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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 11
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Mai, Johann: Die Künstlersteinzeichnung, [2]
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Der Kampf gegen die gewerbliche Verwendung von Bleiweiss
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0047

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Nr. n.

Münchner kunsttechnische Blätter.

43

Stein jahrzehntelang ganz vernachlässigt worden,
und erst durch die vorzüglichen Erzeugnisse der
Kunstschulen und einzelner Künstler auf die Vor-
züglichkeit des Verfahrens aufmerksam gemacht,
befassen sich die Lithographen wieder mehr mit
der Ausführung der Kreidelithographie oder Stein-
zeichnung. Für jeden zeichnenden Kunstjünger
hat sie den Vorteil, dass sie unter allen Verviel-
fältigungsverfahren die einzig dastehende Mög-
lichkeit bietet, ohne fachmännische Ausbildung die
eigenhändigen Kompositionen der Allgemeinheit
zugänglich zu machen. Der Wert, den solche
Originalerzeugnisse in den Augen des kaufenden
Publikums haben, ist allgemein bekannt, so dass es
wohl nicht des besonderen Hinweises darauf bedarf.
Der Kampf gegen die gewerbliche Ver-
wendung von Bleiweiss.*)
Von ing. ehern. Julius Grünwald-Lafeschotte.
Unter die im Gewerbe und in der Industrie
am häutigsten auftretenden berufsmässigen Ver-
giftungsursachen sind der weisse Phosphor und
das Blei in erster Linie zu zählen. Phosphoris-
mus und Saturnismus sind Erscheinungen, die
eines Kommentars nicht bedürfen. Der Kampf
gegen die Verwendung von weissem Phosphor und
von Bleiverbindungen ist in allen Ländern heute
aktuell. Die Verwendung des giftigen Phosphors
ist dank der technischen Fortschritte und der
Gesetzgebung eingeschränkt und im Verschwinden
begriffen. Leider kann von der Verwendung des
Bleies und seiner Verbindungen im Gewerbe
(Drucker, Anstreicher, Maler, Hafner, Spängler
usw.) nicht dasselbe gesagt werden. Während in
Frankreich, dem klassischen Lande aller techni-
schen und hygienischen Fortschritte, die Frage
schon seit mehr als hundert Jahren studiert wurde
und zum vollständigen Verbote der Verwendung
des Bleiweisses als Malerfarbe in ganz kurzer
Zeit führen wird, ist die Bewegung in Oesterreich
jüngeren Datums. In Deutschland wurde die
Verwendung von Bleifarben in den meisten Ver-
waltungen seit 1903 verboten. Eingehende Studien
in Frankreich haben bewiesen, dass man das
Bleiweiss vollkommen durch Zinkoxyd ersetzen
könne.
Zur richtigen Beurteilung der hier zu be-
handelnden Frage ist es lehrreich, die diesbezüg-
lichen Kämpfe in Frankreich kurz zu skizzieren.
Wenn auch durch eventuelle Schutzmassregeln
die Bleivergiftungsgefahr sich verringert, so ist
die Anzahl der Opfer aus dem Berufe der Maler
und Anstreicher, die kohlensaures Bleioxyd ver-
*) Wir entnehmen die obigen Ausführungen einem
in der „Wissenschaftiichen Beiiage" der Wiener „N.
fr. Pr." erschienenen Aufsatz, unter Hinweglassung der
den speziellen österreichischen Entwurf eines Gesetzes
bezüglich der Verwendung von Bleifarben betreffenden
Stellen.

wenden, eine erschreckende. Aber schon die
Ausdünstungen frisch gestrichener Räume, soweit
Bleifarben verwendet wurden, wirken ungemein
schädlich.
Breton stellte unter eine Glasglocke eine
Reihe von frisch mit Bleiweiss gestrichenen Blech-
büchsen. Von der mittleren Büchse führte er ein
Glasrohr zu einem Absorptionsgefäss, das eine
zehnprozentige Schwefelwasserstofflösung enthielt.
Er saugte in dieses Gefäss die Luft aus der
Glasglocke an, und nach einiger Zeit waren deut-
liche Spuren von Blei in dem Absorptionsgefäss
in Form von Schwefelblei wahrzunehmen. Ein
Beweis der Ausdünstungsfähigkeit frisch ge-
strichener Bleiweissfarben. Schon 1840 fand
Tanquerel des Planches, dass Hunde, die einen
Maulkorb trugen und in frisch gestrichene Räume
eingeschlossen wurden, bald Vergiftungserschei-
nungen zeigten, die bei dem Umstande, als die
Hunde die Farbe nicht durch den Verdauungs-
weg aufnehmen konnten, nur auf dem Wege der
Einatmung dieser Bleiemanation erfolgen konnten.
Und gerade die geringen, aber konstanten Mengen
der Bleikörper, die der Mensch in sich aufnimmt,
wirken schädlich. Würde man grössere Mengen
auf einmal zu sich nehmen, so würde der Orga-
nismus die Aufnahme derselben verweigern, be-
vor eine Vergiftung eintreten kann. Die Anhänger
der Bleifarben stützen sich auf einen Versuch von
Hyvert, der 23 bis 30 Gramm alter, in Oel ver-
riebener Bleifarbe von Hunden absorbieren liess,
ohne dass Vergiftung eintrat. Sie übersehen eben
dabei, dass es eine Tatsache der Toxikologie ist,
dass eine übermässige Dosis eines Giftes oft den
umgekehrten Erfolg hat, als erwartet wird. Der
Organismus gibt dieselbe rasch von sich, da die
ihm auf einmal dargebotene Menge zu gross ist.
Dass die Bleikrankheit auch vererblich sein kann,
zeigt J. L. Breton, der verdienstvolle französische
Abgeordnete und Berichterstatter der französischen
Kammer, an folgendem typischen Falle:
Professor Pinard behandelte auf seiner Klinik
die Frau eines bleikranken Arbeiters, die Jahre
hindurch mit totgeborenen oder bald nach der
Geburt gestorbenen Kindern niedergekommen
war. Um so erstaunter war er, als dieselbe Frau
einem vollkommen gesunden Kinde das Leben
schenkte. Auf eindringliche Fragen gestand die
Frau, dass der Vater des Kindes nicht ihr blei-
kranker Mann, sondern ein in einem anderen
Berufe tätiger Arbeiter sei. Die Wirkungen der
Bleivergiftung sind bekannt. Sie beginnen mit
der Bleikolik, arten in Muskellähmung des Vorder-
armes aus und enden mit allgemeiner Paralyse,
Epilepsie, oft Wahnsinn und einem qualvollen
Tode. Unter 1115 Malern, die von 1899 bis
1901 in Pariser Spitälern behandelt wurden, zählte
man 396 Bleikranke.
(Fortsetzung folgt.)
 
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