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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 15
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Stempel, Karl: Einiges über Gemäldeerhaltung und Gemälderenovierung, [2]
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Hering, Adolf: Zum Thema: Leonardos "Abendmahl"
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0064

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6o

Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr. t5-

Prozeduren ihre einzige Rettung. Es bieibt nur die
Waht, entweder ein- und angreifende Kuren mit dem
Biide vorzunehmen, oder es darauf ankommen zu iassen,
in einiger Zeit statt eines Gemäides nur eine Lein-
wand mit einer dunkien, missfarbigen Oeikruste zu
besitzen.
Wiil man soiche Gefahren einem Biide fernhaiten,
so nützt es nichts, dass man nur gegen die Restaurie-
rung Front macht. Das Vorhergesagte ist wohi ge-
nügend Beweis, dass hier in erster Linie nur die
aiigemeine Durchführung eines rationeiien Maiver-
fahrens Wandei schaffen kann, damit diese tiefgreifende
Biiderschädigungen für die Zukunft überhaupt aus-
geschtossen bieiben.
Hiermit komme ich zum Kernpunkte dessen, was
ich mit diesem Aufsatze sagen möchte: Jeder Maier
muss sich sovieie chemische und physikaiische Kennt-
nisse zuiegen, dass er sein Materiai durchaus beherrscht
und nur dauerhafte Kunstwerke schafft. Des Konser-
vators erste und vornehmste Arbeit muss es sein, die
„Erkrankung" der Gemäide durch eine rationeiie
Biiderpfiege zu verhindern. Die vorhandenen Schäden
bei Gemäiden aus früheren Perioden nicht weiter um
sich greifen zu iassen, und etwaige eingreifendere
Massnahmen nur auf das Aiiernotwendigste zu
beschränken. Unter anderem muss eine etwa gepiante
voiiständige Firnisabnahme, die nur dem Zwecke der
„Verschönerung" dienen soii, ganz entschieden ver-
mieden werden.
Bei Einhaitung aiier dieser Bedingungen werden
grössere Biiderrestaurierungen auf ein Minimum be-
schränkt, und verschwinden die nun überflüssig werden-
den schärferen Konservierungsmittei von seibst „von
der Biidüäche". Karl Strempel.
Zum Thema: Leonardos „Abendmahl"
ist noch folgende Zuschrift eingelangt:
Nachdem an dieser Steiie verschiedene Ansichten
über den Standpunkt, von weichem aus man das
„Abendmahi" betrachten soii, insbesondere weiche Lage
der Fussboden des Refektoriums ursprüngiich gehabt
hat, erschienen sind, möchte auch ich in Nachstehen-
dem einiges darüber sagen.
Seit vier Jahren arbeite ich an einer grossen
Rekonstruktion von Leonardos Abendmahi und habe
bei mehrmaiigem Aufenthait in Maiiand das Originai
auf das eingehendste studiert, auch sind mir durch
Herrn Geheimrat Dr. W. Bode und Professor Luigi
Cavenaghi - Maiiand verschiedene Queiien genannt
worden, ebenso kenne ich die Ansicht der beiden
Herren über das Originai. Dass ich daher das grosse
Werk des geniaien Meisters bis in die ldeinsten Teiie
kenne, ist wohi seibstverständiich und wenn man dieses
Gemäide, weiches in jeder Beziehung voiiendet ist,
nachgebiidet und nachempfunden hat, kann man auch
über die Absichten, die Leonardo bei Hersteiiung des
herriichsten aiier Monumentaiwerke gehabt hat, nicht
im Unkiaren sein.
Leonardo hat die perspektivische Konstruktion
des Raumes auf dem Gemäide von einem Punkt aus
gemacht, weicher sich inmitten des Christuskopfes
befindet. Der richtige Standpunkt zur Besichtigung
des Gemäides ist in der Mitte des grossen Raumes
in Augenhöhe des Christuskopfes. Steht man zirka
einen Meter tiefer (wie ursprüngiich), so bieibt die
Täuschung dieseibe, denn bei dem Grössenverhäitnis
des Gemäides, weiches ungefähr neun Meter iang und
viereinhaib Meter hoch ist, macht eine kt eine Ver-
schiebung wenig aus, besser ist natüriich gieiche
Höhe des Augenpunktes.
Ich habe an Ort und Steiie auch darüber nach-
gedacht, weshaib der Fussboden jetzt so tief iiegt und
bin nach reifiicher Ueberiegung zu der Ueberzeugung

geiangt, dass der Fussboden des Raumes, zur Zeit
ais Leonardo das Abendmahi maite, mindestens zwei
Meter höher gewesen ist wie heute, denn der Meister
hätte bei der jetzigen tiefen Lage des Bodens den
Horizont niedriger genommen oder das Biid ganz
anders aufgefasst. Ich giaube, dass es sich auch nicht
um einen Fussboden auf ebenem Grund gehandeit
hat, sondern um eine Zwischendecke, weiche über
einem niedrigen zirka zwei Meter hohen keiierartigen
Unterraum iag und gieichzeitig den Fussboden des
Refektoriums biidete. Der untere Raum mag wohi
ais Vorratsraum benutzt worden sein. Durch Nässe
ist mit der Zeit diese Zwischendecke verfauit, da hat
man sie einfach herausgenommen und mit den Mauer-
resten der Pfeiier oder Stützen den unteren Fussboden
eingeebnet, vieiieicht noch etwas Erde oder Sand
aufgeschüttet, dann Baiken geiegt und den heutigen
Bretterfussboden fertiggesteiit. Somit iäge der heutige
Fussboden zirka 70 cm höher wie der ursprüngiiche
des unteren Raumes, und wie ich bestimmt annehme
ist dies mit Absicht so gemacht worden, weit aus zeit-
genössischen Schriften ersichtiich ist, dass bei starken
Regengüssen der Boden unter Wasser gestanden
haben soii.
Rechnet man nun diese 70 cm, dann 3 m Hoiz-
verkieidung und : m Höhe von der noch heute unter-
haib der Christusfigur sichtbaren Durchbruchsteiie,
so kommt eine Höhe von 4,70 m vom ursprüngiichen
Grundfussboden bis zu dem oberen Rand der durch-
brochenen Tür heraus. Wenn man 2 m Höhe für den
Unterraum annimmt, 70 cm für die Zwischendecke,
dann bieiben für die durchbrochene Tür 2 m übrig.
Mithin hat der ursprüngiiche Fussboden des Raumes,
in weichem sich das Originai befindet, zirka t m unter-
haib des Gemäides und 2 m über dem heutigen Boden
geiegen.
Es würde sich bei dieser Annahme, von deren
Tatsache ich überzeugt bin, aiies was über die per-
spektivische Raumwirkung geschrieben und von Leo-
nardo beabsichtigt worden ist, von seibst ergeben.
Auch die Lage des gegenüberiiegenden Biides von
Montorfano spricht für meine Annahme. Die Hoiz-
verkteidung hatte ich für einen Notbeheif, um die
Spuren der entfernten Zwischendecke an den Wänden
zu überdecken.
Eine weitere Bestätigung ersehe ich aus foigen-
dem: Wenn man den Vorraum (Biiietausgabe) betritt,
bemerkt man geradeaus eine Treppe, die zur Loge
des Custode hinaufführt. Diese Loge ist kiein und
bildet eine breite Piattform auf der obersten Stufe.
Ich giaube bestimmt, dass hier der ursprüngiich hoch
geiegene Eingang zum Refektorium gewesen ist, dessen
Tür sich etwa unter dem zweiten Fenster des Raumes
befand, während der jetzige Eingang in die unteren
niedrigen Räume führte. Diese Annahme erklärt auch
die Tatsache, dass französische Truppen die niederen
Räume seinerzeit ais Pferdestäiie benutzt haben, wenn
damals noch die Zwischendecke vorhanden war.
Später wurde auch die Türöffnung unterhaib des
Christus vermauert, weit niemand eine Tür gebrauchen
konnte, die 2 m über dem Fussboden lag. Die heutige
Eingangstür ist erhöht worden.
Sehr interessant wird es mir sein, wenn ich wieder
nach Maiiand komme, in dieser Angeiegenheit mit
Herrn Professor Cavenaghi Untersuchungen anzusteiien,
vieiieicht hilft eine Anregung zur Hersteiiung der
früheren Verhältnisse, was ich indessen nicht giaube,
da der genannte Herr die Festiegung des wie eine
iose Rinde hängenden Gemäides ohne Entgeit aus
Verehrung für den Meister Leonardo gemacht hat.
Es ist eben dort wie bei uns für Kunstzwecke wenig
übrig. Adolf Hering-Beriin.
 
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