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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 11
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Verschwindende Farben
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0048

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44

Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr.t:.

Verschwindende Farben.
Unter dieser Aufschrift ist in einigen Tages-
biättern ein Artikel folgenden Inhalts erschienen:
„Die Chemie macht durch einen Alarmruf die Maler
von Aquarellen auf eine grosse Gefahr aufmerksam.
Der grösste Teil der Aquarellgemälde, die seit einem
halben Jahrhundert gemalt worden sind, ist — wenn
man so sagen kann — zum Tode verurteilt. Die
Anilinfarben, die man im Jahre 1852 zu benutzen
begann, können den Einwirkungen der Luft nicht
widerstehen: sie verblassen, verwischen sich und ver-
schwinden schliesslich vollständig. Der Chemiker
Ainsworth Mitchell ist es, der die öffentliche Auf-
merksamkeit auf diese Gefahr lenkt; auf das Verblassen
der mit Anilinfarben gemalten Aquarellbilder haben
aber schon vor 20 Jahren nach sehr eingehenden Ex-
perimenten die Chemiker Russell und Sir Abney hin-
gewiesen. Und das, was von den mit Wasserfarben
gemalten Bildern behauptet wird, kann auch von den
Oelgemälden gesagt werden, denn es steht fest, dass
nicht einmal der Firnis, der die Oelbilder bedeckt,
die Farben gegen die schädliche Einwirkung des
Lichtes und der Luft schützen kann. Einen bündigen
Beweis für diese Behauptung gibt die Sammlung der
,Rompreise' in der Schule der schönen Künste zu
Paris: viele dieser Bilder sind vollständig verblasst,
als wenn sie langsam hinsiechten. Das einzige Abwehr-
mittel, nicht für die Vergangenheit, sondern für die
Zukunft, läge in dem vollständigen Aufgeben künstlicher
Farbstoffe. Die Gefahr — so schreibt die ,Revue' —
geht übrigens nicht nur die Maler und die Bilder-
sammler, sondern einen weit grösseren Kreis an. Es
ist nämlich festgestelit, dass die Farben und Tinten,
die für die Schreibmaschinen benutzt werden, die-
selben Uebelstände aufweisen. Es kann also geschehen,
dass die staatlichen und städtischen Aemter, welche
alle ihre Dokumente durch die Schreibmaschine ko-
pieren lassen, eines schönen oder eigentlich nicht sehr
schönen Tages mit der Tinte ihre ganzen Archive ver-
schwinden sehen!"
Dass solche Unkenrufe von Zeit zu Zeit in
der Presse ertönen, ist für den Kenner der Ver-
hältnisse nichts Neues. Wir hätten von dem In-
halt nicht viel Aufhebens gemacht, da die Maler
längst jene Anilinfarben zu vermeiden wissen,
deren Lichtbeständigkeit berechtigten Ansprüchen
nicht genügt. Aber unsere ersten Künstlerfarben-
fabriken fühlen sich durch den Warnruf beunruhigt.
Dies beweist folgende Anzeige im „Berl. Tagebl.":
„Mit Hinweis auf den in verschiedenen Zeitungen
erschienenen Artikel .Verschwindende Farben' geben
die Unterzeichneten Fabrikanten von Künstlerfarben
folgende Erklärung ab, und zwar jeder für sich: In
unseren Betrieben findet bei der Herstellung von
Künstler-, Oel- und Aquarellfarben keinerlei Schönung
der Farben mit sogenannten Anilinfarben u. dgl. statt
und übernehmen dieselben volle Gewähr und Garantie
für die Reinheit und Echtheit der von ihnen hergestellten
Künstler-, Oel- und Aquarellfarben.
G. B. Moewes, Berlin; Redeker & Hennis, Nürnberg;
C. Schmidt, Düsseldorf; H. Schmincke & Co., Düssel-
dorf; Dr. Fr. Schoenfeld & Co., Düsseldorf; Günther
Wagner, Hannover."
In der gleichen Angelegenheit liegt uns noch
eine Zuschrift vor, aus der wir folgende Stellen
entnehmen:
„Durch eine Reihe angesehener deutscher Zeitungen
ist ein Aufsatz über .Verschwindende Farben' ver-
öffentlicht worden, in dem behauptet wird, dass die

meisten Bilder unserer Galerien, sowohl Aquarell- wie
Oelmalereien, nach kurzer Zeit verblichen sein würden.
Es sei dies zurückzuführen auf die zur Verwendung
kommenden lichtunbeständigen Farbstoffe, im be-
sonderen der Anilinfarben.
Diese Veröffentlichung kann bei manchem Kunst-
freunde und Künstler, die über das Kapitel Farben nicht
genau unterrichtet sind, falsche Vorstellungen erwecken.
,Die Anilinfarben, welche man im Jahre 1852 zu
benutzen begann, können den Einwirkungen der Luft
nicht widerstehen', wird behauptet. Der Verfasser
des betr. Aufsatzes verwechselt jedoch Anilinfarben
in Wasser oder Alkohol gelöst mit den aus Teerfarb-
stoffen hergestellten Farblacken, welche z. B. wie die
aus obigen Stoffen hergestellten Alizarinkrappe absolut
lichtecht und haltbar sind. Ausser diesen hat unsere
moderne Chemie eine grosse Anzahl von Farben her-
gestellt, wie z. B. Gelblacke aus Naphtolgeib, ferner
echt violette, helio-echt rote, litholrote und viele andere
mehr, die ein absolut zuverlässiges Material darstellen,
weitaus lichtbeständiger wie z. B. Carmin, der nur eine
sehr beschränkte Lichtbeständigkeit besitzt.
Führende Künstlerfarbenfabriken stehen sämtlich
unter der Leitung erfahrener Chemiker und geben in
ihren Preislisten und auf ihren Farbenetiketten genau
an, ob die Farbe lichtbeständig ist oder nicht. Es
sei zugegeben, dass durch die Praxis bedingt, besonders
bei Wasserfarben, einige Töne aus Anilin hergestellt
werden,*) doch wird dieser Farbton dann als licht-
unbeständig gekennzeichnet. Wohl mit wenigen Aus-
nahmen kennen die Künstler ihr Material genau und
werden solche Farben meiden.
Bereits seit Jahren besteht eine Skala von be-
stimmten Normalfarben, aufgestellt von der .Gesell-
schaft zur Beförderung rationeller Malverfahren',
München, welche Gewähr für Haltbarkeit dieser Farben
bietet. Diese Bewegung, die Palette soviel wie möglich
einzuschränken, wird unterstützt vonunsern bekanntesten
Künstlern, wie Prof. Hans Herrmann und Prof. Lieber-
mann-Berlin, Prof. Karl Marr, Prof. Franz Stuck-
München und noch vielen anderen. Vor mir liegt
mit Bezug hierauf ein Prospekt über .Pelikan'-Künstler-
ölfarben der Firma Günther Wagner, Künstlerfarben-
fabriken, Hannover und Wien, worin auf 30 Farbtöne
hingewiesen wird, welche für die Praxis absolut aus-
reichen und volle Gewähr für Haltbarkeit der damit
hergestellten Gemälde bieten.**)
Zum Schlüsse auf Tinten und Schreibmaschinen-
bänder zurückkommend, muss die Behauptung, dass mit
der Schreibmaschine hergestellte Arbeiten und mit
Tinte handschriftlich verfasste Dokumente eines Tages
verschwinden könnten, als direkt absurd zurückgewiesen
werden. Der Verfasser scheint keine Ahnung von der
Existenz der Akten-Schreibbänder und Normaltinten
zu haben, welche zum Schreiben von Dokumenten
und Gerichtsakten von Behörden direkt vorgeschrieben
werden und ebenfalls eine dauernde Haltbarkeit ge-
währleisten. Alle Bedenken, die von dem Einsender
geäussert worden sind, müssen als hinfällig bezeichnet
werden. Unsere Farbenchemie bietet dem schaffen-
den Künstler eine reiche Palette absolut haltbarer
Farben. Der Titel .Verschwindende Farben' ist nichts
als ein Schlagwort, mit welchem für ein neueres Fa-
brikat Stimmung gemacht werden soll."

*) Also doch! — Die Red.
**) Auch die ,Münch, kunsttechn. Bl.' haben
wiederholt auf die Notwendigkeit der Beschränkung
der angebotenen allzu grossen Zahl von Farben hin-
gewiesen. S. Jahrg. IV, Nr. 2 und 3 (Zusammenstellung
der Palette); dann IV, Nr. 5)7 (Unser Farbenbabel),
insbes. S. 28.
 
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