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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 12
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Noch einmal Leonardos "Abendmahl"
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Anfragen und Beantwortungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0052

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48

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. f2.

Frankreich und Italien in einem Tagebuche beschreibt
(herausgegeben von Ludwig Pastor, Freiburg i. B. [905,
Herdersche Verlagsbuchhandlung), ist in den letzten
Dezembertagen des Jahres 1517 in Mailand. Er be-
richtet folgendes:
In S. Maria de le Gratie ... ist ein Abendmahl
auf die Wand gemalt von Messer Lunardo Vinci, den
wir in Amboise trafen (von dem er berichtet hatte,
dass er dem Kardinal drei Bilder sowie Abhandlungen
gezeigt hatte, ferner, dass er die rechte Hand gelähmt
habe), welches ausgezeichnet ist, wenn es auch schon
anfängt zu verderben, ich weiss nicht ob wegen
der Feuchtigkeit der Mauer oder wegen anderer Un-
vorsichtigkeit."
2. Das restaurierte ,,Abendmahl" Leonardo da Vincis.
Mailand, am tS. September 1908.
Vor dem Refektorium des Klosters St. Maria delle
Grazie stauen sich alltäglich ganze Scharen kunst-
hungriger Engländer und setzen durch horrende Trink-
geldangebote die Pflichttreue des armen Paters, der
den Eingang hütet, auf harte Proben. Sie wollen da
Vincis „Cenacolo" sehen. Aber weder Bitten noch
Ueberredungen, weder Zornausbrüche noch Be-
stechungsversuche helfen. Der Eingang bleibt ihnen
verwehrt. Denn drin im Refektorium arbeitet Professor
Luigi Cavennaghi und seine Leute nun schon seit
Wochen und Monden an der Restaurierung des arg zer-
störten, fast schon verloren geglaubten Bildes. Diese
Arbeiten sind gestern beendet worden. Morgen wird
Professor Cavennaghi dem italienischen Kultusminister
hiervon amtliche Meldung erstatten und gewiss hinzu-
setzen, dass seine Mühe vom besten Erfolge begleitet
war. Nächstens schon wird die grosse Oeffentlichkeit
dies enthusiastisch bestätigen. Mir war es durch einen
glücklichen Zufall ermöglicht, das Refektorium einen
Tag vor Abschluss der Arbeiten zu betreten, und ich
bin nun in der angenehmen Lage, dem deutschen Leser-
publikum wohl als erster die freudige Botschaft zu
übermitteln, dass es hier staunenswertem Fleisse, un-
verdrossener Ausdauer und ungewöhnlicher Sachkenntnis
gelang, eines der herrlichsten Denkmale der Früh-
renaissance nicht allein der Vernichtung zu entreissen,
sondern viele seiner nur noch geahnten, jahrhunderte-
lang entschwundenen Schönheiten neu erstehen zu lassen.
Man weiss, wie sehr Leonardos „Cenacolo" in den
letzten Jahren gelitten hatte. Es war kaum viel mehr
als die Konturen der Gestalten sichtbar. Der ganze
obere Teil der Mauer hatte sich langsam abgebröckelt
und über die noch weniger schadhaften Partien des
Gemäldes hatte die hervorsickernde Feuchtigkeit mit
Schmutz und Staub eine dichte Kruste gezogen. Die
ganz ungewöhnlich rapide Verwitterung des Bildes
wurde vielfach damit erkiärt, dass das Refektorium vor
Zeiten als Pferdestall diente und dass die Ausdünstung
der Tierkörper den Verfall beschleunigte. Andere be-
schuldigten Leonardo selbst: Er habe hier „leicht-
sinnigerweise" das Experiment vorgenommen, mit Oel-
farben al fresco zu malen. Denn die gesamte Kunst-
kritik hielt die Farben des „Cenacolo" lange Zeit für
Oelfarben. Professor Cavennaghi blieb es Vorbehalten,
den Irrtum dieser Annahme nachzuweisen. Die Mischung,
deren sich Leonardo beim Anreiben der Farben bediente,
war, wie aus längeren chemischen Untersuchungen
hervorging, eine in seiner Zusammensetzung allerdings
unbekannte Tempera. Da es aber auch Professor
Cavennaghi nicht gelang, die ursprünglichen Farben
neu herzustellen, da er es anderseits, wie er erklärte,
als Sakrileg empfunden hätte, dem Kunstwerk mit Farben
und Pinsel zu nahen, so stellte er als Grundprinzip der
Restaurierungsarbeit die vollständige Säuberung des
Bildes sowie die Restituierung der abgebröckelten
Mauerteilchen fest. Um hierin ganz sicher gehen zu
können, sammelte er vor allem alle zeitgenössischen

Kopien des Gemäldes. Er liess die als die beste ge-
rühmte Kopie aus Ponte-Capriasca nach Mailand bringen,
benutzte ein aus der Werkstatt Leonardos stammendes
Bild Andrea Solarios, ferner die Kopien von Cesare
Macqui, Marco d'Oggione und Antione di Glasciate.
Nach eingehendem Studium dieser Bilder ging er an
die Arbeit. Es gelang nach einigen Versuchen, die
Salpeterflecken zu entfernen, dann auch die Staubkruste
aufzulösen und abzuschaben. Schliesslich ging man an
die unsäglich mühsame und penible Arbeit, die abge-
fallenen sowie die herabhängenden Mauerteilchen wieder
an den ursprünglichen Stellen zu befestigen. Die Be-
mühungen waren von ganz überraschendem Erfolg ge-
krönt. Ich sah das Bild zuletzt vor drei Jahren. Von
den Gesichtszügen der Thomas' und Jakobs etwa war
damals kaum etwas zu erkennen. Die wunderbar
charakteristische Geste, mit der sich Judas dem Heiland
zuwendet, liess sich nur ahnen. Zwischen den blau-
grauen Schmutzflecken blinkte nur da und dort ein
kräftigerer Farbenton durch. Heute erstrahlt fast das
ganze Werk in tiefer, satter Farbenpracht. Der wunder-
bar blaue Himmel über dem Haupte Jesus leuchtet
förmlich. Das kräftige Grün der Hügeilandschaft
darunter verfliesst in zarter Abtönung mit dem Talar
des traurig blickenden Erlösers und es ist überaus
reizvoll, die feinen realistischen Absichten Leonardos
darin zu beobachten, wie er den traditionellen Glorien-
schein durch eine strahlende Erhellung der Landschaft
zu Häupten des Gottessohnes umgeht und doch an-
deutet. Mit prachtvoller Eindringlichkeit macht sich
nun auch der Kontrast zwischen dem lichterfüllten Ge-
bäude, das durch den Fensterausschnitt sichtbar wird,
und der düsteren, auf mattesBraunrot gestimmtenTönung
des Innenraumes geltend. Die Restaurierung brachte
auch die Details des halb verschwundenen Tischgerätes
wieder zum Vorschein: der Teller, Salzfässer, Brote.
Auch die zarten blauen Streifen des Tischtuches treten
nun klar hervor. Ueber die von verständnislosen
Dominikanermönchen herrührende und wieder ver-
mauerte Wandöffnung, die vorzeiten eine Türe enthielt,
liess Professor Cavennaghi eine Leinwand spannen, um
so wenigstens halbwegs die ursprüngliche Illusions-
wirkung herzustellen. An einem der drei Wappen über
dem Gemälde legte die Restaurierung eine prächtige
Birnengirlande frei — das einzige ornamentale Motiv,
das man von Leonardo kennt und das sich in ähnlicher
Form nur noch auf einem einzigen seiner sonstigen
Werke wiederholt.
Das bis auf die unrettbaren unteren Partien derart
fast neuerstandene grandiose Werk wird nun mit einer
hermetisch schliessenden Kristallplatte versehen und
dürfte so geschützt wohl noch Jahrhunderte hindurch
die hohe Kunst des bedeutendsten Quatrocentisten
künden. Münch. Neuest. Nachr.")
Anfragen und Beantwortungen.
Herrn Maler Dr. U. F. W. in Rom. — Auf Ihre
Frage nach einem guten Rezept für einen massig
saugenden und nicht brüchigen Kreidegrund ist
Ihnen bereits briefliche Antwort zugegangen/ Sie finden
Einzelheiten in früheren Jahrgängen dieser Blätter
(II. Nr. 7, 12. 15; HL Nr. 2; IV. Nr. 15) und in Fried-
lein „Tempera und Temperatechnik". Aber es scheint
wichtig, bei Anwendung obiger Rezepte in Betracht zu
ziehen, dass der Kreidegrund stets sehr dünn aufge-
tragen werden müsste, damit er nicht brüchig wird, und
dass die Lichtreflexion nicht genügend ist, wenn der
Kreidegrund dünn ist. Aus diesem Grunde muss für
Leinwandgrund der teilweise Ersatz durch Zink- oder
Kremserweiss empfohlen werden, während für Holz-
tafel der Kreide- oder sog. Vergoldergrund ent-
sprechender genannt werden muss. E. B.
 
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