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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 251 - Nr. 260 (29. Oktober - 8. November)
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WM MiÄ AWA Drurk u. Verlag drr tlntcrbadisqeN
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5. Jahrgang

Heidelberg, Montag, den 5. November 1923

Nr. 257

Zum Zerfall des
Koalitionskabinetts.
In bekannter Art sucht die bür-
gerliche Presie der Sozial-
demokratie die Schuld am Zerfall des
Koalitionölaüinetts auszubürden, wäh-
rend in Wirklichkeit die Sozialdemo-
kratie nur deshalb aus dem Kabinett
Stresemann anstrat, weil die Politik
der Reichslegierung in letzter Zett
einen Kurs annahm, 'den kein Repu-
blikaner und kein Vertreter wahrer
Volksintercssen mehr ertragen konnte.
Dies geht am Besten aus folgendem
Artikel unseres Berliner O-Mitarbei-
ters hervor:
Berlin, den 4. Nov.
Das Kabinett Stresemann hat gewiß mit unge-
heuren Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Aber
baß es ihnen so rasch erlegen ist, daran trägt der
Mangel an Klarheit und Festigkeit seiner Führung
doch den größten Teil der Schuld. Won Anfang an
war im Kabinett eine reaktionäre Strömung, die
vor allem durch die Minister Brauns, Gctzler und
Luther verkörpert war. Diese Minister, übernom-
men aus dem unseligen Ministerium Cuno, zeigten
immer wieder die Neigung, sowohl in den außen-
äls in den innenpolitischen Fragen die Cuno-Politik
fortzusctzen. So halten sie wesentlich dazu beige-
tragen, schon die erste Krise des Kabinetts herbeizu-
führen. Stresemann aber blieb unbelehrt, rind so
verstärkten sich ilNmer mehr die i.Eiktionärcm Ein-
flüsse dieser Minister. Unsere Genossen im Kabinett
sanden täglich zunehmende Widerstände, und immer
deutlicher wurde, daß die Entscheidung herannahte.
Denn für die Sozialdemokratie hat die Beteiligung
an einer Regierung nur dann und nur so lange
Sinn, als sie imstande ist, für die Arbeiterschaft
Nützliches durchzusctzen und Schädliches zu verhin-
dern. Sie muß es ablehnen, die Gefangene einer
Regierung zu sein, die glaubt, ans. die Forderungen
der Arb-:iterschast nicht die gebührende Rücksicht neh-
men zu brauchen und vermeint, die sozialistischen
Minister nur als Bürgen für das Wohlverhalten der
Arbeiterklasse mißbraucken zu können.

lick) entsprechend vorgegangen, daß Sachsen von der
militärischen Besetzung befreit und die Reichswehr
von dm Zeitfreiwilligen und den anderen eingestell-
ten Reaktionären gesäubert Wird.
Die Regierung hat in ihrer bürgerlichen Mehr-
heit die Erfüllung dieser Forderungen, abgelehnt
Die sozialdemokratische Fraktion bat darauf die Zu-
rückziehung ihrer Minister aus der Regierung be-
schlossen. Das «Verhalten der Fraktion war durch
die Ereignisse vorgezeichnet.
Die 'Entscheidung der Fraktion erfolgte im vollen
Bewußtsein der Verantwortung. Sie kennt nur zu
girt die großen Gefahren der gegenwärtigen Lage.
Die schwere wirtschaftliche Krise hat die Massen mit
bitterer Verzweiflung erfüllt, aber die Machtmittel
und die Widerstandskraft des Proletariats ge-
schwächt. Bayern starrt von Waffen, und die baye-
rische «Reaktion findet in vielen Teilen des Reiches
Unterstützung. Sie hat unfreiwillige, aber nicht
minder geführt. Helfershelfer in den Kommunisten,
die — unbelehrbar — Verwirrung in die Reihen der
Arbeiterschaft tragen, itt einer Zeit, die kühle Beson-
nenheit erfordert.
Deshalb ist der Ausgang dieser Krise nicht abzu-
sehen. Herr Stresemann mag vielleicht den Versuch
macken, ohne Sozialdemokraten weiter zu regieren.
Aber er wird kaum eine Parlamentariche Mehrheit
für einen solchen Versuch finden. Und eine Rechts-
regierung? Sicher wäre erwünscht, daß die Deutsch-
nationalen, die Deutschland in das Verderben hin-
eingeführt haben und sich jetzt dem deutschen Volke
als Retterin anpreisen, endlich gezwungen würden,
die Verantwortung zu übernehmen und zu zeigen,
was sie können und nicht können. Wir zweifeln
nicht daran, daß sie großes Unheil stiften, daß sie na-
mentlich «der Arbeiterschaft schwere Opfer aufzu-
zwingen versuchen werden. In der inneren Politik
brauchten wir eine Rechtsregierung nicht zu fürchten.
Der Dollar bliebe in Opposition und die Wirtschaft
könnte mit Gewalt doch nur noch mehr in Unord-
nung gebracht werden. Aber außenpolitisch würde
das Unheil kaum wieder gut zu machen sein, alle
Aussichten aus eine Regelung würden zerstört, die
Reichseinheil den stärksten silefahreu ausgesetzt wer-
ben. Um eine derartige Entwicklung abzuwenden
— und nur deshalb hat die Sozialdemokratie bisher
das große Opfer, Mitträgerin der Verantwortung zu

Die Reichsregiernng hat gegenüber dem unzwei-
felhaften VersassnngKvrUch, den die bayerische Re-
gierung begangen hat, keine klare Politik getrie-
ben. SckHvachen Ansätzen folgte der Rückzug. Die tö-
nenden Versprechungen, die Reichsautorität zu wah-
ren«, ließen das Zurückweichen nur uni so kläglicher

sein, gebracht. Die Gegner haben es anders gewollt,
sie haben die Verwirrung gestiftet, an ihnen ist es
jetzt, die Lösung zu versuchen.
Wie im'.usr es kommen mag, für die Arbeiterschaft
ziehen schwere Gefahre« herauf. Da gilt es zur Ab-
wehr zu rüsten. Mr die künftigen Kämpfe brauchen

erscheinen. Der militärische Belagerungszustand, der
den bayerischen AusUahtnezustaud beseitigen sollte,
erwies sich in der Hand des Herrn Gehler als
stumpfe Waffe gegen Bayern. Zur scharfen Waffe
wurde er erst im Konflikt mit Sachsen und gegen die
sozialdemokratische Presse. Es braucht heute kein
Wort der Verurteilung «über diese «Politik gesagt zu
werden. Gerade der Ausgang der sächsischen Regie-
rungskrise beweist die Unüberlegtheit und den
Leichtsinn eines Vorgehens, das viel weniger aus
politischen Erwägungen «als «aus überspannten -mili-
taristischen Prestigegründen zu erklären ist.

wir vor allem die Geschlossenheit und Schlagkraft
oer Partei. Jetzt ist nicht Zeit sür Meinungsdiffe-
renzen über das Vergangene, jetzt brauchen wir die
freudige u. hingebungsvolle Mitarbeit aller Genos-
sen au der Stärkung der Organisation, au der Ver-
breitung unserer Presse. Nur wenn das der Fall ist,
Wird die Sozialdemokratie den Selbstmord der Re-
gierung Stresemann überstehen.
*
Zur Situation.
Berlin, 4. Nov. Herrn Stresemann ist

Die verhängnisvolle Krise, die unser Mich zum
Schaden des Volkes wieder durchlebt, ist zurückzu-
führen auf die wMi'simttge Politik, die einzelne
bürgerliche Micksministcr in den letzten Wochen
durchzusetzen versuchten. Man kann «heute gestehen,
daß es sich für die Sozialdemokratie bet der folgen-
schweren Entscheidung, die sie -am Freitag gefällt hat,
'sicht nur um inmerpolitische Sicherungen für die
Einstige Mitarbeit im Kabinett Stresemann handelte,
sondern um Klarheit über die Politik überhaupt.
Gerade in den letzten Tagen hat sich gezeigt, wie
selbst von Reichs-Ministern mit der deutschen Reichs-
ttuhett urid mit dem gesamten Volke gespielt wird,
bild heute dürfen wir Mitteilen, daß es in der Re-
gierung des Herrn Stresemann, deren Auftrag ist,
das «Reich zu retten, selbst Minister gibt, die ihr
Hauptziel nicht mehr in «der Wahrung der Reichs-
^nheit sehen, sondern bestrebt sind, zum Schaden des
Zolles den vollendeten Bruch mit Frankreich zu voll-
ziehen. Es handelt sich «um Minister, die kein Herz
Rehr haben für unsere bedrängten Rheinländer, die
Unsere Bevölkerung an Rhein und Rühr bewußt oder
'"Gewußt kn die Hände der Franzosen spielen woll-
en und für die der Trouschwur unserer Volksgenos-
sen in den besetzten Gebieten nicht mehr war «als ein
Netzen Papier. Hochverrat am eigenen Volke zu be-
gehen, mußte die Soziäldomb-kratie ablehnen und
Rs ist am Freitag geschehen in einer Sitzung 'der
Reichstagssrattion, nachdem die Reichsresierung es
""gelehnt hat, Klarheit über die Innen- und Außen-
politik de« Zukunft zu schaffen.

Für die Sozialdemokratie konnte es in dieser Si-
. wtlon nur eine Politik geben. Das Kabinett mußte
or dsi Frage gestellt werden, ob es in Zukunft der
^.oli'Edemokratie die nötigen Garantien geben wolle
b. I. Sozialdemokratie kämpft heute vor allem für die
"Haltung der Rekchseinheit und für den Schutz der
rpublik. Damit ist aber unvereinbar das Vorgehen
Sachsen und die Schwäche gegen Bayern, damit
unvereinbar, daß durch den militärischen Aus-
-instand die Zivilgewalt zur Seite gedrückt und
D-ss Ettk in die Hände der Generäle geletzt ist.
«muß die Sozialdemokratie fordern, daß der
utknsche Ausnahmezustand, wie es schon die Mi-
wbe identen der Länder wollten, sofort aufgc-
hj-.,, ' der Verfassungsbruch der bayerischen Re-
sina festgestellt und gegen diese Regierung ond-

es noch nicht gelungen, sein Kabinett zu ergänzen.
Vorerst wurstelt er fort und beschränkt sich darauf,
Sachsen weiter schikanieren zu lassen und die bayri-
sche «Reaktion unbekümmert nm 'die Folgen gewäh-
ren zu lasse».
Wohin Deutschland damit kommt, ersehen Wir
ans der Rede Potncarös, der bereits anfängt, Kon-
sequenzen aus der divergierenden Haltung der
deutschen Länder zu ziehen. Immer mehr zeigt
sich, daß «die „nationalen Kreise" die Toteilgräber
des Reich:« sind
Berlin, 4. Nov. Der „Vorwärts" schreibt:
Eine Erweiterung des Kabinetts nach rechts ist
ausgeschlossen. jVon den freigeworden«» Mini-
sterien wird nur das Innenministerium wieder be-
setzt und zwar durch einen Nicktparlamentarter.
Der Reichstag soll zunächst «nicht zusammentreten.
Die Neuregelung der Arbeitszeit glaubt die Regie-
rung — sie wird sich Wohl irren — auch ohne die
Verabschiedung eines besonderen Arbeitszeitgesetzes
vornehmen zu können. Mit Bayern will man sich
verständigen. Gegen «die illegalen bayerischen Ver-
bände sind Maßregeln getroffen, sodaß kein über-
raschender «Schlag zu befürchten ist. An ein Auf-
geben der großen Koalition in Preußen ist nicht zu
denken. Die Gerüchte über eine eventuelle Reichs-
tagsanslösimg werden als unzutreffend «bezeichnet.
Ern Aufruf der Sozialdemokratie.
Berlin, 5. Nov. Der Sozialstem. Par-
tei vor stand veröffentlicht einen Aufruf —
wir bringen ihn morgen im Wortlaut —, worin er
zum Austritt der Sozialdemokratie aus der Regie
rung Stellung nimmt. Der Hauptgrund des Aus-
tritts liegt darin, daß die bürgerlichen Mitglieder
der Reichsregierung es avlehnten, gegen die bayri-
schen Reichsverderber energisch aufzutreten und den
militärischen Ausnahmezustand zu beseitige«. DU
Sozialdem. Partei verteidigt die Demokratie uni
die Republik gegen jegliche Diktatur, lehnt aber eib
Bündnis mit den Kommunisten ab, die nur auf
di« Zertrümmerung der gewerkschaftlichen und poli-

tischen Arbeiterbewegung ausgehen. Wenn es den
Rechtsradikalen gelänge, die Herrschaft im Reich
an sich zu reiße«, so würde diese Herrlichkeit nur
von kurzer Dauer fein, aber unsagbares Elend u.
den Zerfall des Reiches bringen. Nur die Einheit
und Geschlossenheit der Sozialdemokratie ist eine
Garantie sür die Erhaltung der deutschen Re-
publik.
Die Pläne der Schwerindustrie.
Berlin, 4. Nov. Die volksparteiliche „Zeit"
teilt mit, daß die Großindustrie an der Vorberei-
tung einer Diktatur arbeitet, die von vier Beauf-
tragten der Großindustrie getragen und von jeder
paralmentarifchen «Verantwortlichkeit losgelöst wer-
den soll.
Pressestimmen zur Lage.
Berlin, 3. November.
Der „Vorwärts" äußert sich Wer die Entwick-
lung nach dem Austritt der Sozialdemokratie aus
der Regierung:
Innerhalb des Reiches ist mit einem starken An-
wachsen der Reaktion zu rechnen. Indem Herr
Stresemann die „Marxisten" gehen ließ, hat er den
Weg der Kapitulation vor Bayern beschritten, aus
dem es kein Halten mehr gibt. Es wird ihm schwer-
lich gelinge.», jenen rechtsradikal. Elementen Halt zu
gebieten, die in ihm trotz alledem den neue» „Erfül-
lungskanzler", den „Zweitest Walter Rathenau",
sehen und die ihm nicht mehr trauen werden, seit-
dem er sich in ihren Augen durch ein Bündnis mit
den Sozialdemokraten „befleckt" hat. Die nächsten
Ereignisse müssen zeigen, ob jene Elemente sich bei
einem Teilerfolg beruhigen, oder ob sie nicht vielmehr
die Position der deutschen Reichsregierung jetzt erst
recht als sturmreif betrachten« werden.
Wie bei dieser Belastung der äußeren und inneren
Lage eine Währung- und Wirtschaftspolitik getrie-
ben werden könnte, die uns auch nur einigermaßen
aus dem Elend heraushtlst, ist nicht abzusehen. Die
besitzenden Kreise, die, solange Sozialdemokraten in
der Regierung waren, immer doch das Damokles-
schwert über ihren Häupter«» fühlten, atmen erleich-
tert auf. Eine Regierung, die nicht stark genug ist
die Besitzenden zu großen und ernstlichen Leistungen
zu zwinge», bleibt gegenüber der Wirtsckmstskrise
ohnmächtig.
Befindet sie sich aber auch in einer geradezu be-
mitleidenswerten Lage, so verdient sie doch kein
Mitleid, weil sie dieses Schicksal über sich selbst
herausbeschworen hat. Zu bemitleide.» sind nur Lie
armen, verelendeten Volksmasfen, die den Schaden
dieser beispiellos verworrene» Zustände zu tragen
haben.
Die „Voss. Ztg." schreibt: Ls geht für die Geg-
ner des neuen Reiches ums Ganze. Der Mar-
xismus ist ihnen ebenso Vorwand wie «das Reich.
In Wirklichkeit soll gar nichts Wetter geschehen als
die «alte Ttsckordmmg des Kaiserreiches wieder her-
zustellen. Adel und alte Bureaukratie ivollen wie-
der unter fick) sein und da stören der sozialdemokra-
tische Reichspräsident und sozialdemokratische Mi-
nister u. genau so stört Dr. Stresemann. Der Kamps
richtet sich nicht bloß gegen den marxistischen Ar-
beiter, sondern gegen die Arbeiterschaft im allge-
meinen.

Internationale Lage.
Ein Rückzieher Amerikas.
«Parts, 3. Nov. Dem „Te-mps" zufolgs scheint
es sich zu bestätigen, daß Amerika «die Ernen-
nung eines Vertreters für den Sachverstäudigeu-
ausschutz ablchnt, weil die Aufgabe des Ausschusses
der Forderung Poincares entsprechend auf die
Prüfung der« gegenwärtigen Leistungsfähigkeit
Deutschlands beschränkt wird.
Parts, 4. Nov. Der amerikanische Botschaf-
ter in Paris, Herrick, sprach heute bei der Ein-
weihung eines Kriegerdenkmals in Navarin. Er
sagte u. a.: Im Fahre 1947 seien «die Ver-
einigten Staaten gezwungen worden, in den Krieg
einzugreifen durch das, was sie sür ihre Interessen
hielten, und dieser Glaube habe sich «auf die mora-
lische Entrüstung gestützt. 1923 appellierten diesel-
ben Kräfte an Amerika, daß es bei «einer Wieder-
herstellung des Gleichgewichtes in der
Welt helfe. Lasse sich dieses Werk ohne die Ver-
einigten Staaten durchführen?
Verschlechterung der Situation.
London, 4. November. Es verlautet, daß die
englische Regierung die Hoffnung sür ein ZustanSe-
kommen einer Konferenz noch nicht aufgegeben hat,
aber die Verschlechterung der Situation ist unver-
kennbar
Ein Interview Stresemanns.
Berlin, 3. Nov. In einem Interview mit
dem Berlier Vertreter der „Times" erklärte Strese-
rmnn:
Die Behauptung des französischen Ministerprä-
sidenten^ daß Frankreich keine territorialen Vorteile
in Europa-aus dem Kriege gezogen Hai, ist nicht rich-
tig. Durch die Wiedereingliederung Elsaß-Lothrin-
gens mit seinem ungeheuren Reichtum an Erzen
und Katt und feiner hochentwickelte!» Eisen» und

Stahlindustrie sowie seiner Textilindustrie hat sich
die wirtschaftliche Kraft Frankreichs außerordentlich
gestärkt. Allein die Möglichkeit der Eisen- und
Stahlerzeugung in Frankreich ist gegenüber 1914 auf
das Doppelte gestiegen. Auch sonst Hai Frankreich —
ich brauche nur an OSerschlesien und das Saarge-
viet zu erinnern — seine wirtschaftliche Machtstellung
ausgedehnt. Deutschland lutt nichts unversucht ge-
lassen, Nm der Kapitalflucht ins Ausland zu steuern.
Regelt man die R e parat io n sbed i n g«u n gen so, daß
Deutschland sie ertragen kann, dann werden auch die
Erschütterungen verschwinden, durch die jetzt die Exi-
stenz Deutschlands bedroht ist.
Poineare und die deutsche
Reichseinheit.
Paris, 4. Nov. In seiner heutigen Sams-
tagsrede erklärte Poincare im Prinzip dem
Plan des Sachv«erständ'igen^Mu«sschuffes zuzUstim-
men. Im übrigen werde Frankreich darüber wa-
chen, neue Kämpfe für immer unmöglich zu machen.
Frankreich habe niemals versprochen, die
deutsche Verfassung oder auch nur die
Reichseinheit gegen die Deutschen selbst in
Schutz zu nehmen. Die Initiative der deut-
schen Länder überheb a die Alliierten der Ver-
pflichtung, untereinander die Bestimmungen «des
Frtedensdertrages innezuhalten.
Stinnes schwenkt zu den Franzosen
Berlin- 4. Nov. Die „Deutsche Allg. Ztg."
des Herrn Stinnes, die sich immer so hypernattona!
gerierte, tritt in ihrem heutgen Letartikel sür di«
Gründung einer selbständigen rheinischen Repuvli,
ein.

Die Lage im Reich.
Das Problem der Festwährung.
Berlin, S. Nov. Das Reichskabinett beschloß
in seiner heutige» Sitzung, die Papiermark
in eine feste Relation zu einem wertbe-
ständigen Zahlungsmittel zu bringen, gegen
das sie zu einem bestimmte« Termin eingelöft wird.
Gedacht »vi«d dabei an die Goldanleiye. Ueber di«
Höl)e der Relation und die Einzelheiten steht et«
Beschluß unmittelbar bevor.
Berlin, 2. Nov. Der R e ichsve rkeh rS-
minister erklärte, daß noch für den Rest des
Jahres ein Goldhaushaltplan aufgestellt
werden soll.
Ein Verhindertes Verbot des
„Vorwärts".
Berlin, 2. Nov- Die scharfe Kritik, die dkk
„Vorwärts" an dem Vorgehen der «militärischen
Stellen gegenüber Sachsen geübt hat, hat ihm, wie
man vor einigen Tagen erfuhr, «dis U n g nade der
hiesigen leitenden Militärische!» Stellen z»gezogen,
so «daß ein Verbot des sozialdemokratischen Zan-
trakorgans ins Ange gefaßt war.
Der „Vorwärts" schreibt darüber:
„Tatsächlich trug sich das ReichswöhvMniste-
riulm! mit dem Gedanken, den „Vorwärts zu ver-
bieten, nicht aber wegen des in einer Meldung an-
geführten Satzes, sondern ivegen des Artikels, in
dem die militärischen Exzesse von Dresden mit
denen von Zabrrn verglichen wurden. Daß «die
-Vorwärisredaktton sich zur Sibgabe «einer Erklä-
rung „nicht entschließen" konnte, trisst insofern ZH
als dieses Ansinnen von ihr selbstverständlich so-
fort und eindeutig abgelehnt wurde. Das ver-
mittelnde Ciugrcifen des Reichskanzlers erfolgte
aus freien Stücken ohne jedes Zutun der „Vor-
wärts"-Redaktion, nachdem die verlangte Erklä-
rung abgelchnt worden war.
Man scheint sonach in den Drohungen mit Presse-
verboten immer Wetter gehen zu wollen, nachdem
man düm Volk ohnehin bereits einen Maulkorb um-
geh üngt hat.
Sachsen wird weiter provoziert.
Dresden, 4. Nov. Das Wehrkreiskommando
4 teilt mit: Der Befehlshaber im Wehrkreiskom-
mando 4 enthob den Polizeiobersten Dr.
Schützing er bis auf Weiteres vom Dienst.
Maßgebend hierfür war, daß verschiedene Anlässe
in der letzten Zett gezeigt haben, datz cs Schützinger
seiner ganzen Einstellung nach schwer fällt, sich in
die Unterstellung der Polizei unter das Wehrkreis-
kommando zu finden.
Dresden, 3. Nov. Nach einer amtlichen Mel-
dung kam es gestern abend in Chemnitz, wo be-
kanntlich ebenso wie in Zwickau gestern die Reichs-
wehr eingerückt ist, zu einem blutigen Zusammen-
stoß zwischen der Truppe und der Bevölkerung. Die
Truppe gebrauchte die Schußwaffe; ein Toter und
ein Schwerverletzter blieben auf dckm Platze. IN
Zwickau wurde sofort das Gebäude des sozial-
demokratischen „Volksblattes" besetzt und durch-
sucht. Geschäftsführer Jrmscher, Redaktmer Krasser
und der sozialdelnokratische Parteiekretär Koch wur-
den verhaftet, aber gegen Abend wieder freigelassen-
Die Stadt zeigt in jeder Hinsicht das Bild eines mi-
litärisch besetzten Ortes. Der Hauptmarkt st ring«
von Stachel-draht umzäumt und Patrouillen durch-
ziehen die Straßen.
 
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