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Münchner kunsttechnische Blätter — 5.1908/​1909

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Nr. 10
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Berger, Ernst: Ein Brief Segantinis
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https://doi.org/10.11588/diglit.36593#0041

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Inhalt: Ein Brief Segantinis. Von E. B. — Die Künstiersteinzeichnung. Von Joh. Mai-Titsit. — Zu dem
Artikel „Leonardos Abendmahi". Von Martin Schüz. — Maler mit farbenschwachen Augen.

Ein Brief Segantinis.*)

Aeusserungen von ausübenden Künstlern über
ihre Kunst haben stets den Charakter eines Doku-
mentes, durch das wir in die Lage versetzt
werden, in den Werdegang und die Entstehung
ihrer Werke Einblick zu gewinnen. Nicht nur
der Standpunkt, der von seiten der Künstler zu
den ästhetischen Aufgaben ihrer Kunst einge-
nommen erscheint, sondern auch die Art und
Weise, wie sie rein technisch es zuwege bringen,
ihre Intentionen auszuführen, findet hierbei seine
Erläuterung.
Im allgemeinen sind Künstler äusserst karg
mit Erörterungen über ihre eigene Kunst, so dass
die Mitwelt nur auf Vermutungen angewiesen ist.
Tritt aber eine besondere künstlerische Eigenart
an die Oeffentlichkeit, wie es bei Segantini
der Fall ist, so ist es begreiflich, dass Fragen
aller Art auftauchen, die nur durch den Künstler
selbst beantwortet werden können. Einen solchen
Fall betrifft die merkwürdige äussere Erscheinung
der Bilder des genannten Malers, die von der
landläufigen ganz und gar abweicht, und deshalb
die Frage, warum er so anders als andere malt,
berechtigt erscheinen lässt.
Aus den bezüglichen Diskussionen der Kunst-
referenten greifen wir die sehr sachgemässe her-
aus, welche Dr. Fr. Carstanjen-Zürich über Segan-
tinis Technik in der „Schweizerischen Rund-
schau" 1896 (VI. S. 482) veröffentlicht hat: „Diese
ist eine ganz eigenartige, nur bei Segantini an-
zutreffende, von ihm selbst erfundene; sie er-
scheint als eine unendlich mühsame Mosaikarbeit,
indem jedes Bild zusammengesetzt erscheint aus
*) Aus Anlass der kürzlich erfolgten Eröffnung des
Segantini-Museums in St. Moritz (Ober-Engadin) bringen
wir den obigen, vor längerer Zeit in Malkowskys
„Deutsche Kunst" (I. Jahrg., Nr. 22) zuerst erschienenen
Aufsatz hier zum abermaligen Abdruck.

kleinen pastos nebeneinandergesetzten, verschieden
nuancierten Farbstrichen, Farbfäden sozusagen, die
jedesmal zwischen sich eine kleine Rille lassen.
Dennoch ist die Gesamtoberfläche glatt und er-
scheint wie mit dem Spachtel poliert, der aber
nicht so scharf aufgedrückt worden, um die Farben
breit zu quetschen und die Rillen auszufüllen. Es
wäre das eine Malerei, so kompliziert und mühe-
voll, dass zur Herstellung eines Bildes mittlerer
Grösse eine schier unermessliche Zeit nötig wäre.
Segantini erreicht dabei mit allen seinen Bildern
eine Naturwahrheit sondergleichen, seine Farben-
harmonien sind angenehme, dabei der Wahrheit
ungemein nahekommende, und schon auf ganz
kurze Distanz fliessen die Einzelheiten seiner
Finselführung in einem einheitlichen Gesamtton
zusammen. Wäre nun seine Technik die oben
angenommene, unendlich komplizierte, so wäre es
kaum glaublich, wie er zu dieser Einheitlichkeit
kommt, ohne bei der Detailarbeit die Uebersicht
über das Ganze zu verlieren."
Ausserdem wäre es zu kleinlich, so führt
Dr. Carstanjen weiter aus, und angesichts der
grossen Wirkung von Segantinis Bildern für einen
mit dem Künstler Fühlenden nur begreiflich, wenn
er nach einer Erklärung der Technik sucht, denn
der Gedanke daran, dass die Arbeit dieser Bilder
eine so mühevolle wäre, könnte einem die Freude
an Segantini vergällen. Das peinliche Aneinander-
fügen fast gleichgrosser Farbenstrichelungen über
die ganze Malfläche habe etwas sehr Unkünstle-
risches an sich; man könnte jedoch, bei dem
meist parallelen Verlauf der Strichlagen, durch
ihr scharfkantiges Abgesetztsein gegeneinander,
und vor allem durch die unbezweifelbare Dünn-
flüssigkeit der nuancierenden Farbstriche zu
der Ansicht gelangen, der Künstler sei gerade
umgekehrt zuwege gegangen. Er bereite sich,
 
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