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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 19
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Gerhardt, Paul: Die Wiederfestigung der Rethelschen Fresken im Krönungssaale des Rathauses zu Aachen, [2]
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Zum Thema: "Leonardos Abendmahl", [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0079

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Nr. t9.

Münchner kunsttechnische Btätter.

75

Einen im Prinzip gleichen Vorgang hatte ich be-
reits einma) Gelegenheit zu beobachten. Ein Saat, in
welchem sich ebenfalls Fresken befanden, wurde neu
dekorativ ausgeschmückt, unter anderem auch reich
vergoldet. Aus diesem Grunde wurden die Bilder zu-
gespannt, damit keine Beschädigung stattfinden könne,
jedoch hatte man es nicht verhindern können, dass
einige kleine Spritzen, scheinbar Vergolderpasta, das
Bild trafen. Diese zogen sich beim Trocknungsprozess
so heftig zusammen, dass der darunter befindliche
feste Fresko genau in der Kontur des Spritzers von
der Wand abgezogen und aufgerollt wurde.
Das am meisten in dieser Weise angegriffene Bild
ist das zweite von Rethel gemalte, „Sturz der Irmen-
säule". Hier war ebenfalls der grösste Teil der Re-
touchen durch Rethel in Eitempera ausgeführt worden,
und so ging auch hier aus den oben angeführten Gründen
die Verwesung schnell vor sich. Die Farbe löste sich
in grösseren und kleineren Schuppen so von der
Wand ab, dass ganze Teile des Bildes durch die Un-
ebenheit der an der Mauer hängenden Schuppen nicht
mehr zu erkennen waren.
Ein Versuch, der ungefähr in den sechziger Jahren
gemacht worden war, diese Ablösungen mit einem
heissen Eisen anzudrücken, ähnlich wie dies bei Oel-
bildern häufig geschieht, hatte natürlich keinen Erfolg,
sondern nur zur Folge, dass die jedes Oel oder Harz
entbehrende Farbe erst recht spröde wurde und ab-
blätterte.
Dazu kam noch, dass in dem Bilde „Sturz der
Irmensäule" Risse infolge Erdbebens und Ablösens
des gotischen Baues vom römischen entstanden, die
sich durch die linke Seite des Bildes zogen und die
sich stellenweise deltaförmig verzweigten, so dass wir
grosse Stücke aus der Wand herausnehmen mussten,
weil sich diese verschoben hatten und herauszufallen
drohten, um sie nachher in der richtigen Lage wieder
einzusetzen. Das Einsetzen solcher Stücke muss sehr
vorsichtig geschehen, weil, besonders wenn eine wie
hier seitliche Belichtung vorhanden ist, sehr leicht
Schlagschatten hervorgerufen werden, die den vor-
handenen Riss um so stärker erscheinen lassen. Leider
war der eine Teil der Bildfläche durch die oben an-
geführten Einwirkungen etwas über die übrige Bild-
Häche gehoben worden, so dass Schlagschatten ent-
standen waren, die wohl erheblich durch geeignetes
Schliessen des Risses gemildert, immerhin nicht ganz
aus der Welt geschafft werden konnten. Hier musste
zwischen zwei Uebeln das kleinste gewählt werden,
da anderenfalls der gehobene Teil ganz hätte los-
genommen werden müssen, um nachher in der rich-
tigen Lage wieder eingesetzt zu werden. Da nun der
wiedergeschlossene Riss das Bild absolut nicht störte,
wurde natürlich davon Abstand genommen.
So stand die Sache der Aachener Bilder als eine
Kommission, die vom preussischen Staate und der
Stadt Aachen zur Begutachtung des Zustandes der
Fresken zusammentrat und diese als teilweise „rettungs-
los" bezeichnete, ja sogar an eine teilweise Erneuerung
derselben dachte.
Es war mein Vater, Fritp Gerhardt, der auch als
Wiederbeleber der Kaseinmaltechnik bekannt ist, der
sich erbot, die Bilder wieder dauernd zu festigen.
Zum Thema: „Leonardos Abendmahl"
sendet uns Herr Friedr. Schüz noch folgenden Nach-
trag zu der in No. 17 abgedruckten Zuschrift:
„P. S. Nach Absendung meines Schreibens erhielt
ich einen Brief, aus dem ich einen Abschnitt folgen
lassen möchte, der evident die Ansicht des Herrn Prof.
Manchot zu widerlegen scheint, dass der Boden des
Genacolo früher höher gelegen haben soll. Der Nach-

weis wird durch den Beleg geführt, dass unter dem
Abendmahl immer eine Tür gewesen ist, eine Tatsache,
welche (wenigstens bei der Annahme sonst normaler
Verhältnisse), mit obiger Ansicht nicht zu vereinigen ist.
Es heisst in dem Brief:
Vor mir liegt Beltrami-Cavenaghis neueste Schrift:
Le vicende del Cenacolo Vinciano ect. Nach der
Photographie reicht die Holzverkleidung 2 m hoch.
Die Tür würde inch des später eingebrochenen Aus-
schnittes nur wenig mehr als 3 m hoch gewesen sein.
Das ist eine prächtige Höhe für die höchsten Würden-
träger und da konnte der Fussboden schon 1 m höher
liegen, um einem Gardisten noch den Eintritt durch
die Tür zu gestatten. Ich sage aber unter dem Abend-
mahl befand sich immer eine Tür, allerdings eine mässig
hohe, wie sie zu einfachen Bedürfniszwecken (hier der
Zugang von der Küche aus) in Klöstern üblich war
und ist.
Der urkundliche Nachweis, dass sich dort stets
eine Tür befand, ist in dem Tagebuch des Franzosen
Pasquier le Moyne zu finden, der die Sehenswürdig-
keiten von Mailand und Pavia beschreibt und im Ge-
folge Franz I. war. Er beschreibt auch das Abendmahl
Leonardos, das er im Jahre 1313 sah: „La cène que
notre seigneur fist a ses apostres paincte en plat a
l'entrée du réfectoire sur te coste de la porte par
ou l'on entre leans ect. (Im Folgenden lobt er
den Realismus der Beigaben und der Personen.) Also
das Abendmahl ist gemalt auf die Wandfläche beim
Eintritt in das Refektorium auf die Seite der Tür,
durch die man hineintritt. Er sagt dann noch :
Et à l'autre bout en hault ung crucifix non si
bien fait que ladicte cène. Le dit réfectoire a de
longueur 48 pas et de largeur t2.
Also er orientiert genau und führt noch die
Kreuzigung des Montorfano (gegenüber dem Abend-
mahl) auf. (Die Stelle nachzusehen bei Hoerth, das
Abendmahl, S. 13.) Maler Friedr. Schüz-Düsseldorf."
II. Zuschrift von Herrn Prof. Manchot.
In No. 16 d. Bl. hat Herr M. Schüz seinen Irrtum
zugegeben, es aber nicht bei dieser einfachen Erklärung
bewenden lassen, sondern in der Absicht, die Auf-
merksamkeit von diesem Rückzuge abzulenken, ein
Scheingefecht nachfolgen lassen. Dabei ist Herrn Schüz
das Missgeschick passiert, sich in eine Anzahl neuer,
nicht minder starker Irrtümer zu verwickeln, von denen
ich nur einige klarstellen möchte.
So vor allem soll jetzt Leonardo absichtlich per-
spektivische Fehler begangen haben (!) und Herr Schüz
führt als Beweis an, „dass die Figuren sich nicht in
die perspektivische Konstruktion einreihten. Dies sei
am auffälligsten bei den Figuren an den beiden Enden
des Tisches; sie seien nicht vom Augenpunkt aus
konstruiert und würden, wenn das doch der Fall wäre,
den Kopf nicht im Profil zeigen, sondern noch einen
Teil des zweiten Auges und der anderen Gesichts-
hälfte erkennen lassen und dann gar nicht die von der
Komposition verlangte Funktion erfüllen, nämlich auf
Christus zu sehen, sondern den Anschein erwecken,
als ob sie in den Zuschauerraum blickten."
Zunächst bestreite ich, dass ein Maler — namentlich
ein Geistesgrosser wie Leonardo — seine Figuren
ängstlich wie einen geometrischen Körper konstruieren
wird, sondern er wird in der Hauptsache nur darauf
achten, dass die Grössenverhältnisse, sowie Richtung
und Verkürzungen perspektivisch richtig sind. Aber
hiervon abgesehen, halten die beiden erwähnten Figuren
auch der peinlichsten mathematischen Konstruktion
stand, wie dies unwiderleglich aus nebenstehender
Figur hervorgeht. Dieselbe stellt einen schematischen
Grundriss des Abendmahltisches und der drei in Rede
stehenden Figuren dar. bedeutet den Standpunkt
 
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