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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 221 - Nr. 230 (24. September - 4. Oktober)
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5. Jahrgang

Nr. 224

Heidelberg, Donnerstag, de» 27. September 1923

MÜW M M M<>jM M M
Auswärtige M.7S0ÜM>.BeiWie'der» d M HMf MM berg,«eIchaflsstc ll^Echröderfl rLS.
Holungen Nachlaß nach Tarif. HW^ V 'V TeU «»pedittonSSTSn.Redak.MT
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Die Proklamation der
Reichsregierung.
Berlin, 26. September 1S23-
Reichspräsident Evert hat zusammen mit der
Nejchsregierung an das deutsche Volk einen
Aufruf erlassen, in dem die Entschlüsse der Regierung
Uiedergelegt sind. In dem Ausruf beißt es, nach-
dem eingangs die schweren Bedrückungen, die durch
°en Einbruch französischer und belgischer Lruvpcn
iwder Recht und Vertrag m das deutsche Ruhrgebiet
entstanden sind, eingehend geschildert worden sind:
„Die Reichsregierung hat cs übernommen nach
ihren Kräften sür die leidenden Volksgenossen zu
sorgen. In immer steigenderem Maste sind die
Mittel des Reiches dadurch in Anspruch ge-
nommen worden. In der abgelaufenen Woche
erreichen die Unt e r st n tz u ngen für hi Hein
und Ru h r die Summe von 3 üliv Billio-
nen Mar k. In der lausenden Woche ist minde-
stens die Verdoppelung dieser Summe >u
erwarten. Mit furchlbarenl Ernst droht die Ge-
sahr, dast beim Festhacken an dem bisherigen Ver-
fahren die Schaffung einer geordneten Währung,
die Aufrechterhaltung des Wirt-
schaftslebens und damit die Sicherung
der letzten Existenz für unser Volk un-
möglich wird.
Jur Hinblick auf diese Gefahren stehen Wir
heute vor der bitteren Notwendigkeit,
den Kampf ab zu brech en. Damit werden
r och größere seelische Opfer als bisher
f -en Bewohnern des besetzten Gebietes ver-
langt. Wir werden niemals vergessen, was die-
i uigen erlitten, die tm besetzten Gebiet duldeten
' nd diejenigen, die lieber di« Heimat verlieben,
-"s dem Vaterland di« Treue zu brechen. Dafür
'n sorgen, dass die «efanWeue, freige-
gsben werde«, datz di« «erftotzene« zu-
rttckk - hren, bleibt die vornehmste Aufgabe dvr
Reichsregiernn«. Bor Een wirtschaftlichen und
waierielten Sorgen steht der Kampf für diese elc-
trcntaren Menschenrechte. Die Freiheit deutscher
'Volksgenossen und deutscher Erde ist uns kein Ob«
scsi für Verhandlungen »der Tauschgeschäfte.
Reichspräsident und Retchsregieruug versichern
feierlich vor dein deutschen Volk und der Welt, dast
sie sich z u keiner Ab machung v ersteh en,
die auch nur das kleinste Stück deutscher Erde
dom deutschen Reiche loslösen. In der Hand der
ffinbruchsmachte und ihrer Verbündeten liegt es,
vH sie durch Anerkennung dieser Auffassung
Deutschlands den Frieden Wiedersehen oder mit
Verweigerung dieses Friedens all die Folgen her-
beiführen wollen, die daraus für die Beziehungen
der Völker entstehen müssen.
Das deutsche Volk fordern wir auf, in den be-
dorstshenden Zeiten härtester seelischer Prüfung
und materieller Not treu zusammenzu sie-
den. Nur so werden wir alle Absichten aus
Zertrümmerung des Reiches zunichte
Wachen, nur so werden wir der Nation Ehre und
Leben erhalten, nur so ihre Freiheit wieder-
Mvinnen, die unser unveräußerliches Recht ist.
Berlin, den 26. September 192S.

Reichspräsident Ebert,
^ichskmrzler Dr. S tresemann und sämtliche
Mtniste r.
Richtlinien für die Wiederaufnahme
der Arbeit.
Vertin, 26. Sept. Gleichzeitig mit der Prokla-
'wtion der Retchsrcgiernng hat diese Richtli-
y 'en über die Form hinausgehen lassen, in der die
tbeil t,n besetzten Gebiete wieder ausgenommen
"erden soll.
h. An die Bewohnerschaft der besetzten Ge-
stiiu sich die Reichsregierung mit Unter-
q.d'mug der von ihr gehörten Vertreter der dortigen
d ^fes- und Wirtschaftsgruppen in einem beson -
. ^en Aufruf wenden. Die politischen Par-
s^EN des Rheim und Ruhrbezirks — von der Deut-
ber^ Volkspartet bis zur Sozialdemokratie — sind
nt, sich diesem Aufmf auzuschliesten.
Sitzung des auswärtigen Ausschusses
Sept. In der Sitzung des Aus-
NSüe!e^u?» legte der Reichskanzler des
Fillar ^^llltnis der RuhraMgaven za der
Reiches dar, das in Bälde dm
iibepsH ^ f'ltanziellen, ln seinen Folgen nicht zu
Zusammenbruch zu bringen
f>eu.t<> » wandte sich dabei gegen diejenigen, die
Tor,«^ schärfsten S t e» e r m a ß na h m e n zur
r'Mhrung des passiven Widerstandes forder-

1« n und die die gleichen seien, di« sich noch so-
eben gegen die allzu grobe Belastung durch die
zuletzt vom Reichstag bewilligten neuen Steuern
gewandt hätten. Nach Prüfung der Sachlage habe
sich daher das Reichskabinett schon vor länge-
rer Zeit entschlossen, die Aufgabe des passiven
Widerstandes zu erwägen. Die Versuche, die Still-
legung des Widerstandes zu verbinden Mit franzö-
sisch-belgischen Maßnahmen zur Rückführung der
Vertriebenen, Befreiung der Gefangenen usw., seien
ergebnislos geblieben, da der französische Mi-
nisterpräsident sich auf den Standpunkt festgelegt
hätte, vor Abbruch des Widerstandes nicht in
Verhandlungen einzutreten.
So habe man sich dazu entschliessen müssen, den
Ruhrkampf aus innerdeutschen wie außen-
politischen Momenten aufzugeben, weil dessen
Fortführung ohne jeden Zweifel zu einem voll-
kommenen Zusammenbruch im Innern geführt
hätte.
Berlin, 26. Sept. Im Auswärtigen Ausschuß
billigten in der Aussprache die Abgeordneten Graf

Bernstorfs (Dem.), Dr. Bre ttscheid (So».),
Dr. Spahn (Ztr.) und Dr. Scholz (D. Vp.)
di« Ausführungen des Reichskanzlers über die Not-
wendigkeit der Aufgabe des passiven Widerstande-,
wie diese in der Regierungserklärung bereits dar-
gelegt ist, und stellten sich hinter die Politik
der Reichsregierung.
Abg. Dr. Helfscrich (DN) forderte, daß der
passive Widerstand durch den Bruch mit Frank -
reich abgelöst werde.
Abg. Ko en en (Komm.) mißbilligte die FoM
des Abbruchs des passiven Widerstandes. Für die
Liquidierung der Ruhrkrise sei eine Arbeiter-
und Bauernregierung und die Sachwert-
erfassung Voraussetzung gewesen.
Zum Schluß sprach noch Abg. Müller- Franken
(Sog ), der ausdrücklich den Aufruf der Reichsregte-
rung billigte.
Berlin, 26. Sept. Die große politische
Aussprache wird erst am Dienstag stattfin-
den. Am Donnerstag werden andere Fragen be-
handelt.

M NN in AMN m?
Ausnahmezustand mit Herrn v. Kahr
als Generalstaatskommissar.

* Heidelberg, 27. September.
In wahnsinnigem Tempo rüsten die bayerischen
Nationalsozialisten zum Bürgerkrieg. Im
„Völkische» Beobachter" kommandiert bereits Fürst
Karl Wrede: Fertig zum Auffitzen! „Führer Hit-
ler" gibt die letzten Anweisungen. Die bayerische
Regierung hat diese Kampfvorboreituiigen mit der
Verhängung des Ausnahmezustandes be-
antwortet, indem sie gleichzeitig sich in Schärfe ge-
gen schädigende Störungen der Ordnung wendet.
Angesichts der nationalsozialistischen Vorbereitungen
wäre gegen diese Maßnahmen wenig cinzuwendcn.
Wenn nicht die Art, wie sie verhängt wurden, sehr
bedenklich stimmen müßte.
Die bayerische Regierung hält es nämlich sür
nötig, herauszustretchen, daß Herr v. Knilltng zwar
dem Abbruch des passiven Widerstandes zustimmte,
jedoch über die kommendeTaktik anderer An-
sicht war als die Roichsregierung. Man will also
einen Gegensatz zumReich konstruieren. Noch
drastischer wird jedoch die Situation beleuchtet durch
die Tatsache, daß als General st aatskommis-
sar Herr v. Kahr ernannt wird. Indem man
den Bock zum Gärtn « r macht, zeigt man sofort,
gegenwensich der Ausnahmezustand richtet. Und
Herr v. Kahr hat auch bereits den angesagten
d eu t sch v ö l k i sch e n Versammlungen die
Genehmigun g. zugesagt. . . .
Das Reich kommt durch diese Vorgänge in
Bayern in die schwierigste Lage. Nicht minder aber
auch die Arbeiterschaft. Denn was hinter
Herrn v. Kahr steht, das ist die dunkelste Reak-
tion. Geschlossenheit und Einigkeit der Arbeiter-
klasse muß das Gebot der Stunde sein. Schnell,
sehr schnell kann an die Arbeiterschaft deS gan-
zen Reiches der Ruf zur Sammlung kommen.
Seid bereit!
Die Kampfvorbereitungen.
München, 26. Sept. In der Organisation
„Oberland" wurde der Befehl ausgsgebeu, Frei-
tag früh 4 Uhr mit sämtlichen Waffen sich
zu sammeln. Die gleichen Befehle sind für die na-
tionalsozialistischen Sturmtrupps ausgegeben wor-
den. Die Organisation! Rotzbach hat sich Don-
nerstag abend zu stellens und ihren Ange-
hörigen wurde Zuweisung zur Waffengattung mit-
geteilt. Ein streng vertraulicher Befehl ordnet
Ortsanwesenheit vom 26. September qjb an.
Nürnberg, 26. Sept. Die vaterländi-
schen Verbände Nürnbergs halten nun
ihre Stunde für gekommen. Sie proklamieren of-
fen die Auflösung des alten Reiches und die Los>-
trennung Bayerns vom übrigen Deutschland.
Hitler als Kampfführer.
Bserlip, 26. Sept. Der „Völkische Bieob."
veröffentlichte in seiner gestrigen AuMabe M, der
Spitze des Mattes folgende Mitteilung: In der
Führersitzung des KampchundÄ am 2S. Wyt., MH.
mittags, hab«,« die, Führer der K«mMeOWVe
Oberland und MesichKflsajgg«, W Vene«
Mmtliche Sturmabteilungen der Mitioniak-
sozialisten zusamrnen,geschlossen sind, erklärt: Ach
MWH des Ernstes der politischen Lage empfehlen

«wir die Notwendigkeit einer einheitlichen politi-
schen Leitung. In volley UebereinsidnMtMtg in Weg
und Ziel übertragen die Kampsverbände in voller
! Wahrung deren innerer Geschlossenheit diese politi-
sche Leitung Herrn Adolf Hitler.
Hitler hat bereits seinen ersten Befehl er-
lassen. Er fordert die Angehörigen der National-
foziakistischen Partei auf, sofort aus «allen militäri-
schen Verbünden, die nicht zum Kaurpfverband ge-
!hörsur auszuireten und sich einer der tm
!Kampsbuud Msamucengeschlossenen drei Organisa-
Itionon auz»schließen. Offenbar will er diesen Be-
fehl vsthneidsn, was die Erfte-Mai-Aktion so bla-
mabel gemacht hat, daß nämlich die Nationalsozia-
listen voll den anderen Verbänden im Augenblick
des Handel ns im Stiche gelassen Werden.
Verhängung des Ausnahmezustandes
München, 26. Sept. Die Aktion, die von den
-Verbänden des Deutschen Kmnpfbundes, den Na-
tionalsozialisten und den Organisationen „Ober-
land" und „Reichsflagge" angekündigt wurde,
wurde von der bayerische« Regierung mit der Ver-
hängung des Ausnahmezustandes beant-
wortet. Der heutige Ministerrat hat auf Grund
der bayrischen Verfassung für Bayern den Regie-
rungspräsidenten von Oberbayern, Dr. v. Kahr,
als Gcneralkommissar bestellt. Eine Verordumrg
des Mtnisterimns bestimmt:
„Mit der Verkündigung dieser Verordnung geht
die vollziehende Gewalt auf den Gene-
ralsstbasatskofnmissar über. Sämtliche Be-
hörden des Reiches, des Landes und der Ge-
meinden bleiben in ihrer Tätigkeit, haben aber mit
Ausnahme der Gerichte, Verwaltungsgerichte und
Militärbehörden den Anordungen und Verfügun-
gen des Generalstaatskommiffars Folge zu leisten.
Er ist berechtigt, jederzeit an ihrer Stelle Amts-
handlungen vorzunehmen, er ist befugt nach 8 17
des Wehrgefetzes die Hilfe der Wehrmacht
anzufordern. Der Gencralstaatskommisfar kann
Anordnungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung erlasse» und ihre Ueber-
tretung sowie die Aufforderung und Anreizung zur
Uebertretung mit Strafe bedrohen. Er ist auch
berechtigt, Schutzhaft und Aufenthaltsbeschränkun-
gen zu verhängen."
Eine Kundgebung v. Kahrs.
Ein Aufruf Kahrs: In ernster Stunde
übernehme ich, meiner vaterländischen Pflicht fol-
gend, das Amt des Generalkommissars für Bayern.
Meine Amtshandlungen werden getragen fein von
heißer Liebe zur bayerischen Heinrat, zum deutschen
Golk und zum deutschen Vaterland. Ich will mich
dabei stützen auf alle Kreise, die deutschen
Stammes sind und unserem Vaterland gleich
mir ehrlich dienen wollen. Gegen alle vaterlauds-
feindlichen Handlungen und jeden Widerstand ge-
gen meine Anordnungen werde ich meine Macht-
mittel rückhaltlos einsetzen.
Die Von den Nationalsozialisten für
morgen Donnerstag angesagten 14 VersamMungen
sind gestattet.

M MWMll lUl M.
Severlrrg verbürgt den Schutz der
Ordnung.
Berkin, 26. Sept. Das preußische Staats-
ministerium befaßte sich in einer außerordentlichen
Sitzung am Dienstag abend in eingehenden Be-

ratungen Wit der Politischen stnd wirt-
schaftlichen Situation. Im Rahmen der
politischen Debatte gab der Minister des Innern die
Erklärung ab, daß er die Frage, ob die Ruhe und
Ordnung in Preußen gegen Unruhestifter und Un-
rnhestiftuugen von links und rechts hinreichend ge-
schützt sei, zuversichtlich bejahen könne.
Verhaftungen Rechtsradikaler in
Berlin.
Berlin, 26. Sept. Wie ein Berliner Mittags-
blatt erfährt, ist gestern abend von der politischen
Polizei eine Anzahl von Personen rechts-
radikaler Parteizugehörigkeit verhaftet worden
Nähere Einzelheiten werden noch nicht bekannt ge-
geben, da die Untersuchung gegen die Festgenomme-
nen noch im Gange ist.
Dkl M M MWIMkll
o Berlin, 26. September.
Nach den traurigen Erfahrungen der letzten g
Jahre ist der Wunsch nach erträglichen Ver-
hältnissen, die vor allen Dingen die Möglich-
keit zu einem geordneten wirtschaftlichen Leben ge-
ben, jetzt in unserem Volke allgemein. Viele, die noch
vor Wochen der Ersüllungspolitik ablehnend gegen-
überstanden, haben inzwischen einsehen ge-
lernt, daß ein« Besserung unserer Verhält-
nisse nur möglich ist, wenn wir den ernsthaften Ver-
such machen, durch weitgehende Erfüllung
der Reparationsverpflichtungen eine
Aenderung in dem gegenwärtigen diplomatischen
Mißverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich
zustande zu bringen. Henle erfüll« diese Einsicht
nicht nur die Relchsregterung, sondern alle diejeni-
gen, die der Politik des Kabinetts in diesen Tagen
ihre Zustimmung gegeben haben. Das ist die übe r-
grosse Mehrheit des Volkes unter Führung
des Reichskabinetts und der Regierungen der Län-
der. Einmütig waren die M i n ist e rP r ä s i d e n-
ten der Länder der Uebcrzengung, daß sich die
Ncichsregieruug auf dem richtigen Wege befin-
de! und die Pläne, die sie in diesen Tagen verwirk-
lichen will, dem Volkswohl entsprechen. Selbst
Herr von Knilling, der Freund der Deutsch-
nationalen, hat am Dienstag im Verlauf der Kon-
ferenz dec Mttttsterprüsidenten den Mut zur Ehrlich-
keit bezeugt, der seinen Freunden bisher immer noch
gefohlt hat, und die Tatsache anerkennt, daß es Po-
litisch unzweckmäßig ist, einen Kampf fort-
zufüh'ren, ohne vor allem dazu die notwendigen
Mittel zu besitzen.
Gestützt von der Volksmehrheit kann die Reichs-
regierung beruhigt die Verordnungen der
Regierung Cuno, deren Pfltchtvergessenhett
war, ihrer eigenen Politik durch finanzielle Maßnah-
men nicht die notwendige Unterstützung a»gedeihen
zit lasten, zuriickzuziehen. Der Aufrufder
Reichsregierung und der Appell an daS
Ruhrgebiet ebnet den Weg zu Verhandlun-
gen. Zur sachgemäßen Führung der Verhandlung
aber halten wir vor allem die Besetzung der
verwaisten Botschaften in Paris und
Brttsselfür notwendig. Mit diesen Aemtern Muß
die Reichsrogieruug jetzt schnellstens Männer be-
trauen, die auf dem Gebiete der Reparationsfrage
sachverständig sind oder den Botschaftern müssen
Personen beigegeben werden, die sich über das Re-
parationsproblem ausrennen. Es ist nicht abzustrei-
tcn, daß wir in Deutschland arm an Persönlich-
keiten sind, arm insbesondere an Männern, denen die
französische Regierung nicht von vornherein ableh-
nend gegenübersteht. Immerhin dürste es dennoch
Männor geben, die bereit sind, sich der schwierigen
Ausgabe der Verhandlungen mtt der Entente zu
widmen und die jene hierzu notwendigen Voraus-
setzungen im allgemeinen erfiillen.
Wir sind überzeugt, daß die Regierung Strese-
mann mit dem Willen, ans schnellstem Wege durch
große Opfer eine Verständigung zu ennöglt-
chen, an die nunmehr bevorstehenden Verhandlungen
berangebt. Zur Durchführung dieses Willens gehö-
ren u. E. auch gewisse iunerpokitischen Voraussetzun-
gen, gehört vor allen Dingen die Aufrecht-
erhaltung von Ruhe und Ordnung im
Innern. Solange aber die Reichsregierung den
Deutschnattonalen nicht den entschiedenen
Kampf ansagt, glauben wir innere Unruhen
befürchten zu müssen. Die deutschnationale Hetze
wird von Tag zu Tag maßloser, oMohl die Regie-
rung nur dem Willen der Volksmehrheit entspricht
und ohne daß diese vaterlandslose Gesellschaft bisher
einen positiven Weg zur Fortführung des passiven
Widerstandes gezeigt hätte. Wie lange will die
Regierung diese Zustände noch dulden? Sie muß
sich dann bewußt sein, daß bereits heute selbst bet
maßgebenden Leuten der Rveinprovinz
dunkle Machenschaften geplant sind, deren
Vereitelung eine freie Hand der Regierung benötigt,
und sie sollte nicht vergessen, daß es auch gegen gei-
stige Verhetzung schließlich eine Selbsth.lfe gibt.
Allerdings bedarf die Zügelung der deutschnatio-
naken Demagogen eine radikale Aenderung
der bisherigen Haltung der Negierung gegenüber
den Volksverhetzern. Bisher noch hat Herr
Stresemann es sür notwendig erachtet, mit
den Deutschn«tiona>en sich an den
 
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