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Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

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Das Jüngste Gericht

4. Die Erweiterung des Tribunals der Apostel durch Hinzu-
fügung von Heiligen war schon von Fra Giovanni Angelico
vorgenommen worden.
5. In Gruppen gegliedert erscheinen diese Heiligen bereits an
den Deckengewölben der Orvietaner Kapelle. Und zwar sind
es die Chöre der Patriarchen, Propheten, Apostel, Kirchen-
väter, Märtyrer und heiligen Jungfrauen.
6. Besonders grossartige Darstellungen der die Posaunen blasen-
den Engel hatten äusser dem Meister im Camposanto besonders
Giovanni Pisano an der Kanzel in S. Andrea zu Pistoja, deren
starke Wirkung auf Michelangelos Phantasie auch in den
Sibyllen nachzuweisen ist, und Signorelli in Orvieto gegeben.
7. Die Nacktheit der auferweckten Erlösten und Verdammten
war durch Signorelli zur höchsten künstlerischen Wirkung
gesteigert worden.
8. Der Kampf von Engel und Teufel um eine Seele ist ein altes
Motiv. Es erscheint an Niccolö Pisanos Kanzel in Pisa und
spielt eine bedeutende Rolle in dem Triumph des Todes im
Camposanto.
9. Das Emporsteigen der Auferweckten aus der Erde hatte in
Sonderheit durch Signorelli seine drastische Verdeutlichung
gewonnen.
10. Die Abwehr der zum Himmel Emporstrebenden durch Engel
und ihr durch das Eingreifen von Teufeln beschleunigter Sturz
war von Signorelli dargestellt worden. Schon Giotto hatte
in grosser Mannigfaltigkeit der Motive diesen Sturz (im Feuer-
strom) geschildert.
II. Das Vorbild der menschlich gebildeten, aber gehörnten Teufel
ist gleichfalls bei Signorelli zu finden.
12. Ebenso der eine Seele auf den Schultern tragende Teufel.
Das Motiv wird schon von Niccolö Pisano gebracht.
13. Dass die Sünder durch Teufel mit Haken in die Hölle ge-
zerrt werden, finden wir bei Fra Giovanni.
14. Charon in seinem Nachen (aber ohne Ladung) ist von Signo-
relli auf dem einen Schmalbilde in Orvieto dargestellt worden,
auf dem
15. auch der schlangenumwundene Minos erscheint.
Fragen wir nunmehr nach Feststellung dieser Beziehungen zur
vorhergehenden Kunst, was das Neue in Michelangelos Schöpfung
ist, so zeigt sich dies zunächst und vor Allem, allgemein gefasst, in
der einheitlichen dramatischen Konzeption der momentanen Wir-
kung des Verdammungsurtheiles, das nicht allein die Sünder,
sondern auch die himmlischen Heerschaaren, die in den älteren
Darstellungen ein feierlich theilnahmsloses Tribunal gebildet hatten,
 
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