5. Jahrgang
Heidelberg, Samstag, den 27. Oktober 1923
Nr. 250
E»!
^rugrpreir cinIchl.Trügcrlohnsar
«ochcv.SS.Okt. b.8.Nov.8Milliard.
«lazrigentarif: Die einsp. Petitzeile
a der. Raum (8Kmm br.) Mk. kV.—,
i Auswärtige Ml. 8V —, Rekleme-
Euzctgen l7j mm breit) Mk. WS —.
»ruubpreis mal der Schlüsselzahl d.
* »-8 , S 8«. lSVVvooo M. Bei Wie-
^r^olungen Nachlaß nach Tarif.
Wr MUW «8» WU MW W>U PostscheSkoutoK-rl-rub«Stt.w->77.
M» MM WN WW WWfM WA^ VW WS WW W» MV WA MH Lcl-Adr.:Bolr»»kttungH»i^»er».
WA AM WA ^ÄU D^s AKM MW WM jWM Druck u. Verlag der llnterbadif.ne»
E«» WW«M Verlagsanftalt <L.m.b.H., Heidel»
W '«MM MWWM berg. GclchäftsftellerechrSdcrstr.M.
U Kn «8^ TeI.:Erpeditt°n«73u.Rcdak.z67».
!«ie§-zelim, U «e »nMimtUWIkim, I« «Erltte SMklbni. MulM, Sinde«. UM«, «MO, M,U-,,i»m, Ne,,dem. UM,. !MkMW,»el» i. «Mei»
MkkgW Ml AOM
8». Heidelberg, 27. Oktober.
Verzweifelnden Blickes mutz der Anhänger der
Völkerverständigung und Vertreter der Völkerver-
brüderung init ansehen, wie sich die Hag erfüllte Ge-
genwart immer mehr von jenen großen Menschheils-
idealen entseiM, die in Deutschland Schiller und
Goethe, in Frankreich vor allem Rousseau, sowie
zahlrsiche anderen Heroen des Geistes in aller Welt
vorschwebten. Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts
aus dem Gedanken der Volkssouveränität heraus-
flackernde Nation« lgefühl hat allgemach ebn
solch zersetzendes Matz von zerstörender Ge-
walt angenommen, wie wir es in der Vergangen-
hcit nur in abirrendvm reltgiös-iutoterantem Fa-
natismus gekannt haben. Wenn man im Vertrauen
darauf, datz der Mensch Vernunft und Belehrung
zugänglich sei, geglaubt hatte, die grausige Lehre
des Weltkrieges habe in die Köpfe der Menschheit
den Gedanken singeh simmert, datz die erhabene Idee
der Vaterlandsliebe -in Relation gesetzt werden mutz
zur Aufwärtsentwicklung der Menschheit, so sieht
Man sich grausig enttäuscht angesichts der Tatsache,
datz von Tag zu Tag die nationalistische
Hetze die einst so beglückenden Gedanken des
Menschheitsaufstiegs stärker zernagt. Mit Bestür-
zung sehen wir in kultureller Hinsicht den gewaltigen
Absturz der deutschen Dichtung von den Welt-
üeisttönen des deutschen Klassizismus zu den deutsch-
völkischen Hymnen einer unpoetischen Reimschmiede-
rei. Und gleich bitteren Gefühles müssen wir in
Politischer Hinsicht beobachten, wie auch der Kom-
ni u nismus bei einem Teil seiner Träger in die
bedenklichste Nachbarschaft eben jenes zersetzenden
Rationalismus gerät. All das, wofür unsere Väter
kämpften, die Idee der Menschheitsver-
brüd « rung, eine der höchsten Ideen menschlichen
Strebens überhaupt, scheint so dem Untergang ge-
weiht. Ewiger Hatz und ewiger Streit scheint
Menschheitsziel geworden zu sein.
U nd d och dürfe nw irnichtverz Weiseln,
b auchen auch nicht zu verzweifeln. So traurig auch
dH.- Gegenwart aussieht, ft» wenig Hoffnung sie uns
auch läßt, wer kühlen Blickes über den Dingen stehend
die Geschichtsentwicklung betrachtet, erkennt, datz
auch aus dem Dorweugarten der Gegenwart Rosen
berausfprietzeu müssen. Die ökonomische
Geschichtsbetrachtung, unser Leiter in der
Betrachtung der Weltvorgänge, gibt uns auch hisr
die Möglichkeit, günstigere Konstellatio-
nen für die Zukunft aus der Gegenwart heraus-
zules-en. Die Tatsache, datz die Völker Euro-
pa s in höchstem Matze, vor allem wirtschaftlich
aufeinander angewiesen sind, läßt uirs
lichterem Blickes in die Zukunft Ichaueu, zeichnet uns
auch den Weg vor, den wir als Sozialisten
ru gehen haben.
Ebenso wie manche Kriege ausgegangen sind mit
einem Bündnis der sich zuvor bekämpfenden Völker,
so bst ss nicht ausgeschlossen — vorausgesetzt, datz
itlcht die ungeschickte und zögernde Politik Deutsch-
lands zuvor das Reich zu einem T r ü m merhau -
f e n macht — datz auch der gegenwärtige furchtbare
Wirtschaftskampf, dessen Kosten das hun-
gernde deutsche Volk zu zahlen hat, ausgeht
Mit einem Bündnis der Kapitalisten -der
sich heute noch bekämpfenden Länder. Die Zufam-
Mensassuitg der etsatz-lothringischen Minette und
der Ruh -rkohle wird das immer klarer hervor-
tretentde Ziel matzgebender Wirtfchaftsmsinner und
frnanzpol-itifcher Gruppen, die sich heute vielfach
weniger um die Sache selbst streiten, als um die
Gewinnquote, die ihnen Zufällen soll.
Wie hat nun die Stellung der Sozial-
demokratie zu diesem gewaltigen Fragenkom-
plex zu sein-? Soll die Sozialdemokratie, verführt
durch nationalistische Gedauken-gämge, Front machen
gegen jene Strömungen der wirtschaftlichen Zusam-
menarbeit? Soll sie aus antikapitailtstischer Orien-
tierung heraus ein Projekt durchkreuzen, da-s die
Aufrichtung eines neuen Europa be-
deuten würde.
Abgesehen davon, datz es nach marxistischer Auf-
fassung eine Sisyphusarbeit wäre, gegen ebne
Zwangsläufige ökonomische Entwicklung anzurennen,
sprechen sowohl politische wie vermunstm-ätzige Ar-
gumente dafür, dem Gedanken der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit von Frankreich und
Deutschland nicht entgegen zu stehen. Gerade
Nationale Gründe sind es, die uns in der
gegenwärtigen Situation veranlassen müssen-, einer
finanziellen Juleressterung ausländischen Kapitals
v-n unserer Ruhrindustrie nicht feindlich gegenüber
Zu stehen. Liegt doch in dieser finanziellen Beteili-
gung ausländischen Kapitals an der deutschen
Schwerindustrie die letzte Möglichkeit, das
bedrohte Rhein- und Ruhrgebiet politisch frem-
den Einspruch zu entziehen, nachdem die Steuer-
M-botage des deutschen Besitzes und die Renitenz
er „nationalen" Kreise Frankreich Gelegenheit ga-
'M, sich diese Pfänder zu sichern. Aber auch politisch
edeutet diese Zusammenarbeit von französischem
und deutschem Kapital einen Weg zur allmählichen
Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich,
s dem vielleicht die Befriedung Europas herausi-
mma.-u raum,
"umso wie aus dein soziatdenwkratischen-Partei-
ini'n-' Zu Chemnitz Genosse H a ase
Gegensatz zur fatalistischen Rosa Luxemburg und
dem ihr beistehenden damals n-och überradikalen
Leusch — mit Recht hervorhob, datz „die wirtschaft-
liche Abhängigkeit ein hemmendes Moment gegen-
über den Kriegshetzern ist" und ebenso richtig Hervor-
hub, datz „der Imperialismus die kapitalistischen
Gruppen der verschiedensten Länder vielfach inter-
national verknüpft und verflechtet, wodurch sie ein
hemmendes Moment gegenüber kriegerischer Ver-
wicklungen bedeuten, ebensosehr haben wir heute
alle Ursache, all jene Stadien im Wes-en des Kapita-
lismus zu benutzen, die anstelle kriegerischer Ausein-
andersetzungen die wirtschaftliche Kooperation setzen.
Genosse Haase erklärte in feiner damaligen Rede
im Anschlu tzan oben zitierte Bemerkungen: „Aber
stärker als der Zusammenhalt des internationalen
Kapitals ist die innerlich festgefügte, aus dem Be-
wußtsein der Zusammengehörigkeit geborene „So-
lidarität des international verbrüderte» Prole-
tariats"
Wir sind heute in einer Situation, in der diese
Worte mehr als je Beachtung verdienen. Tas
internationale Kapital ist an der Arbeit, zu seinem
Nutz und Frommen die Verflechtung Europas ein
gehöriigesStück weiterzu-treiben, wenn es sich auch auf
dem Rücken der Arbeiterschaft noch um den Beute-
preis streitet. Möge deshalb die Sozialdemokratie
ihrerseits den Stand der Dinge richtig erkennen und
die gegebenen wirtschaftlichen Umstände zum Anlaß
nehmen, ein wahrhaft neues Europa vorbersiten zu
helfen.
Internationale Lage.
Die Bemühungen um eine
Wirtschaftskonferenz.
Amerika zur beratenden Teilnahme bereit.
London, 26- Oft. Auf die Anfrage Lord Cur-
zons, ob Amerika zur Teilnahme an einer Wtrt-
schastskwnferenz bereit sei, teilte der amerikanische
Staatssekretär mit:
Die amerikanische Regierung sei bereit, an
einer wirtschaftlichen Konferenz teilzu-
nehmen, an der alle an den deutschen Reparationen
hauptsächlich interessierten Staaten teilnehmsn wür-
den. Es würde jedoch ratsam sein, folgende Punkte
zu betonen:
1. Die ameuikainsche Regierung habe keines-
wegs den Wunsch, Deutschland von seiner
Verantwortlichkeit für den Krieg und von den
gerechten Verpflichtungen befrettzu sehen, aber
es sollte klar sein, datz die Zahlungsfähig-
keit Deutschlands und die formellen Bedin-
«ungenderWieder Herstellung Deutsch-
lands, ohne die eine Reparationszahlung unmög-
lich fein würde, berücksichtigt werden müsse.
2. Eine derartige Konferenz sollte beraten-
der Natur sein und nicht den Zweck habens Mei-
nungen zu bilden, die naturgemäß nicht geeignet
wären, sich AN voraus zu ihrer Annahme zu ver-
pflichten, sondern gewisse Empfehlungen
durch eine gründliche informierte und un-
parteiische Körperschaft zu sichern.
3. Zwischen der Frage der Zahlungs-
fähigkeit Deutschlands und der a l l iie r t e n
Schulden an Amerika besteht ein wesentlicher
Unterschied, und die letztere Frage liege über-
haupt nicht innerhalb der Zuständigkeit der voll-
ziehenden Gewalt. Die amerikanische Regierung
sei einer Streichung der Schulden oder ihrer
Uebertragungan Deutschland nicht geneigt,
werde aber einer vernünftigen Regelung
mit Bezug auf Zeit und Bedingungen der Zahlung
nicht entgegen sein, und die Schaffung gesetzlicher
wirtschaftliche« Bedingungen in Europa, eine ernst-
liche Herabsetzung der militävtschen
Ausgaben und eine Zusammenarbeit der euro-
päischen Völker mit dem Ziele des Friedens und
der Gerechtigkeit würde nicht verfehlen, einen ent-
sprechenden Einfluß aus die amerikani-
schenAb sichten und Ziele auszuüben.
Sodann werde gesagt, daß die anrerikanische Re-
gtenung nicht in der Lage sei, ein Mitglied in
di e Repa « at io ns k o Mmt s s i on zu entsenden,
da dies nicht ohne die Zustimmung des Kongresses
geschehen könne. Der Staatssekretär habe jedoch
keinen Zweifel, daß ein kompetenter amerikanischer
Bürger des Willens sein würde, an einer wirt-
schaftlichen Untersuchung durch eine be-
ratende Körperschaft teilzunehmen, die von der Re-
ParMonskommission ernannt werde. Soll die Ein-
mütigkeit europäischer Staaten erzielt werden können,
so müsse die amerikanische Regierung Von ihrer An-
sicht Ausdruck geben, daß die zur Erörterung stehen-
den Fragen ohne Zustimmu n g der direkt in
Betracht kommenden europäischen Regierungen
nicht endgültig geregelt werden könnten. Es stehe
zu hoffen, daß der Plan einer derartigen Untersu-
chung angesichts der obwaltenden Zustände zu-
stande komme und daß damit diese Frage sich
erledige. Sollte aber Ms Mangel anEinsicht
seitens der europäischen Staaten die Untersuchung
nicht Zustandekommen. so müßte die amerikanische
Regierung sich ihre Entscheidung in bezug Ms ihr
Vorgehen Vorbehalten, damit das einguschlagende
Verfahren die wesentliche Aussicht auf einen Erfolg
der Bem!ibu-ugumdieW ieder Herstellung in Europa
bietet. Der Staatssekretär wiederholt, daß die ame-
rikanische Negierung ihre Unterstütz ung zur Er-
reichung dieses Zieles in jeder durchführbaren Weife
zu gewähren habe.
Paris, 26. Ott. Nach einer Brüsseler Meldung
des „Temps" nimmt diebelgischeRegierung
den Vorschlag des Präsidenten der Vereinigten
Staaten an, durch Sachverständige die Zahlungs-
fähigkeit Deutschlands bestimmen zu lassen, voraus-
gesetzt, daß die Reparationskommission diese Sach-
verständigen berufen wird.
London, 26. Okt. Ei« Reuterbericht bestätigt,
daß Potnc«re den Konferenzvorfchlag
in Form einer der Reparationskommission unterstell-
ten Expertenkommission angenommen und dies nach
Amerika gemeldet hat. Die Nachricht erweckt große
Genugtuung, da man in dieser Tatsache einen gro-
ße« Schritt vorwärts sieht.
Sollte diese Nachricht tatsächlich zutmffen, so wäre
viel gewonnen. Doch raten Wir auch jetzt noch,
skeptisch zu bleiben.
Eine bedeutsame Rede Baldwins.
London, 26. Ott. Auf dem konservativen
Parteitag hielt der englische Premierminister Bald-
win eine bedeutsame Rede über die Auffas-
sung Englands. In einer Ueberstcht über die
Geschichte der letzten Wochen nahm Baldwin Bezug
auf die Erklärung des Präsidenten Coolidge, daß
die amerikanische Regierung noch immer bereit
sei, sich an einer internationalen Erörterung zu be-
teiligen. Amerika habe weiterhin die britische Re-
gierung verständigt, datz, wenn es von allen
* H e id elb er g, 27. Oktober.
Die ultimativen Forderungen des Bundesvor-
standes der Gewerkschaften zeigen, datz das soziale
Barometer auf Sturm steht. So, wie die Dinge sich
jetzt gestaltet haben, kann man die überall aufftak-
kernden Teuerungsunruhen nicht anders als Hun-
geraufstände bezeichnen. Man muß Weilt tn der Ge-
schichte zurückgeheu, um ein soziales Elen» von einem
Umfang, wie es zurzeit in Demscylano zu verzeich-
nen ist, feststellen zu können. Die Unsicherheit der
Existenz lastet wie ein unheimlicher Alp Ms den Ge-
mütern. Panik und Besessenheit bemäch-
tigt sich der Seelen. Mit Verzweiflung nimmt
do» Lohn- und Gehaltsempfänger wahr, wie seine
geringe Barschaft von einem Wochentage zum andern
in ihrer Kaufkraft in einer Weise zufammen-
schruntpft, daß sie zur Fristung der nackten Existenz
nicht mehr ausreicht. Das Arbeitseinkommen steht
nicht mehr im Einklang mit dem unerschwinglichen
Brotpreis, geschweige mit den anderen Bedürf-
nissen des Lebens. Die Ernährungslage ist trostlos.
Waren bisher Butter, Fett und selbst Margarine
zur Seltenheit aus dem Tische des Arbeiters gewor-
den, so hat die gepriesene freie Wirtschaft auch das
Brot de» gesamten schaffenden Bevölkerung allmäh-
lich zur Delikaicsse gemacht.
Kann das w weiter gehen? Gewiß nicht! Die
arbeitenden Schichten sind am Ende ihrer Kraft.
Die Blutpumpe der Inflation, die heimlich und ge-
räuschlos aus dcn proletarischen Massen di- Gold-
millionen he auspretzt, die die Liqu Patton des
Ruhrabenttucrs jetzt monatlich erfordert, schöpft das
proletarische Einkommen fast restlos aus. Zum Le-
ben bleibt dem Arbeiter fast nichts mehr ribr g. Kein
Wunder, daß dt>- Verzweiflung, ja die Wut überall
zu politt'chcn und sozialen Erschütterung-n führt.
Hunger, Berzw-iflung und Erbitterung sind die
Kräfte, die dem Separatismus und Kommunismus
die Anhänger in die Arme treiben. Die besitzenden
Klaffen, die dem Staat die Mittel verweigern, di« er
zur Liquidation des Ruhrkriegs braucht — es han-
delt sich um eine Goldmilliarde monatlich — sollten
sich nicht darüber täuschen, daß ihr Versuch, diese un-
geheure Summe durch die Blutpumpe der Inflation
allein aus den arbeitenden Klassen herauszuholen,
Deutschland in kurzer Zeit zu einem großen
Brandherd machen mutz.
Jan Reichstag hat Helfferich dargelegt, daß im
September die Reichsausgaben tn Gold nach dem
Durchschnittskurs des Dollars umgerechnet 1)4 Mil-
liarden Goldmark betrugen. Die Rechnung stimmt.
Richtig ist auch seine Bemerkung, datz diese Summen
dem Monatseinkommen des deutschen Volkes fast
entspricht. Der Vater Staat verbraucht für sich
also fast so viel, wie die Arbeit des ganzen Volkes
in einem Monat hervorbringen kann. So erklärt es
sich, daß dem Volke zum Leben fast nichts mehr übrig
bleibt. Gewiß stecken in diesen Ausgaben auch die
Summen, die die Unterstützungen für die Arbeits-
lose» erfordern, aber gut eine Goldmtlliarde davon
kommt a conto der Liquidation des Ruhrkricges,
dessen Ursache und unglücklicher Ausgang in der
deutschnationalen Sabotage des Wiederaufbaues
liegt. Kein Wunder, datz der Aufschrei des Hungers
wie ein Totengeläute jetzt von einem Ende des
Reiches zuni andern hallt und überall di« Volksnmf-
sen zu Verzweiflungstaten getrieben werden». Es
mag sein, daß vielfach die Teuemngsunruhen von
den Kommunisten aüsgehen. Aber nicht die kom
Alliierten eingeladen würde, es sich bei de,
Untersuchung von Sachverständigen unter den Auspi-
zien der Reparationskommission vertreten lasse«
würde.
Bezüglich der deutschen Reparation sagte der
Premierminister, Deutschland müsse ein« -gerechte
Butze Wr den Krieg bezahlen, müsse seine
Währung stabilisieren und seine Finanzen unter
Kontrolle gestellt werden. Im Hinblick Ms die Er-
eignisse der letzten 2 Jahre müsse der Gesamt-
betrag der Reparationen von neuem f e st ge-
st e l l t werden.
Baldwin gab weiter die Erklärung ab,
datz England die Losreitzung irgend eines Teiles
von Deutschland nicht in Betracht ziehen könne.
Die Lage sei heute ernst.
Es dürfe nicht vergessen werden, datz Deutsch-
land durch den Friedensvertrag beträchtliche Teile
seines industriellen Gebiets verloren und
ein beträchtliches Gebiet seines Ackerbaues ein-
gebüßt habe. Die Folge sei, datz, wenn Deutsch-
lands Wirtschaft zu funktionieren beginne, es wahr-
scheinlich mehr Lebensmittel und Rohstoffe als vor
dem Krieg ei uz »führen habe. Daraus folge,
datz die deutsche Ausfuhr zunehmen müsse, um für
diese Einfuhr ebenso wie um Reparationen zu be-
zahlen, Geld zu schaffen.
Seine Schulden an die «Vereinigten Staaten
könne England nur bezahlen, indem es seinen A u s-
f uhrhandel vermehre oder den Einsuhr-
handel vermindere oder beides. Der ein-
zige Weg, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sei
der Schutz des Heimatmarktes.
munistische Lehre, sondern das Huugerelcnd ist, wie
in Hamburg und Berlin, so auch anderswo causa
kinalis, die letzthin entscheidende Ursache der Un-
ruhen. Gebt dem Volke Arbeit, gebt ihm Brot,
und die Kommunisten sind Offiziere ohne Mann-
schaften.
Um ans diesem Elend herauszukommen, sind ver-
schiedene Maßnahmen nötig, die zwar schwer sind,
jedoch für ein« starke republikanische Regierung nicht
unmöglich sind. Zunächst müßte im Innern Bayern
gezeigt werden, datz die Reichsregierung stark genug
ist, einem remitenten Gliedstaat des Reiches zu zei-
gen, datz sie noch Herr im Land ist, ebenso wie die
Reichsregterung durch Aufhebung des Ausnahme-
zustandes beweisen müßte, datz tn der deutschen Re-
publik Zivtlgewalt über Mtlitärgewalt steht. Gleich-
zeitig müßte durch ein rasches und brauchbares An-
gebot (kein Schednangebot, dessen Ablehnung jedem
Kenner von vornherein klar ist) an die Reparations-
kommission, dem deuischen Volke der äußere Frieden
gegeben werden, der die Voraussetzung jeder innere«
Gesundung ist.
Dies genügt jedoch nicht. Neben der Beseitigung
der Sabotage des Unternehmertums, das täglich
neue Arbeitermassen aLs Erwerbslose auf die Straße
wirft, muß die Stillegung der Blutpumpe der In-
flation durch sofortige Sckammg eines wertbeständi-
gen Zahlungsmittels cur Lohn- und Gehaltsempfän-
ger verlangt werven. Finanzpolitisch bedeutet dies,
daß die Goldmilltarden, die die Liquidation des
Ruhrkriegs und die Sanierung des NeichsbudgeiS
erfordert, hinfort von den besitzenden Klaffen getra-
gen werden solle. Währungspolitisch belrachlct,
schließt diese Forderung den Ersatz der Papiermarlk
durch wertbeständige Zahlungsmittel
und die Zahlung entsprechender Löhne in sich. Dies«
sofort zu beschaffen, ist durchaus möglich und wir
hoffen, daß die Ankündig ungenderletzten
Woche dieser Forderung rasche Erfüllung
folgen lassen.
Nicht weniger berechtigt und ausführbar als die
Entlohnung mit wertbeständigen! Geld
ist das Verlangen, datz von den Behörden die not-
wendigen Lebensmittel herangeschafft und
berertgestcllt werden. Falls alle anderen Mittel ver-
sagen, müsste zur' Requisition geschritten Wer-
den. Statt Reichswehr gegen hungernde Arbeiter
zu führen wie in Sachsen, könnte man sie besser zur
Heranschaffung von Lebensmitteln verwenden. Durch
das Ermächtigungsgesetz ist dem Kabinett Strese-
mann auch Vollmacht verliehen worden, Eingriffe
in das Privateigentum vorzunehmen. Es muß Ver-
langt werden, daß es von dieser Vollmacht sofort
Gebrauch zur Heramschasfurrg von Lebensmitteln
macht. Das Volk Will nicht vor vollen Scheunen
verhungern. Datz schließlich die in wertbeständigen
Zahlungsmitteln zu entrichtenden Löhne auch den
derzeitigen Teuerungsverhältnissen angepatzt sein
müssen, ist eine Forderung, die sich eigentlich von
selbst versteht.
Die Dinge sind aber so weil gediehen, daß das
Leben der breiten Massen durch die In-
flation direkt gefährdet ist. Die Notenprefse
ist jetzt buchstäblich zur Mordmaschine gewor-
den, Kommt keine Hilfe von oben, so bleibt den
Lohn»- und Gehaltsempfängern nichts anderes übrig,
als sich selbst zu helfen. Die Hunger-
revolten im Ruhrgebiet und in anderen
Gegend-eu Deutschlands zeigen den Ernst der Stunde.
Sturmzeichen!
Heidelberg, Samstag, den 27. Oktober 1923
Nr. 250
E»!
^rugrpreir cinIchl.Trügcrlohnsar
«ochcv.SS.Okt. b.8.Nov.8Milliard.
«lazrigentarif: Die einsp. Petitzeile
a der. Raum (8Kmm br.) Mk. kV.—,
i Auswärtige Ml. 8V —, Rekleme-
Euzctgen l7j mm breit) Mk. WS —.
»ruubpreis mal der Schlüsselzahl d.
* »-8 , S 8«. lSVVvooo M. Bei Wie-
^r^olungen Nachlaß nach Tarif.
Wr MUW «8» WU MW W>U PostscheSkoutoK-rl-rub«Stt.w->77.
M» MM WN WW WWfM WA^ VW WS WW W» MV WA MH Lcl-Adr.:Bolr»»kttungH»i^»er».
WA AM WA ^ÄU D^s AKM MW WM jWM Druck u. Verlag der llnterbadif.ne»
E«» WW«M Verlagsanftalt <L.m.b.H., Heidel»
W '«MM MWWM berg. GclchäftsftellerechrSdcrstr.M.
U Kn «8^ TeI.:Erpeditt°n«73u.Rcdak.z67».
!«ie§-zelim, U «e »nMimtUWIkim, I« «Erltte SMklbni. MulM, Sinde«. UM«, «MO, M,U-,,i»m, Ne,,dem. UM,. !MkMW,»el» i. «Mei»
MkkgW Ml AOM
8». Heidelberg, 27. Oktober.
Verzweifelnden Blickes mutz der Anhänger der
Völkerverständigung und Vertreter der Völkerver-
brüderung init ansehen, wie sich die Hag erfüllte Ge-
genwart immer mehr von jenen großen Menschheils-
idealen entseiM, die in Deutschland Schiller und
Goethe, in Frankreich vor allem Rousseau, sowie
zahlrsiche anderen Heroen des Geistes in aller Welt
vorschwebten. Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts
aus dem Gedanken der Volkssouveränität heraus-
flackernde Nation« lgefühl hat allgemach ebn
solch zersetzendes Matz von zerstörender Ge-
walt angenommen, wie wir es in der Vergangen-
hcit nur in abirrendvm reltgiös-iutoterantem Fa-
natismus gekannt haben. Wenn man im Vertrauen
darauf, datz der Mensch Vernunft und Belehrung
zugänglich sei, geglaubt hatte, die grausige Lehre
des Weltkrieges habe in die Köpfe der Menschheit
den Gedanken singeh simmert, datz die erhabene Idee
der Vaterlandsliebe -in Relation gesetzt werden mutz
zur Aufwärtsentwicklung der Menschheit, so sieht
Man sich grausig enttäuscht angesichts der Tatsache,
datz von Tag zu Tag die nationalistische
Hetze die einst so beglückenden Gedanken des
Menschheitsaufstiegs stärker zernagt. Mit Bestür-
zung sehen wir in kultureller Hinsicht den gewaltigen
Absturz der deutschen Dichtung von den Welt-
üeisttönen des deutschen Klassizismus zu den deutsch-
völkischen Hymnen einer unpoetischen Reimschmiede-
rei. Und gleich bitteren Gefühles müssen wir in
Politischer Hinsicht beobachten, wie auch der Kom-
ni u nismus bei einem Teil seiner Träger in die
bedenklichste Nachbarschaft eben jenes zersetzenden
Rationalismus gerät. All das, wofür unsere Väter
kämpften, die Idee der Menschheitsver-
brüd « rung, eine der höchsten Ideen menschlichen
Strebens überhaupt, scheint so dem Untergang ge-
weiht. Ewiger Hatz und ewiger Streit scheint
Menschheitsziel geworden zu sein.
U nd d och dürfe nw irnichtverz Weiseln,
b auchen auch nicht zu verzweifeln. So traurig auch
dH.- Gegenwart aussieht, ft» wenig Hoffnung sie uns
auch läßt, wer kühlen Blickes über den Dingen stehend
die Geschichtsentwicklung betrachtet, erkennt, datz
auch aus dem Dorweugarten der Gegenwart Rosen
berausfprietzeu müssen. Die ökonomische
Geschichtsbetrachtung, unser Leiter in der
Betrachtung der Weltvorgänge, gibt uns auch hisr
die Möglichkeit, günstigere Konstellatio-
nen für die Zukunft aus der Gegenwart heraus-
zules-en. Die Tatsache, datz die Völker Euro-
pa s in höchstem Matze, vor allem wirtschaftlich
aufeinander angewiesen sind, läßt uirs
lichterem Blickes in die Zukunft Ichaueu, zeichnet uns
auch den Weg vor, den wir als Sozialisten
ru gehen haben.
Ebenso wie manche Kriege ausgegangen sind mit
einem Bündnis der sich zuvor bekämpfenden Völker,
so bst ss nicht ausgeschlossen — vorausgesetzt, datz
itlcht die ungeschickte und zögernde Politik Deutsch-
lands zuvor das Reich zu einem T r ü m merhau -
f e n macht — datz auch der gegenwärtige furchtbare
Wirtschaftskampf, dessen Kosten das hun-
gernde deutsche Volk zu zahlen hat, ausgeht
Mit einem Bündnis der Kapitalisten -der
sich heute noch bekämpfenden Länder. Die Zufam-
Mensassuitg der etsatz-lothringischen Minette und
der Ruh -rkohle wird das immer klarer hervor-
tretentde Ziel matzgebender Wirtfchaftsmsinner und
frnanzpol-itifcher Gruppen, die sich heute vielfach
weniger um die Sache selbst streiten, als um die
Gewinnquote, die ihnen Zufällen soll.
Wie hat nun die Stellung der Sozial-
demokratie zu diesem gewaltigen Fragenkom-
plex zu sein-? Soll die Sozialdemokratie, verführt
durch nationalistische Gedauken-gämge, Front machen
gegen jene Strömungen der wirtschaftlichen Zusam-
menarbeit? Soll sie aus antikapitailtstischer Orien-
tierung heraus ein Projekt durchkreuzen, da-s die
Aufrichtung eines neuen Europa be-
deuten würde.
Abgesehen davon, datz es nach marxistischer Auf-
fassung eine Sisyphusarbeit wäre, gegen ebne
Zwangsläufige ökonomische Entwicklung anzurennen,
sprechen sowohl politische wie vermunstm-ätzige Ar-
gumente dafür, dem Gedanken der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit von Frankreich und
Deutschland nicht entgegen zu stehen. Gerade
Nationale Gründe sind es, die uns in der
gegenwärtigen Situation veranlassen müssen-, einer
finanziellen Juleressterung ausländischen Kapitals
v-n unserer Ruhrindustrie nicht feindlich gegenüber
Zu stehen. Liegt doch in dieser finanziellen Beteili-
gung ausländischen Kapitals an der deutschen
Schwerindustrie die letzte Möglichkeit, das
bedrohte Rhein- und Ruhrgebiet politisch frem-
den Einspruch zu entziehen, nachdem die Steuer-
M-botage des deutschen Besitzes und die Renitenz
er „nationalen" Kreise Frankreich Gelegenheit ga-
'M, sich diese Pfänder zu sichern. Aber auch politisch
edeutet diese Zusammenarbeit von französischem
und deutschem Kapital einen Weg zur allmählichen
Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich,
s dem vielleicht die Befriedung Europas herausi-
mma.-u raum,
"umso wie aus dein soziatdenwkratischen-Partei-
ini'n-' Zu Chemnitz Genosse H a ase
Gegensatz zur fatalistischen Rosa Luxemburg und
dem ihr beistehenden damals n-och überradikalen
Leusch — mit Recht hervorhob, datz „die wirtschaft-
liche Abhängigkeit ein hemmendes Moment gegen-
über den Kriegshetzern ist" und ebenso richtig Hervor-
hub, datz „der Imperialismus die kapitalistischen
Gruppen der verschiedensten Länder vielfach inter-
national verknüpft und verflechtet, wodurch sie ein
hemmendes Moment gegenüber kriegerischer Ver-
wicklungen bedeuten, ebensosehr haben wir heute
alle Ursache, all jene Stadien im Wes-en des Kapita-
lismus zu benutzen, die anstelle kriegerischer Ausein-
andersetzungen die wirtschaftliche Kooperation setzen.
Genosse Haase erklärte in feiner damaligen Rede
im Anschlu tzan oben zitierte Bemerkungen: „Aber
stärker als der Zusammenhalt des internationalen
Kapitals ist die innerlich festgefügte, aus dem Be-
wußtsein der Zusammengehörigkeit geborene „So-
lidarität des international verbrüderte» Prole-
tariats"
Wir sind heute in einer Situation, in der diese
Worte mehr als je Beachtung verdienen. Tas
internationale Kapital ist an der Arbeit, zu seinem
Nutz und Frommen die Verflechtung Europas ein
gehöriigesStück weiterzu-treiben, wenn es sich auch auf
dem Rücken der Arbeiterschaft noch um den Beute-
preis streitet. Möge deshalb die Sozialdemokratie
ihrerseits den Stand der Dinge richtig erkennen und
die gegebenen wirtschaftlichen Umstände zum Anlaß
nehmen, ein wahrhaft neues Europa vorbersiten zu
helfen.
Internationale Lage.
Die Bemühungen um eine
Wirtschaftskonferenz.
Amerika zur beratenden Teilnahme bereit.
London, 26- Oft. Auf die Anfrage Lord Cur-
zons, ob Amerika zur Teilnahme an einer Wtrt-
schastskwnferenz bereit sei, teilte der amerikanische
Staatssekretär mit:
Die amerikanische Regierung sei bereit, an
einer wirtschaftlichen Konferenz teilzu-
nehmen, an der alle an den deutschen Reparationen
hauptsächlich interessierten Staaten teilnehmsn wür-
den. Es würde jedoch ratsam sein, folgende Punkte
zu betonen:
1. Die ameuikainsche Regierung habe keines-
wegs den Wunsch, Deutschland von seiner
Verantwortlichkeit für den Krieg und von den
gerechten Verpflichtungen befrettzu sehen, aber
es sollte klar sein, datz die Zahlungsfähig-
keit Deutschlands und die formellen Bedin-
«ungenderWieder Herstellung Deutsch-
lands, ohne die eine Reparationszahlung unmög-
lich fein würde, berücksichtigt werden müsse.
2. Eine derartige Konferenz sollte beraten-
der Natur sein und nicht den Zweck habens Mei-
nungen zu bilden, die naturgemäß nicht geeignet
wären, sich AN voraus zu ihrer Annahme zu ver-
pflichten, sondern gewisse Empfehlungen
durch eine gründliche informierte und un-
parteiische Körperschaft zu sichern.
3. Zwischen der Frage der Zahlungs-
fähigkeit Deutschlands und der a l l iie r t e n
Schulden an Amerika besteht ein wesentlicher
Unterschied, und die letztere Frage liege über-
haupt nicht innerhalb der Zuständigkeit der voll-
ziehenden Gewalt. Die amerikanische Regierung
sei einer Streichung der Schulden oder ihrer
Uebertragungan Deutschland nicht geneigt,
werde aber einer vernünftigen Regelung
mit Bezug auf Zeit und Bedingungen der Zahlung
nicht entgegen sein, und die Schaffung gesetzlicher
wirtschaftliche« Bedingungen in Europa, eine ernst-
liche Herabsetzung der militävtschen
Ausgaben und eine Zusammenarbeit der euro-
päischen Völker mit dem Ziele des Friedens und
der Gerechtigkeit würde nicht verfehlen, einen ent-
sprechenden Einfluß aus die amerikani-
schenAb sichten und Ziele auszuüben.
Sodann werde gesagt, daß die anrerikanische Re-
gtenung nicht in der Lage sei, ein Mitglied in
di e Repa « at io ns k o Mmt s s i on zu entsenden,
da dies nicht ohne die Zustimmung des Kongresses
geschehen könne. Der Staatssekretär habe jedoch
keinen Zweifel, daß ein kompetenter amerikanischer
Bürger des Willens sein würde, an einer wirt-
schaftlichen Untersuchung durch eine be-
ratende Körperschaft teilzunehmen, die von der Re-
ParMonskommission ernannt werde. Soll die Ein-
mütigkeit europäischer Staaten erzielt werden können,
so müsse die amerikanische Regierung Von ihrer An-
sicht Ausdruck geben, daß die zur Erörterung stehen-
den Fragen ohne Zustimmu n g der direkt in
Betracht kommenden europäischen Regierungen
nicht endgültig geregelt werden könnten. Es stehe
zu hoffen, daß der Plan einer derartigen Untersu-
chung angesichts der obwaltenden Zustände zu-
stande komme und daß damit diese Frage sich
erledige. Sollte aber Ms Mangel anEinsicht
seitens der europäischen Staaten die Untersuchung
nicht Zustandekommen. so müßte die amerikanische
Regierung sich ihre Entscheidung in bezug Ms ihr
Vorgehen Vorbehalten, damit das einguschlagende
Verfahren die wesentliche Aussicht auf einen Erfolg
der Bem!ibu-ugumdieW ieder Herstellung in Europa
bietet. Der Staatssekretär wiederholt, daß die ame-
rikanische Negierung ihre Unterstütz ung zur Er-
reichung dieses Zieles in jeder durchführbaren Weife
zu gewähren habe.
Paris, 26. Ott. Nach einer Brüsseler Meldung
des „Temps" nimmt diebelgischeRegierung
den Vorschlag des Präsidenten der Vereinigten
Staaten an, durch Sachverständige die Zahlungs-
fähigkeit Deutschlands bestimmen zu lassen, voraus-
gesetzt, daß die Reparationskommission diese Sach-
verständigen berufen wird.
London, 26. Okt. Ei« Reuterbericht bestätigt,
daß Potnc«re den Konferenzvorfchlag
in Form einer der Reparationskommission unterstell-
ten Expertenkommission angenommen und dies nach
Amerika gemeldet hat. Die Nachricht erweckt große
Genugtuung, da man in dieser Tatsache einen gro-
ße« Schritt vorwärts sieht.
Sollte diese Nachricht tatsächlich zutmffen, so wäre
viel gewonnen. Doch raten Wir auch jetzt noch,
skeptisch zu bleiben.
Eine bedeutsame Rede Baldwins.
London, 26. Ott. Auf dem konservativen
Parteitag hielt der englische Premierminister Bald-
win eine bedeutsame Rede über die Auffas-
sung Englands. In einer Ueberstcht über die
Geschichte der letzten Wochen nahm Baldwin Bezug
auf die Erklärung des Präsidenten Coolidge, daß
die amerikanische Regierung noch immer bereit
sei, sich an einer internationalen Erörterung zu be-
teiligen. Amerika habe weiterhin die britische Re-
gierung verständigt, datz, wenn es von allen
* H e id elb er g, 27. Oktober.
Die ultimativen Forderungen des Bundesvor-
standes der Gewerkschaften zeigen, datz das soziale
Barometer auf Sturm steht. So, wie die Dinge sich
jetzt gestaltet haben, kann man die überall aufftak-
kernden Teuerungsunruhen nicht anders als Hun-
geraufstände bezeichnen. Man muß Weilt tn der Ge-
schichte zurückgeheu, um ein soziales Elen» von einem
Umfang, wie es zurzeit in Demscylano zu verzeich-
nen ist, feststellen zu können. Die Unsicherheit der
Existenz lastet wie ein unheimlicher Alp Ms den Ge-
mütern. Panik und Besessenheit bemäch-
tigt sich der Seelen. Mit Verzweiflung nimmt
do» Lohn- und Gehaltsempfänger wahr, wie seine
geringe Barschaft von einem Wochentage zum andern
in ihrer Kaufkraft in einer Weise zufammen-
schruntpft, daß sie zur Fristung der nackten Existenz
nicht mehr ausreicht. Das Arbeitseinkommen steht
nicht mehr im Einklang mit dem unerschwinglichen
Brotpreis, geschweige mit den anderen Bedürf-
nissen des Lebens. Die Ernährungslage ist trostlos.
Waren bisher Butter, Fett und selbst Margarine
zur Seltenheit aus dem Tische des Arbeiters gewor-
den, so hat die gepriesene freie Wirtschaft auch das
Brot de» gesamten schaffenden Bevölkerung allmäh-
lich zur Delikaicsse gemacht.
Kann das w weiter gehen? Gewiß nicht! Die
arbeitenden Schichten sind am Ende ihrer Kraft.
Die Blutpumpe der Inflation, die heimlich und ge-
räuschlos aus dcn proletarischen Massen di- Gold-
millionen he auspretzt, die die Liqu Patton des
Ruhrabenttucrs jetzt monatlich erfordert, schöpft das
proletarische Einkommen fast restlos aus. Zum Le-
ben bleibt dem Arbeiter fast nichts mehr ribr g. Kein
Wunder, daß dt>- Verzweiflung, ja die Wut überall
zu politt'chcn und sozialen Erschütterung-n führt.
Hunger, Berzw-iflung und Erbitterung sind die
Kräfte, die dem Separatismus und Kommunismus
die Anhänger in die Arme treiben. Die besitzenden
Klaffen, die dem Staat die Mittel verweigern, di« er
zur Liquidation des Ruhrkriegs braucht — es han-
delt sich um eine Goldmilliarde monatlich — sollten
sich nicht darüber täuschen, daß ihr Versuch, diese un-
geheure Summe durch die Blutpumpe der Inflation
allein aus den arbeitenden Klassen herauszuholen,
Deutschland in kurzer Zeit zu einem großen
Brandherd machen mutz.
Jan Reichstag hat Helfferich dargelegt, daß im
September die Reichsausgaben tn Gold nach dem
Durchschnittskurs des Dollars umgerechnet 1)4 Mil-
liarden Goldmark betrugen. Die Rechnung stimmt.
Richtig ist auch seine Bemerkung, datz diese Summen
dem Monatseinkommen des deutschen Volkes fast
entspricht. Der Vater Staat verbraucht für sich
also fast so viel, wie die Arbeit des ganzen Volkes
in einem Monat hervorbringen kann. So erklärt es
sich, daß dem Volke zum Leben fast nichts mehr übrig
bleibt. Gewiß stecken in diesen Ausgaben auch die
Summen, die die Unterstützungen für die Arbeits-
lose» erfordern, aber gut eine Goldmtlliarde davon
kommt a conto der Liquidation des Ruhrkricges,
dessen Ursache und unglücklicher Ausgang in der
deutschnationalen Sabotage des Wiederaufbaues
liegt. Kein Wunder, datz der Aufschrei des Hungers
wie ein Totengeläute jetzt von einem Ende des
Reiches zuni andern hallt und überall di« Volksnmf-
sen zu Verzweiflungstaten getrieben werden». Es
mag sein, daß vielfach die Teuemngsunruhen von
den Kommunisten aüsgehen. Aber nicht die kom
Alliierten eingeladen würde, es sich bei de,
Untersuchung von Sachverständigen unter den Auspi-
zien der Reparationskommission vertreten lasse«
würde.
Bezüglich der deutschen Reparation sagte der
Premierminister, Deutschland müsse ein« -gerechte
Butze Wr den Krieg bezahlen, müsse seine
Währung stabilisieren und seine Finanzen unter
Kontrolle gestellt werden. Im Hinblick Ms die Er-
eignisse der letzten 2 Jahre müsse der Gesamt-
betrag der Reparationen von neuem f e st ge-
st e l l t werden.
Baldwin gab weiter die Erklärung ab,
datz England die Losreitzung irgend eines Teiles
von Deutschland nicht in Betracht ziehen könne.
Die Lage sei heute ernst.
Es dürfe nicht vergessen werden, datz Deutsch-
land durch den Friedensvertrag beträchtliche Teile
seines industriellen Gebiets verloren und
ein beträchtliches Gebiet seines Ackerbaues ein-
gebüßt habe. Die Folge sei, datz, wenn Deutsch-
lands Wirtschaft zu funktionieren beginne, es wahr-
scheinlich mehr Lebensmittel und Rohstoffe als vor
dem Krieg ei uz »führen habe. Daraus folge,
datz die deutsche Ausfuhr zunehmen müsse, um für
diese Einfuhr ebenso wie um Reparationen zu be-
zahlen, Geld zu schaffen.
Seine Schulden an die «Vereinigten Staaten
könne England nur bezahlen, indem es seinen A u s-
f uhrhandel vermehre oder den Einsuhr-
handel vermindere oder beides. Der ein-
zige Weg, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sei
der Schutz des Heimatmarktes.
munistische Lehre, sondern das Huugerelcnd ist, wie
in Hamburg und Berlin, so auch anderswo causa
kinalis, die letzthin entscheidende Ursache der Un-
ruhen. Gebt dem Volke Arbeit, gebt ihm Brot,
und die Kommunisten sind Offiziere ohne Mann-
schaften.
Um ans diesem Elend herauszukommen, sind ver-
schiedene Maßnahmen nötig, die zwar schwer sind,
jedoch für ein« starke republikanische Regierung nicht
unmöglich sind. Zunächst müßte im Innern Bayern
gezeigt werden, datz die Reichsregierung stark genug
ist, einem remitenten Gliedstaat des Reiches zu zei-
gen, datz sie noch Herr im Land ist, ebenso wie die
Reichsregterung durch Aufhebung des Ausnahme-
zustandes beweisen müßte, datz tn der deutschen Re-
publik Zivtlgewalt über Mtlitärgewalt steht. Gleich-
zeitig müßte durch ein rasches und brauchbares An-
gebot (kein Schednangebot, dessen Ablehnung jedem
Kenner von vornherein klar ist) an die Reparations-
kommission, dem deuischen Volke der äußere Frieden
gegeben werden, der die Voraussetzung jeder innere«
Gesundung ist.
Dies genügt jedoch nicht. Neben der Beseitigung
der Sabotage des Unternehmertums, das täglich
neue Arbeitermassen aLs Erwerbslose auf die Straße
wirft, muß die Stillegung der Blutpumpe der In-
flation durch sofortige Sckammg eines wertbeständi-
gen Zahlungsmittels cur Lohn- und Gehaltsempfän-
ger verlangt werven. Finanzpolitisch bedeutet dies,
daß die Goldmilltarden, die die Liquidation des
Ruhrkriegs und die Sanierung des NeichsbudgeiS
erfordert, hinfort von den besitzenden Klaffen getra-
gen werden solle. Währungspolitisch belrachlct,
schließt diese Forderung den Ersatz der Papiermarlk
durch wertbeständige Zahlungsmittel
und die Zahlung entsprechender Löhne in sich. Dies«
sofort zu beschaffen, ist durchaus möglich und wir
hoffen, daß die Ankündig ungenderletzten
Woche dieser Forderung rasche Erfüllung
folgen lassen.
Nicht weniger berechtigt und ausführbar als die
Entlohnung mit wertbeständigen! Geld
ist das Verlangen, datz von den Behörden die not-
wendigen Lebensmittel herangeschafft und
berertgestcllt werden. Falls alle anderen Mittel ver-
sagen, müsste zur' Requisition geschritten Wer-
den. Statt Reichswehr gegen hungernde Arbeiter
zu führen wie in Sachsen, könnte man sie besser zur
Heranschaffung von Lebensmitteln verwenden. Durch
das Ermächtigungsgesetz ist dem Kabinett Strese-
mann auch Vollmacht verliehen worden, Eingriffe
in das Privateigentum vorzunehmen. Es muß Ver-
langt werden, daß es von dieser Vollmacht sofort
Gebrauch zur Heramschasfurrg von Lebensmitteln
macht. Das Volk Will nicht vor vollen Scheunen
verhungern. Datz schließlich die in wertbeständigen
Zahlungsmitteln zu entrichtenden Löhne auch den
derzeitigen Teuerungsverhältnissen angepatzt sein
müssen, ist eine Forderung, die sich eigentlich von
selbst versteht.
Die Dinge sind aber so weil gediehen, daß das
Leben der breiten Massen durch die In-
flation direkt gefährdet ist. Die Notenprefse
ist jetzt buchstäblich zur Mordmaschine gewor-
den, Kommt keine Hilfe von oben, so bleibt den
Lohn»- und Gehaltsempfängern nichts anderes übrig,
als sich selbst zu helfen. Die Hunger-
revolten im Ruhrgebiet und in anderen
Gegend-eu Deutschlands zeigen den Ernst der Stunde.
Sturmzeichen!