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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 251 - Nr. 260 (29. Oktober - 8. November)
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lages-ZkitW M -le werktWtZevMMg der Amrsbezitte Melbers. Wiesloch. SiMeiw.

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Nervach. Mosboch. VOe«. Nelrhew. Sorderg. rmerMMeks n. WeMkM

Heidelberg, Donnerstag, den 1. November 1923

5. Jahrgang

Nr. 254

Wer M WUMM!"

Marxismus als die Wurzel alles Nebels hinstellen,
damit man im» so weniger merken soll, iin welchen
Taschen sie ihre unsauberen Unser Haven. Sind

Um Schlagworte sind die reaktionären es nicht dieselben Kreise, die sich national ge-
warteten nie verlegen gewesen. Früher wurden Harden, den anderen Vaterlandsliebe abspvechon,
die Schlagworte gegen die Sozialdemokratie ans aber ans jeder neuen Notlage des Volkes Eie Ge-
Dstelbien bezogen. Jetzt hat man die Quelle winne beraussclMdcn und den anderen die

ist ein Ehrentitel geworden. So wie die nie-
derländischen Geusen, wird es auch den deutschen
Marxisten ergehen. Wenn längst kein Mensch
mehr die Namen der „Vernichter" des Marxismus
kennt, Wird dieser sortleben, wird er seine h isto -
rische Mission erfüllen: ein Bringer und Ver-
künder des Menschenrechts, ein BekSmpfer der Aus-

Sewechselt, aber die Ware ist nicht besser geworden,
stus München stammt der neueste Kriegsruf, nach-
rem seine Vorgänger sich bereits abgenutzt haben.
Vor Jahr und Dag schimpfte man im national-
>ozw istischen Lager Wer die I ud e nr epu b l ik.
Dann kam der andere Schlager von den »N overu-
f'erv erb rech ern". Das zog jedoch nicht recht,
veil Zweifel entstanden, ob diejenigen, die uns
Mrch Kriegsverlängerung, durch Irreführung über
Ke tatsächliche Lage, den Zusammenbruch im No-
vember 1918 beschert zu Haben, gemeint waren,
»der diejenigen, die das traurige Erbe der da-von-
selausenen „Helden" übernehmen mutzten. Jetzt ist
»ei den Nationalisten das Schlagwort „Nieder mit
»em Marxismus" Trumpf.

Opfer für das Vaterland und das Steuerzahlen
überlassen?
Heute mögen noch so viele gedankenlos „Nie-
der mit dem Marxismus" schreien. Auch
die niederländischen Enterbten, die gegen Spaniens
Gewaltherrschaft kämpften, schielten Schimpfnamen,
sie wurden als Geusen, d. h. Lumpen, bezeichnet.
Heute ist jeder Holländer ans dieses Wort st o l z, es

beutung, ein Wegbereiter einer neuen, friedliebenden
Seit, deren Kampfruf nicht Krieg und Vernichtung
lautet, sondern:
Wir wollen für jeden sein heiliges Recht,
Für jeglichen Arbeit, die lohne.
UW Freude, wo brennend die Träne jetzt fällt.
Und Frieden der ganzen, der seufzenden Welt,
Und dem Volke der Zukunft Krone!

Die Krise im Reich.

Für alles Schlechte in Deutschland und aus der
kL-elt wird dar Marxismus verantwortlich gemacht.
Unreife Burschen Plärren die neueste Parole, und
Angebliche Politiker von Rang ergründen die Wahr-
heit des Satzes. Würde man eine Statistik auf-
stellen, wer von den Gegnern des Marxismus auch
Nur e i n e Schrift von Karl Marx gelesen hat, stünde
das Resultat in» umgekehrten Verhältnis zur Lun-
genlrast der Vernichter des Marxismus.
Für die hohe»» Fleischpr-eise wird der
Marxismus verantwortlich gemacht. Am Sinken
der Kaufkraft der Mark ist er schuldig. Den
Krieg hat er für Deutschland verloren, trotz-
dem Ludendorff seinen Angstruf um Waffen-
stillstand hinaus gehen lieb, während das Kabinett
Mar von Buden-Schoidemauu gegen Ludendorffs
Waffe ustillst and sbegehr enEi nspruch erhob. Aus den
Marxismus schimpfen heute am lautesten diejenigen,
die sich vor den Opfern, die zur Gesundung un-
serer Wirtschas' nötig sind, drucken. In Grund und
Boden vounrteilen den internationalen Charakter
»es Marxismus am lautesten, die Hinsehen, um mit
den Franzosen ihre Privalinleresson und Pro-
ste zu sichern.
Marxisten haben am Rhein und an der Ruhr
ihre Treue zum Vaterland bewiesen. Von
Haus und Hof wurden diese Marxisten gejagt, G-e-
werkschastssührev ins Gefängnis geworfen und
gegen die Sonderbündler bilden die Marxi-
sten im Rheinland und in der Pfalz einen geschlos-
senen Wall, um Deutschland vor der Zerreissung zu

retten. Aus den Bergschächten des Ruhrgebiets und
Westfalens, ans dem Fabriken in Nord und Süd,
Ost und West, Eon Marxisten nach Ober-
schlesien, um ihre Stimme gegen die ramblüster-
Nen Polen abzugebeu. Sie retteten damit einen
Teil deutschen Bodens.
Und wie steh« es bei den Gegnern des Marxis-

mus aus? Wie treten die für Deutschlands Er-
haltung und Gesundung ein? Genügt nicht der
iame Stinnes Mein schon, um die Heucheloi
jller Welt zu offenbaren? Mat» braucht nur an
sie Stützungsaktion für die Mark zu erinnern, die
ü diesen» Frühjahr unternommen wurde. War es
licht Stinnes, der durch feine Devisennraeilprilatio-

»cn der Mark damals den Dolchstoß versetzte?
8st es nicht heute wieder Stinnes, und sind es nicht
sie Schwerindustriellen, die mit dem „Erbfein d"
luter dem Rücken des Volkes verhandeln, damit
sie Arbeiter und Beamten, die Handwerker und der
hitHrlstamd die Reparationen bezahlen, nachdem
sieselbeu Schichten des Volkes durch den Mwrkstnrz
lud durch BörsonmanSver um ihren ehrlich euarbei-

eten Verdienst betrogen werde»». Sind nicht die
Kapitalisten, die ja die geistigen und finanziellen
Nährväter des Marxistenschlagwortes sind, gerade
diejenigen, die durch ihre Politik und durch ihr
^reiben eine uferlose Inflation Hervorrufen.

W cr hat ebn Interesse an der Spekulation? Sind
's die Arbeiter, die Marxisten?

Wer hat ein Interesse an den hohenFleisch -
wd sonstigen Lebensmittel p reis e n? Die
Arbeiter und Beamten? Der Mittelstand? Die
osntnev?
Wer hat ein Interesse aR Verfall der
lark? Die Handwerker und kleinen Geschäfts-
chte? Die Marxisten, die bei entwertetem Gelde
Hungsrriemen noch enger schnallen müssen?
Sind es nicht die Marxisten, die gegen die
» reis t'veib ersten ans dein Lebensmittel-
'Mrkt, gegen die Ueb »Weltmarktpreise aukämpsen
iid in den Parlamenten von den Deutschuationalen
' clffericl> und H ergi, von den Schwerindu-
klellen Stinnes und Klöckner, von den
^uischvölkischen Gräfe und Wulle niederge-
''nintt werden?

Sind es nicht die Marxisten, die gegen die Ge-
waltpolitik der französischen Chauvinisten ankämp-
w? Die thr ganzes Parieiiniteresse aufs Spiel
stzcn, um Poincares Pläne auf Zerreißung
'es deutschen Volke s zuschanden zu machen!
Wer vernichtet den Mittelstand, bewuchert
'e arbeitenden Schichten, bringt die Pensionisten
M Rentner aller Art um ihre Ersparnisse? Stnds
M diejenigen, die am Sturz der Mark ich« Ge-
f t machen, die ihre Profite ins Ausland ge-
haben, die, ohne einen Finger zu rühren, an
' eberei und Wucher Milliarden verdienen?
Kid es nicht die Schwerverdtenerkreise, die den

sozlöliiksiMalie M Me Kmiili»». - Die Mimmeii des Berdieideiis. -
AtigedMe MiNNim di ömhfeii. - Mem dleidl MsWdw.

Der Verlauf der Fraktionsfitzurrg.
Berlin, 31. Okt. Die S o zia ld e mo k ra-
l e n haben heule in einer Fraktionssttzung, die mehr
als sechs Stunden dauerte, die Bedingungen
ausgestellt, unter denen sie ihre Minister im Reichs-
kabinett belassen »vollen. An der Sitzung nahmen
die sozial-demokmlis-cheu Minister Schmidt,
Sollmann und Radbruch teil.
Nach einem Referat des Vorsitzenden, Abg.
Müller, über die allgemeine politische Lage sprach
der Innenminister Sollmann, der sich vor allem
gegen die Darstellung wandte, das; die sozial-
demokratischen Minister dem Ultimatum und der
Absetzung der sächsischen Regierung zugestimmt hät-
ten. Aus dem Schlußsatz des Briefes, den der
Reichskanzler an den sächsischen Minister-
präsidenten Dr. Zeigner gerichtet hat, ergebe sich,
daß sich dieses Vorgehen nicht auf ebnen Kabinetts-
beschluß gründete, sondern ein Ak 1 derSt e l l e n
war, denen durch den Ausnahmezustand di« vol l-
ziehende Gewalt übertragen war.
Bon mehreren Ministern wurde gegen ei»»
sofortiges Ausscheiden der sozialdemokratischen
Minister aus der Reichsrcgie-lung eingewendet, daß
die sächsische Landtagssraktion und einige Minister
aus dem Zeignerkabinett durch die Bildung der
neuen sozialistischen Landesregierung selbst den
Standpunkt aufgegrben haben, daß das Kabinett
Zcbgncr nach wie vor die verfassungsmäßige Regie-
rung sei. Die Beratungen schlossen mit der An-
nahine folgender Entschliettzung:
Die sozialdemokratische Fraktion kann in der
Koalition nur verbleiben, wenn folgende Voraus-
setzungen erfüllt werden:
1. Aufhebung des militärischen
A u s n a h m e z u st a n d e s.
2. Die Reichsiregierung behandelt das Verhal-
ten der bayerischen Machthaber offen als
V e r s a ss u n g sb ruch und unternimmt im
Einklang mit der Retchsverfassung soso«
die gebotener» Schritte gegen Bayern.
3. Au-frechterhaltmtg von Ruhe und Ordnung
in Sächselt ist Aufgabe der Schutzpolizei. Reichs-
wehrhilfe ist nur auf Anforderung des Inha-
bers der Zivilgewast heranzuziehen. Neuer-
dings in die Reichswehr eingestellte Anhän-
ger rechtsradikaler Bestrebungen sind zu
entlassen.
Dieser Beschluß Wurde mit über 1VÜ Stimmen
angenommen. Anwesend tvaren etwa 130 Abgeord-
nete, von denen sich die Ntchtzustimmenden der
Stimmabgabe enthielten. Dieser Beschluß
der Fraktion wird dem Reichskanzler noch
heute vorgelegt werden.
Dabei sollen »roch die beiden folgenden Fragen
zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht wer-
den:
1. Die Gewährung wertbeständiger Löhne ist
schnellstens zu regeln und 2. die Landwirte sind
zur Lieferung von Nahrungsmitteln zu zwingen.
Die offen zutage tretende Sabotage des Land-
Hundes und der Landwirte ist zubekämpfe n.
Den Bericht des Vorstandes über Nie Ver-
handlungen mit dem Reichskanzler wird der
Fraktion morgen mittag um 1 Uhr entgegenneh-
men.
Die Wahl der sächsischen Regierung.
Dresden, 31. Ott. Ueber die Wahl der sächsi-
schen Regierung wird uns noch Wetter mitgetettt:
In der heutigen Nachtsitzung des Landtags würde
der Abgeordnete Fellisch (Soz.) mit 46 Stimmen
zum Ministeirpräsidenten gewählt. 18 Stimmen ent-
fielen auf den Abg. Kayser (Deutsche Volkspartci),
71 Abgeordnete waren anwesend. Die Deutsch-
nationalen hatten vor Beginn der Sitzung den Saal
verlassen, während sich die Kommunisten der Stin»-
me enthielten.
Der Generalstreik in Sachsen.
Chemnitz, 30. Ott. )Priv.-Tel.) Der Beschluß
der freien Gewerkschaften, wonach über Sachsen ein
dreitägiger Generalstrei k verhängt ist, wurde
an» Dienstag früh durch Flugblätter bekannt. So-

weit sich bisher übersehen läßt, sind alle Betriebe
der Generalstreikparole nachgekommen. Die lebens-
wichtigen Betriebe werden entsprechend der Streik-
parole irr» vorgesehenen Umfange wettergesührt. Das
Stadtbild ist äußerst belebt, doch ist bis in die ersten
Nachmittagsstundcn hinein alles vollständig ruhig
geblieben. Die Polizei tritt nicht weiter in Erschei-
nung.
Dresden, 31. Ott. In Dresden und Leipzig
wurde die Gonera-lstroikparole nicht vollständig be-
folgt. Es blieb bei Teilstreiken.
Eine Erklärung der sächsischen^
Demokraten.
Dresden, 31. Ott. Die sächsische demokrati-
sche Land tags frakliou hat gestern abend folgende
Verlautbarung beschlossen:
Die sächsischen Demokraten bedauern auf das
lebhafteste, daß die Maßnahme der Reichsregierung
ohne jede Fühlungnahme mit ihnen erfolgt ist, um-
somehr, weil die Ernennung des Reichsko-lumissars
und die Beseitigung des Kabinetts Zetgner in
einem Augenblick erfolgte, da die Unmöglichkeit der
Zusammenarbeit mit den Kommunisten klar zutage
trat und der Rücktritt des Kabinetts Aeigner Vinnen
kurzem erfolgen mutzte. Dte von den» Reichskonrmis-
tar angeordneten Maßnahmen, insonderheit das
Verbot der Landtagssitznng und die Schließung des
Landtags-gebä-udes, weiter die Ernennung von aus-
schließlich den Rechtsparteien angehöre-ndon Beamten
werden von den sächsischen Denrokraten durchaus
mißbilligt. Die demokratische Landtagsfraktion hat
im Einvernehmen und mit Boiihtilfe der Fraktion
des Landtags ihr« Aufgabe darin gesehen, die Be-
schränkung des Landtags sofort zur Aufhebung zu
bringen und alles daran zu setzen» um eine den
Vorschriften der Landesverfassung entsprechende
Neubildung der Regierung herbeizuführeu. Di«
demokratische Partei hofft, daß ihre dahingehenden
Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden.
Angebliche Entspannung der Lage.
Dresden, 31. Okt. Der Berichterstatter der
„Frkf. Ztg." meldet seinem Blatte: Zu der Beruhi-
gung in den Massen, soweit sie nicht zum Kommu-
nismus gehören, hat die Beilegung der allsten Poli-
tischen Krisis stark beigetragen. Die Ueberlettung
des mit der Bestellung des Reichskommissars ge-
schaffenen politischen Ausnahmezustandes in eine
verfassungsmäßig parlamentarische Regierungsbil-
dung ist auf den» Wege. Damit ist der Entrüstung
der unmittelbare Ansatz genommen. Es bedurfte
der großen Anstrengungen von Wels und Ditt -
manu, die aus Berlin herübergekommen waren,
um dte sächsischen Sozialdemokraten zu eitler Politik
des Etnlenkens zu bewegen. Verletzt hatte hier
nicht -nur der Eingriff der Reichsregierung an sich,
sondern vor allem die stramme Art der Durchfüh-
rung. Es steht außerdem außer Zweifel, daß das
Ministerium! Zeigner von selbst dazu gekommen
wäre, die Kommunisten aus der Regierung auszu-
schiffen. Auch in den demokratischen Kreisel» wurde
die äußerste Schärfe des Vorgehens schwer empfun-
den. Aber -der gesunde Wille, zu einer Lösung zu
kommen, war stark genug, alle Bedenken zu über-
winden.
-Zur Herstellung der großen Koalition in Sachsen
haben sich die sächsischen Sozialdemokraten allerdings
nicht bewegen lassen. Die Ministerliste selbst, die
sie ausgestellt hatte, findet freilich in den bürgerlichen
Parteien nicht vollen Anklang.
Die Demokraten unterstützen das Kabinett
Folltsch mit ihren acht Stimmen. Die Sozialisten
zählen 40 Stimmen. Die parlamentarische Grund-
lage umfaßt also genau die Hälfte der 96 Sitze.
Wenn die Deutsche Volks Partei, die über 19 Stim-
men verfügt, also nicht zum mindesten ihre wohl-
wollende Neutralität in Aussicht stellt, dann ist die
Basis des Kabinetts Fellisch unsicher, dem» die 19
Deutschnationalen und die 10 Kommunisten sind
unerbittliche Gegner der neuen Regierung.
Die Entscheidung liegt Vollkommen bei der
Deutschen Volkspartci, die sich der Schwere
ihrer Verantwortung bewußt zu sein scheint. Ge-

wisse Kreise in der Partei machen allerdings starke
Einwendungen gegen einzelne Minister, so gegen
die links gerichteten Minister Liebmann und
Graupe.
Wer trägt die Schuld?
Berlin, 31. Ott. (Priv.-Tel.) Um die Frage
zu klären, wer die Verantwortung für die schroffe
Art des Vorgehens gegen die sächsische Regierung
trägt, veröffentlicht der „Vorwärts" den Schluß-
absatz des Schreibens, das Reichskanzler Dr.
Stresemanu am 27. Oktober an den damaligen
Ministerpräsidenten Dr. Zeigner gerichtet hat.
Dieser Absatz lautet:
„Ich ersuche Sie, mir über den Rücktritt der
Regierung innerhalb düs morgigen Tages, den 28.
Oktober Nachricht zu geben... Im Falle einer Neu-
bildung der Negierung auf anderer Grundlage
ohne Mitwirkung kommunistischer Mitglieder nicht
sofort herbeigeführt und dadurch die Ruhe, Sicher-
heit und Ordnung des Landes weiter -gefährdet
werden sollte, wird der Inhaber der vollziehenden
Gewalt einen R eichskommtssar bestellen,
der die Verwaltung des Landes bis zur Wieder-
herstellung verfassungsmäßiger Zustände in die
Hand nimmt."
Damit ist erwiesen, daß die sozialistischen Kabi-
mttsmitglieder glatt übergangen worden sind.
Die Untersuchung in Freiberg.
Das Reichswehrmimisterium und das Reichs-
miubstMuM des Innern werden je einen Vertreter
nach Freiberg (Sachsen) entsenden. Ihre Aufgabe
ist, dort eine unparteiische Untersuchung der blutigen
Vorfälle vorzunehmen.
Die Haltung der thüringischen
Sozialdemokraten.
Weimar, 31. Okt. Auf einer Bezirkskauseren»
der BSP. Thüringen in Weimar wurde nach mehr-
stündigen Beratungen eine Entschließung angenom-
men, die n. a. besagt:
„Dte Konferenz steht auf den» Standpunkt, daß
dte sazialdemo-kratisch-ko>nmunistische Regierung in»
Lande Thüringen erhalten- bleiben müsse. Von den
thüringischen Koinm-unisten wird erwartet, daß sie
alles unterlassen, »bas der Reaktion einen Vorwand
zur Reichsexekution liefern könnte. Ueber alle Mas-
senaktionen müssen vorher zentrale Verständigungen
erzielt werden. Teikaktionen führen erfahrungsge-
mäß zu Niederlagen und müssen infolgedessen un-
terbleiben. Der Generalstreik als letzte und ent-
scheidende Waffe im Abw-ehrkarnpf gegen Reak-
ttonspläne kann nur zum Siege führ eil, wenn er
von alle»» Organisationen und Schichten des Prole-
tariats getragen wird. Die Politik der Regierung
Stresemanin hat besonders währen- der letzten Zeit
eine,» Kurs genommen, der deutlich erkennen läßt,
daß alle Rechte sowie alle politische»» und gewerk-
schaftlichen Positionen der Arbeiterklasse gefährdet,
und daß durch diese Politik das Proletariat aller
Kampfkraft beraubt wird. Die Konferenz verurteilt
die Haltung des Parteivorstandes zum Belage-
rungszustand und zur sächsischen Frage. Die große
Koalition hat sich bereits mehr denn je als eine
für das Proletariat unerträgliches Experiment er-
wiesen. Der Austritt aus der Regierung Strese-
mann ist deshalb für die Partei und für dte Arbei-
terklasse eine absolute Notwendigkeit. Dte Partei-
organe werden ersucht, in diesem Sinne intensivste
Tätigkeit zu entfalten."
Dr. Heinze beim Reichskanzler.
Berlin, 31. Okt. Mehrere Blätter melden aus-
Dvesden, daß der Reichskommtssar Dr. Hettrtze nach
Berlin gereist sei, um mit den» Reichskanzler wegen
dec formalen Lösung der sächsischen Krise zü be-
raten.

Bayern verharrt weiter in
Opposition.
München, 31. Okt. (Amtlich.) Der bayrisch»
Ministerrat bat sich gestern mit der von der Reichs-
regierung an die bayrische Regierung gerich-etrn
Frage beschäftigt, ob sie bereit sei, in kürzester Zett
die verfassungsmäßige Besehlsgewalt im bayrischen
Teile der Reichswehr wiederherzustellen. Die bayr.
Regierung hat am 22. Oktober den bayrischen Tett
der Reichswehr zur Aufrechterhaltung der öfsenk.
lichen Ruhe und Ordnung in Bayern zur Wahrung
der bayrischen Belange bis zur Wiederherstellung
des Einvernehmens zwischen Bayern und dem
Reich als Treuhänderin des deutschen Volkes m
Pflicht genommen. Diese Maßnahme ist aufgrund
des Artikels 48 der Reichsversassung erfolgt. Der
dadurch geschaffene Rechtszustand ist daher verfas-
sungsmäßig. Die Veranlassung bildete der neucr-
ttche Eingriff irr die staatliche Polizeihobet» Bay-
erns. Er Hal die grundsätzliche Frage des Verhält-
ntsses zwischen den» Reich und den Eiu---'staatcn
aufgerollt. In erster Linie mutz diese Frage im
Interesse des Reiches und der Länder einer endgül-
tigen Lösung zugeführt werden, um Sicherheit da-
für zu schaffen, daß Konflikte tür die Zukunt un-
möglich werden, wie sie bisher Jahr für Jahr das
politische Loben des Reiches und der Länder er-
schultert haben. Einigkeit bestand auch darüber,
daß eine Veränderung im Oberbefehl d:s bayrischen
Tolles der Reichswehr untragbar wäre. Die Fas-
 
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