine Malweise
und das Warum meiner Technik erklären wollen,
ist er nicht genau. Ich male so einfach und
naturgemäss, dass ich es mir einfacher, natur-
gemässer und freier nicht denken kann. Was
Farben und Leinwand betrifft, so bediene ich
mich solcher der Firma Lefranc & Komp, in
Paris; meine Palette ist auch die einfachste,
die man sich vorzustellen vermag und von
Farben (gebrauche ich) nur die haltbaren und
unveränderlichen. Die Leinwand, welche ich
benutze, ist mit Kreide (gesso) und Oel grun-
diert. Sobald dieselbe auf dem Rahmen ge-
spannt ist, breite ich über sie einen Ton (tinta)
von roter Erde möglichst flüssig aus, weil ich
die Weisse der Leinwand für das Auge uner-
träglich finde. 1st diese Arbeit geschehen, dann
gehe ich daran, die Hauptlinien der Idee (des
Motives), welche ich darstellen will und längst
ausgearbeitet ist, zu zeichnen und bis ins Detail
zu präzisieren. Wenn das beabsichtigte Ge-
mälde mir von der Natur eingegeben worden,
mache ich mir eine Zeichnung, welche mit den
gewonnenen Eindrücken des betreffenden Mo-

mentes übereinstimmt. 1st aber das Motiv in
mir selbst entstanden, dann suche ich in der
Natur die dem Gedanken entsprechende zeich-
nerische Form.
Sind auf der Leinwand die meinen ideellen
Gedanken ausdrückenden Linien festgehalten,
dann schreite ich zur Koloration, sozusagen zur
„summarischen" Vorbereitung, doch immerhin
mich so nahe als möglich an die Wahrheit
haltend ; dies geschieht mit kleinen, aber langen
Pinseln und damit beginne ich die Leinwand
mit kleinen trockenen oder fetten Pinselstrichen
zu bedecken, indem immer zwischen einem und
dem nächsten Pinselstriche ein kleiner Zwischen-
raum gelassen wird, welchen ich mit den Er-
gänzungsfarben (Komplementärfarben) ausfülle,
womöglich solange die Grundfarbe noch frisch
ist, damit das Gemalte desto besser sich ver-
binde. Das Mischen der Farben auf der Palette
ist ein Weg, der ins Dunkle führt; je reiner
die Farben sind, welche wir auf die Leinwand
setzen, desto mehr führen wir unserem Gemälde
an Licht, Luft und Wahrheit zu.
Diese Tatsache ist jetzt von allen verstän-
digen Malern anerkannt, aber nur wenige von
ihnen verstehen es, sich Rechenschaft zu geben
über den grossen Unterschied, welcher zwischen
dem Mischen der Farben auf der Palette und
dem reinen Auftrag derselben als Lichtstrahlen
auf der Leinwand besteht. Alles hängt (hier)
von der Fähigkeit des Malers ab, in der Natur
den mehr oder weniger (grossen) symphonischen
Reichtum der Materie des farbengebenden
Lichtes zu sehen.
Mit Achtung
* G. Segantini."
(Schluss folgt.)
Die Künstiersteinzeichnung.
Von Johann Mai-Tilsit.
Zur Erzeugung von Auflagedrucken grösserer
Kunstblätter in Kreidemanier ist in neuerer Zeit
die Zeichnung auf lithographischem Stein wieder
in ihre alten Rechte eingesetzt worden.
Auf natürlichen Solenhofener Steinplatten wurde
vom Erfinder der Lithographie und des Stein-
druckes, Alois Senefelder, im Jahre 1799 be-
reits die Kreidelithographie erfunden, von welchem
Zeiträume an bis ungefähr Ende der $3er Jahre
des vorigen Jahrhunderts sie ausgiebig zur Illu-
stration von Zeitschriften benutzt wurde. Neben
dem Holzschnitt, dem Stahl- und Kupferstich fand
die Kreidezeichnung auf Stein schon damals zur
Vervielfältigung und Nachbildung von Werken der
Kunst die gebührende Beachtung, weil die weichen
Uebergänge und Halbschatten in Kreidemanier
besser zum Ausdruck gebracht werden konnten
als in der Strichmanier der obenerwähnten Hoch-
und Tiefdruckverfahren.
 
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