Azugsprei- einichl.Teägerlobn tüi
Woche v. 8.-tt. 2kl. MI AM-MO.
Anzeigeolaris: Di- ->a!p Pettlzeil«
Ho. tzer. N>xum k>r ) A!k 60.-—,
«Auswärtig? Ml sü.-, RrName-
^Uzoi;/en (71 »«m drei!) Mk 260.—.
Hruudprcis mal der S<ylüflelzabl d.
d. Z., z. Zl. WV000 Ml. Ber Wie-
derholungen Nachlaß nach Tarif.
lkszeitung
GeschSftsstundenS—SNHr. Sprech-
stunden der Redaktion: 1k—12Uhr.
PosischeckkontoKarlsruhe Nr.22577.
Tel.-Adr.:BolkszeitungHeidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadische»
Verlagsanstalt D. m. b. H., Heidel«
berg. Geschäftsstelle: Echröderftr.M.
Tel.: Erpcdition2873u.Rcdak.LS7i.
rages-ZeltWg für -le MMStigk Möllerung -er Amtsbezirle Sei-el-eks, Wiesloch. Smrtzew. Kpviuges. Sdervach. Mos-ach. Buchen, NMeim, Norberg. rau-er-Wofr-elm a. Nert-el«
5. Jahrgang
Heidelberg, Freitag, den 12. Oktober 1923
Nr. 23^
gr. Heidelberg. 12. Oktober.
Von einer Krise rennt das deutsche Volk in die
andere. In furchtbarer Weise rächt sich die natio-
nalistische Einstellung großer Teile des deutschen
Volkes, die uns an Stelle des Erfüllungskabinetts
Wirch das „nationale Kabinett" Cuno mit all sei-
nen furchtbaren Folgeerscheinungen brachte. Was
das deutsche Volk heute an Schrecklichem durchkostet,
verdankt es neben der Ludendorssschen Kriegspolitik
der Ruhrabenteuerpolitik des Kabinetts der bürger-
licherseits so sehr gepriesenen „Fachmänner". Dies
inmier und immer wieder festzustellen, halten wir
für unerläßlich.
Leider hat man das Kabinett Cuno von der Ver-
antwortung für das von ihr geführte Ruhrabenteuer
enthoben und im August bei der Bildung des Kabi-
netts der Großen Koalition unterlassen, von vorn-
herein durch entscheidende Handlungen
die unter Cuno verloren gegangene Staatsautorität
rurückzugewinnen. Dieser Mangel an Aktivität
brachte es mit sich, daß unter den Parteien der Koa-
litionsträgor sich steigender Mißmut geltend machte,
ebenso wie Gegensätze, wie etwa »wischen Scholz
und Breitscheid, Regierungskrisen wie die lctzr-
ivSchige erklärlich machen.
Diese Gegensätze und Mängel treten am schärfsten
beim Ermächtigungsgesetz zutage. Wir persönlich
sind der Auffassung, daß auch ohne Ermächtigungs-
Hesetz eine starke republikanische Regie-
rung politisch und wirtschaftlich das hätte tun kön-
nten, was die Situation gebietet. Die Reichsregie-
rung ist jedoch der Auffassung, daß ein Ermächti-
gnngsgesetz notwendig ist, das ihr formalrechttiche
Möglichkeiten gibt, schnelle Entschlüsse zü fällen und
in die Tat umzusetzen. Nicht mit Unrecht scheu je-
doch weite Kreise in diesem Ermächtigungsgesetz
siarke Fußangeln für die Demokratie und die Arbei-
terschaft, während anderseits die rechts und links
stehenden Feinde der Republik Gegner jeder Maß-
nahme sind, die das Reich befestigen. So ist die Si-
tuation entstanden, daß das Ermächtigungsgesetz in
der gestrigen Reichstlagssitzung nicht zur Erledigung
gekommen ist und der Reichskanzler dey Parteifüh-
rern erklärte, daß der Reichstag aufgelöst würde,
wenn das Ermächtigungsgesetz nicht in der Sams-
tagssitzung zur Annahme kommt. Wir glauben an-
gesichts der großen Fertigkeit der Reichstagsparteien
'M Kulissenschieben, daß diese Gefahr der drohenden
Reichztagsauflösung, die wir mehr für eine Pression
gegen die opponierenden Mitglieder innerhalb der
Großen Koalition halten, nicht in Erscheinung tritt,
immerhin ist die Situation sehr ernst und erfordert
Vie volle Aufmerksamkeit der Volksmassen, ebenso
aber auch wie die Klarheit der sozialdemokratischen
Reichstagsfrakttou über die Erfordernisse derStunde.
Die Drohung mit der Reichstags-
auflösung
Berlin^ 11. Okt. Die Ungewißheit über das
Schicksal -des Ermächtigungsgesetzes, die
schon in den letzten Tagen einen Zustand latenter
Spannung erzeugt hat, hat heute zum Ausbruch
«Huer Krisis allerschwerster Art geführt.
Das Gesetz bedarf zu seiner Verabschiedung
^Uer Zweidrittelmehrheit, d. h. es inüs-
rwei Drittel der Abgeordneten bet der Absttm-
wüng anwesend sein, und von dieser Zahl
wissen wiederum zwei Drittel für das Gesetz stirn-
Das Letztere wäre Wohl verhältnismäßig
, cher, wenn es gelänge, die Zahl von rund 30Ü,
„ für die verMssungSmäßige Beschlußfähig-
? it Sei dieser Abstimmung notwendig ist, znsam-
'Uenzubekomluen.
Die Schwierigkeiten liegen darin, daß Deutschna-
"vale. Deutschvölkische, Kommunisten und Bayer.
, "Üsyarlei das Gesetz ablehnen und die OPPo-
i'vum innerhalb der> Sozialdemokratie und
E Zutschen Volkspartei sich der Abstimmung enthal-
ü wollen, sodaß unter Umstanden nicht die ge-
uyende Anwefenheitszifscr von 306 Abgeordneten
^sammenkommt.
r l i n, 11. Okt. Für die Annahme des Er-
Über AU'ößgesetzes V nach den Bestimmungen
^ritr ^E'vMn der Verfassung eine Zwet-
lmehrheit n-ötiA mit der Maßgabe, daß
Krisen ohne Ende.
erstens von der Gesamtheit der Reichstagsabgeovd-
neten zwei Drittel bet der Abstimmung anwesend
sein und daß zweitens Von der Zahl der Anwesen-
den zwei Drittel dafür stimmen müssen. Die An-
nahme der Regierungsvorlage wäre demnach ohne
weiteres gesichert, wenn die große Koalition auf die
sie sich stützt, geschlossen dafür stimmte. Das aber ist
nicht der Fall: der rechte Flügel der
Volkspart et und der (zahlenmäßig erheblich
größere) linke Flügel der Sozialdemo-
kratie wollen sich der Abstimmung fern-
halten. Und daraus ergibt sich nun die von der
deutschnationalen Opposition ausgenutzte höchst
paradoxe Lage, daß eine Stimmenthaltung
das Ermächtigungsgesetz und damit die Existenz
dieses Reichstags unter Uniständen noch mehr ge-
fährdet als eine direkte Stimmabgabe ge-
gen das Gesetz!
Da die Regierung zur Bewältigung der Schwie-
rigkeiten des Reiches das Ermächtigungsgesetz un-
bedingt Mr nötig hält, schreckt sie auch vor einer
R e i chs t ag s au fl S su ng nicht zurück. In
einer Besprechung niit -den Parteiführern teilte
Reichskanzler Stresemann mit, daß der Reichs-
präsident ihm bereits die Ermächtigung gegeben
hat, den Reichstag gegebenenfalls auszulösen.
Das Reichskabinett hat sich in den heuti-
gen Spätnachmittagsstmuden in eingehender Be-
ratung Mt der Situation beschäftigt. Es steht fest,
daß an der Ernsthaftigkeit des Entschlusses des
Reichskanzlers und der mit ihm verantwortlichen
Stelle des Reiches, den Reichstag auszulösen, falls
das Ermächtigungsgesetz zu Fall gebracht werden
sollte, nicht gezweifelt werden darf
Vermutliche Annahme des
Ermächtigungsgesetzes.
Frankfurt a. M, 12. Okt. Die „Franks.
Ztg." meldet:
Nach der Auffassung, die in den Kreisen der
Koalilionsparteien herrscht, darf man es Wohl für
sicher halten, daß am Samstag mittag die Ver-
abschiedung des Ermächtigungsgesetzes gelingt, so
daß also das Damoklesschwert der Auflösung nicht
ni ed er z u falle n braucht. Da es der Regie-
rung und der verfassungsgsmäß, für die Parla-
mentsauflösung entscheidend in Betracht kommen-
den Stelle mit dem Entschluß, gegebenenfalls den
Re'chstag nach Hause zu schicken und Neuwahlen
auszuschreiben, wirklich ernst war, ist nach
den Worten des Reichskanzlers am Schlüsse der
heutigen Sitzung nicht zu bezweifeln. Die
Regierung hätte es darauf an komm en lassen, in der
Zwischenzeit bis zur Wahl eines neuen Reichs-
tages auch ohne das Ermächtigungsgesetz, gestützt
auf die Basis des Artikels 18 der Verfassung, das
Reich zu regieren.
Die soziasid e mo krai-i sche Reichs-
tags fraktion hat heute im Anschluß an di«
Verhandlungen des Plenums die parlamentarische
Lage ausführlich erörtert. Im Verlauf der mehr-
stündigen Beratungen, in denen die Stellung der
Fraktion zu dem Ermächtigungsgesetz nochmals ge-
klärt wurde, wurde der opponierenden Minderheit
innerhalb der Fraktion Gelegenheit gegeben/, im
engeren Kreise sich endgült'g über ihre Haltung
schlüssig zu werden. Wir glauben mmehmen zu
dürfen, daß sich nach diesen Beratungen der sozial-
demokratischen Retchstazsfraktton — die sich auch
heute für die Aufrechterhaltung des Fraktionszwan-
ges entschied — weitere Schwierigkeiten für die
Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am kom-
mentdsn Samstag Wohl kaum ergeben wer-
den.
Reichstag.
Berlin, 11. Oktober.
Dritte Lesung ves Ermächtigungs-
gesetzes.
Die weiblichen Abgeordneten beantragen stärkere
Berücksichtigung der Jugendpflege.
In der allgemeinen Aussprache fordert Abg.
Fröhlich (Komm.) erneut die Ablehnung des Er-
mächtigungsgesetzes. Der Reichstag sollte sich ein
Beispiel an Sachsen nehmen. Das Ermächtigungs-
gesetz soll nur der Industrteklique dienen.
Abg. Ledcbour (b. k. Fr.) beantragt nunmehr
i!ulel allgemeiner großer Unruhe, die Verhandlungen
sofort zu unterbrechen und den Reichskanzler,
der noch nicht im Saale sei, aufzufordsrn, sofort
zuerscheinen, und Stellung zu nehmen zu den
schweren Anklagen des Abg. Frölich.
Präsident Locve teilt mit, daß der Reichskanzler
sich bereits tm Hause befunden habe, er sei
aber durch die Feststellung der Sahl der im
Hause befindlichen Abgeordneten um» durch das
v erm u t licheErgebnisderAbstimmung
über das Ermächtigungsgesetz ver-
anlaßt worden, sich zum Reichspräsidenten
zu begeben. (Levh. Hört, hört! und große Bewegung.)
Er werde aber sogleich wieder im Reichstag er-
scheinen und dann auch an den Verhandlungen tetl-
nchme«.
Für den Antrag auf Silierung des Reichskanz-
lers, der nach der Geschäftsordnung Von 30 Mitglie-
dern unterstützt werden mutz, erheben sich die Kom-
munisten und unter lebhaften Pfuirufen auch
eine Anzahl Deutschnationaler. Da
während der Abstimmung immer neu« Abgeordnete
den Saal betreten, von denen nicht zu erkennen ist,
ob sie für oder gegen den Antrag sind, wiederholt der
Präsident unter großem Lärm der äußersten Linken
die Abstimmung und es erheben sich nur die
Kommunisten sür den Antrag Ledebour, der
damit abgelehnt ist.
Abg. Hensting (deutschvölkisch) lehnt das Er-
mächtigungsgesetz ab. Wenn wir zur Macht kommen,
werden wir das Amnestiegesetz wusheben und di«
Landesverräter vom November 1918 zur Rechen-
schaft ziehen.
Inzwischen ist Reichskanzler Strese-
mann erschienen.
Es läuft ein Antrag der Regierungsparteien zur
namentlichen Abstimmung über das Er-
mächtigungsgesetz ein.
Abg. Ledebour lehnt das Ermächtigungs-
gesetz ab. Die Drohung des Vorredners mit der
Bestrafung der Revolutionäre von 1918 für den Fall
einer deutschvölkischcn Diktatur sollte auch den So-
zialdemokraten Anlaß geben, ihre Stellung zu revi-
dieren.
Abg. v. Graefe (Deutschvölkisch) nimmt die
Aeutzerungen Frölichs und Ledebours Wer Lu-
dendorff zum Anlaß einer Verteidigung des Ge-
nerals.
Abg Leicht (Bahn Vp.) betont in einer kurzen
Erklärung, daß feine Fraktion nach wie vor zum Er-
mächtigungsgesetz in Opposition stshe, daß sie
aber nicht Obstruktion treiben wolle.
Abg. Dr. Breitscheid (Soz.):
Ich bin der letzte, der dem Abgeordneten Lede-
bour die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit seiner Ge-
sinnung, die Ehrlichkeit seines sozialistischen und pro-
letarischen Denkens abstreitet. Aber ich möchte wün-
schen, daß er sich auch dazu durchringen möchte, an-
zuerkenuen, daß diejenigen, die jetzt dem Ermächti-
gungsgesetz zustimmmen, diesen Weg in der Ueber-
zeuguug gehen, daß er im Interesse des Volkes und
der Arbeiterschaft liegt. Meinungsverschiedenheiten
bestehen zwischen uns, aber in dem Willen, proleta-
risch-demokratische Politik zu treiben, sind wir uns
durchaus einig. Die äußerste Not des deutschen Vol-
kes und seine arbeitenden Klassen haben den Ent-
schluß gezeitigt, die Regierung mit unseren Vollmach-
ten zu betrauen, damit sie schneller, als es auf
dem Wege über das Parlament möglich wäre, unse-
ren Notstand beheben und der Verwirrung der Wirt-
schaft steuern kann. Wir gehen diesen Weg in dem
volleit Bewußtsein unserer Verantwortung gegen-
über dem Volk und der Arbeiterschaft. Unsere Zu-
stimmung geben wir, nachdem festgestellt ist, daß die
geforderten Vollmachten nur der gegenwärtigen Re-
gierung erteilt werden, in der die Sozialdemokratie
vertreten ist, und daß die Regelung der Arbeitszeit
auf dem Wege der normalen Gesetzgebung erfolgen
scll.
Wir sind bereit, der gegenwärtigen Regierung
außerordentliche Vollmachten zu bewilligen, weil nur
dadurch einer illegalen Diktatur vorgebeugt wird.
Unlösbare Konflikte, Retchszerreitzung und schwere
Schädigungen der arbeitenden Massen würden die
Folgen einer solchen Diktatur sein.
Alle sozialistischen und demokratischen Kräfte
müssen zetzt aufgerufen werden gegen die drohende
Reaktion, gegen die Anarchie und Hungersnot, für
die Republik und die Retchseincheit. (Lebh. Beifall.)
Ei« Schlutzantrag wird angenommen.
In der Einzelberatung begründet Abg.
Wulle (D. Völk.) einen von seiner Partei gemein-
sam mit den Deutschnationalen gestellten Antrag, in
8 1 den Satz zu streichen: „Dabei kann von den
Grundrechten der Rctchsverfasfung abgrwicheu wer-
den."
Der Antrag wird mit 292 gegen 79 Stimmen der
Deutschnationalen und der Kommunisten abge-
lehnt.
Damit ist festgestellt, daß von den 459 Abgeord-
neten zur Zeit 371 anwesend sind.
In der Abstimmung wird weiter der kommuni-
stische Antrag zu 81, das Gesetz lediglich auf
finanzpolitische Maßnahmen zu beschränken,
aber alle sozialpolittschen Maßnahmen, herauszu-
lassen, gegen die Stimmen der Antragsteller abge-
lehnt.
8 1 Wird mit 253 geigen 97 Stimmen bet einer
Enthaltung angenommen. Dagegen- stimmen
die Deutschnationalen, die Deutschvölkische Freiheits-
partei, die Bayerische Volkspartet, die Kommunisten
und der Abg- Geißler bet keiner Fraktion. Ein Teil
der Sozialdemokraten beteiligt sich nicht an der Ab-
stimmung, so daß 20 Stimmen weniger abgegeben
werden als bei der ersten namentlichen Abstimmung.
In 8 2 lehnt das Haus einen deuischnationalen
Antrag ab, der Beschränkungen des Ermächtigungs-
gesetzes auf die gegenwärtige Regierung beseitigen
Will. Ebenso werden di« weiteren deutschnationalen
Anträge ab gelehnt.
Bor der Gesamtabstimmung
erklärt Abg. S ch u l tz - Bromberg (D.N.): Wir wer-
den es der Koalition nicht erleichtern und deshalb
an der Abstimmung nicht teilnehmen. (Die Deutsch-
nationalen verlassen den Saal.)
Abg. Frölich (Komm.) behauptet, daß eist
großer Teil der Kü striu e rR eb el l e ninMü n -
chen sei. (Hört, hört! bei den Kommunisten.)
Abg. Ledebour (U.S.P.D.) erklärt, daß auch
er der Abstimmung fernbleiben werde.
Abg. Marx (S ): Ich komme dem Wunsche vie-
ler Mitglieder des Hauses nach, wenn ich den Antrag
stelle, die Verhandlungen nunmehr zu
vertagen. (Schaltendes Gelächter und lärmende
Zurufe bei den Kommunisten.)
Abg. v. Gräfe (Deutschvölkisch): Kläglicher hat
dies« Regierung sich noch nicht blamiert, als in die-
sem Augenblick. Noch vor wenigen Minuten hat der
Kanzler gewagt, mit der Androhung der Auflösung
des Hanfes zu bluffen. Nun fällt er wieder in die
erbärmliche Gewohnheit der Verhandlungen zurück.
(Stürmische Pfuirufe und Schlußrufe: Heraus!)
Präsident Löbe ersucht den Redner, sich parlamen-
tarisch auszudrücken. Abg. Gräfe wird durch Pfui-
rufe am Weitersprechen verhindert.
Präsident Löbe teilt mit, daß Abg. Schultz-
Bromverg ausführte, daß er es den Koalttlonspar-
tclen anheimstelle, die verfassungsmäßige Stimmen-
zahl zusammenzubringen. Dieser Versuch soll rum
am Samstag gemacht werden.
Reichskanzler Dr. Strescmann:
Abgeordneter v. Gräfe hat geglaubt, ich hätte mit
der Auflösung des Reichstags geblufft. Ich
habe in dieser Debatte als Reichskanzler bisher nicht
gesprochen, aber die Beschlüsse darüber, was die
Negierung tut, wenn das Ermächtigungsge-
setz aügclehnt wird, stehen für mich und di«
Stelle, die darüber zu entscheiden hat, fest. Wann
die Abstimmung sei» soll, ist nicht Sache des Reichs-
kanzlers, sondern der Parteien. (Lebh. Beifall.)
Auf Antrag dos Abg. Marx wird die Schluß-
abstimmung über das Ermächtigungsgesetz auf
Samstag 1 Uhr festgesetzt.
Internationale Lage.
Die Lügenpropaganda der
Schwerindustrie.
Bochum, 11. Okt. (Eig. Bericht.) Di« in den
Zeitungen veröffentlichten angeblichen Bedin-
gungen der französischen Besatzungsbchörde für
die Wiederaufnahme der Arbeit haben den Ge-
werkschaften des besetzten Gebietes Veranlaß
sung gegeben, den General Degoutte um «ine
Besprechung zu ersuchen. Dies« Besprechung
sand am Dienstag nachmittag mit einem Vertreter,
dem General Demoges, statt. Es wird uns darüber
berichtet, daß der französische General alle Ge-
rüchte über die Einführung der zehnstündigen Ar-
beitszeit und Akkordarbeit, Abschaffung des Be-
trtebsrätegesetzes, Aufnahme jeder z«gewiesenen
Arbeit, widrigenfalls Ausweisung erfolgt, mit der
allergrößten Entschiedenheit als falsch bezeichnete.
Keine französische Behörde und kein französischer Be-
amter, auch keine sonstige französische Stell« beschäf-
tige sich mit derartigen Plänen.
Den Gewerkschaftsvertretern wurde anheimgege-
ben, in jeder ihnen beliebigen Weise von dieser Er-
klärung Gebrauch zu machen. Die Franzosen wür-
den sich nicht darum kümmern, ob die deutschen
Arbeiter vier Stunden oder zwanzig Stunden ar-
beiten. Sir würden in die deutsche Nrbeitergesetz-
gebung keinen Eingriff vornehmen und lehn-
rcn es ab, mit deutschen Industriellen über diese
Frage überhaupt zu verhandeln. Alle diese Erklä-
rungen waren so bestimmt und eindeutig und wur-
den so ost wiederholt, daß bei den Gewerkschafts-
vertretern kein Zweifel an der Richtigkeit dieser Be-
hauptung aufkommen konnte. Alle gegenteiligen
Nachrichten müssen demnach als falsch angesprochen
werden.
Zur Arbeitsaufnahme an der Ruhr
Bochum, 11. Okt. (Eig. Bericht.) Die Verwal-
tung und der Betriebsrat der Zeche Reckling-
hausen I und II haben mit zwei Angehörigen der'
französischen Jngenieurkoinmisston über die Wie-
deraufnahme der Arbeit verhandelt. EL
wurde eine Einigung auf folgender Grundlage
erzielt: Die französische Besatzungsbehörde mischt stch
nicht in den Betrieb unter Tage ein, dessen Rege-
lung der Betriebsleitung obliegt. Dagegen behalten
sich dis Franzosen di« Oberleitung in den Tages-
Woche v. 8.-tt. 2kl. MI AM-MO.
Anzeigeolaris: Di- ->a!p Pettlzeil«
Ho. tzer. N>xum k>r ) A!k 60.-—,
«Auswärtig? Ml sü.-, RrName-
^Uzoi;/en (71 »«m drei!) Mk 260.—.
Hruudprcis mal der S<ylüflelzabl d.
d. Z., z. Zl. WV000 Ml. Ber Wie-
derholungen Nachlaß nach Tarif.
lkszeitung
GeschSftsstundenS—SNHr. Sprech-
stunden der Redaktion: 1k—12Uhr.
PosischeckkontoKarlsruhe Nr.22577.
Tel.-Adr.:BolkszeitungHeidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadische»
Verlagsanstalt D. m. b. H., Heidel«
berg. Geschäftsstelle: Echröderftr.M.
Tel.: Erpcdition2873u.Rcdak.LS7i.
rages-ZeltWg für -le MMStigk Möllerung -er Amtsbezirle Sei-el-eks, Wiesloch. Smrtzew. Kpviuges. Sdervach. Mos-ach. Buchen, NMeim, Norberg. rau-er-Wofr-elm a. Nert-el«
5. Jahrgang
Heidelberg, Freitag, den 12. Oktober 1923
Nr. 23^
gr. Heidelberg. 12. Oktober.
Von einer Krise rennt das deutsche Volk in die
andere. In furchtbarer Weise rächt sich die natio-
nalistische Einstellung großer Teile des deutschen
Volkes, die uns an Stelle des Erfüllungskabinetts
Wirch das „nationale Kabinett" Cuno mit all sei-
nen furchtbaren Folgeerscheinungen brachte. Was
das deutsche Volk heute an Schrecklichem durchkostet,
verdankt es neben der Ludendorssschen Kriegspolitik
der Ruhrabenteuerpolitik des Kabinetts der bürger-
licherseits so sehr gepriesenen „Fachmänner". Dies
inmier und immer wieder festzustellen, halten wir
für unerläßlich.
Leider hat man das Kabinett Cuno von der Ver-
antwortung für das von ihr geführte Ruhrabenteuer
enthoben und im August bei der Bildung des Kabi-
netts der Großen Koalition unterlassen, von vorn-
herein durch entscheidende Handlungen
die unter Cuno verloren gegangene Staatsautorität
rurückzugewinnen. Dieser Mangel an Aktivität
brachte es mit sich, daß unter den Parteien der Koa-
litionsträgor sich steigender Mißmut geltend machte,
ebenso wie Gegensätze, wie etwa »wischen Scholz
und Breitscheid, Regierungskrisen wie die lctzr-
ivSchige erklärlich machen.
Diese Gegensätze und Mängel treten am schärfsten
beim Ermächtigungsgesetz zutage. Wir persönlich
sind der Auffassung, daß auch ohne Ermächtigungs-
Hesetz eine starke republikanische Regie-
rung politisch und wirtschaftlich das hätte tun kön-
nten, was die Situation gebietet. Die Reichsregie-
rung ist jedoch der Auffassung, daß ein Ermächti-
gnngsgesetz notwendig ist, das ihr formalrechttiche
Möglichkeiten gibt, schnelle Entschlüsse zü fällen und
in die Tat umzusetzen. Nicht mit Unrecht scheu je-
doch weite Kreise in diesem Ermächtigungsgesetz
siarke Fußangeln für die Demokratie und die Arbei-
terschaft, während anderseits die rechts und links
stehenden Feinde der Republik Gegner jeder Maß-
nahme sind, die das Reich befestigen. So ist die Si-
tuation entstanden, daß das Ermächtigungsgesetz in
der gestrigen Reichstlagssitzung nicht zur Erledigung
gekommen ist und der Reichskanzler dey Parteifüh-
rern erklärte, daß der Reichstag aufgelöst würde,
wenn das Ermächtigungsgesetz nicht in der Sams-
tagssitzung zur Annahme kommt. Wir glauben an-
gesichts der großen Fertigkeit der Reichstagsparteien
'M Kulissenschieben, daß diese Gefahr der drohenden
Reichztagsauflösung, die wir mehr für eine Pression
gegen die opponierenden Mitglieder innerhalb der
Großen Koalition halten, nicht in Erscheinung tritt,
immerhin ist die Situation sehr ernst und erfordert
Vie volle Aufmerksamkeit der Volksmassen, ebenso
aber auch wie die Klarheit der sozialdemokratischen
Reichstagsfrakttou über die Erfordernisse derStunde.
Die Drohung mit der Reichstags-
auflösung
Berlin^ 11. Okt. Die Ungewißheit über das
Schicksal -des Ermächtigungsgesetzes, die
schon in den letzten Tagen einen Zustand latenter
Spannung erzeugt hat, hat heute zum Ausbruch
«Huer Krisis allerschwerster Art geführt.
Das Gesetz bedarf zu seiner Verabschiedung
^Uer Zweidrittelmehrheit, d. h. es inüs-
rwei Drittel der Abgeordneten bet der Absttm-
wüng anwesend sein, und von dieser Zahl
wissen wiederum zwei Drittel für das Gesetz stirn-
Das Letztere wäre Wohl verhältnismäßig
, cher, wenn es gelänge, die Zahl von rund 30Ü,
„ für die verMssungSmäßige Beschlußfähig-
? it Sei dieser Abstimmung notwendig ist, znsam-
'Uenzubekomluen.
Die Schwierigkeiten liegen darin, daß Deutschna-
"vale. Deutschvölkische, Kommunisten und Bayer.
, "Üsyarlei das Gesetz ablehnen und die OPPo-
i'vum innerhalb der> Sozialdemokratie und
E Zutschen Volkspartei sich der Abstimmung enthal-
ü wollen, sodaß unter Umstanden nicht die ge-
uyende Anwefenheitszifscr von 306 Abgeordneten
^sammenkommt.
r l i n, 11. Okt. Für die Annahme des Er-
Über AU'ößgesetzes V nach den Bestimmungen
^ritr ^E'vMn der Verfassung eine Zwet-
lmehrheit n-ötiA mit der Maßgabe, daß
Krisen ohne Ende.
erstens von der Gesamtheit der Reichstagsabgeovd-
neten zwei Drittel bet der Abstimmung anwesend
sein und daß zweitens Von der Zahl der Anwesen-
den zwei Drittel dafür stimmen müssen. Die An-
nahme der Regierungsvorlage wäre demnach ohne
weiteres gesichert, wenn die große Koalition auf die
sie sich stützt, geschlossen dafür stimmte. Das aber ist
nicht der Fall: der rechte Flügel der
Volkspart et und der (zahlenmäßig erheblich
größere) linke Flügel der Sozialdemo-
kratie wollen sich der Abstimmung fern-
halten. Und daraus ergibt sich nun die von der
deutschnationalen Opposition ausgenutzte höchst
paradoxe Lage, daß eine Stimmenthaltung
das Ermächtigungsgesetz und damit die Existenz
dieses Reichstags unter Uniständen noch mehr ge-
fährdet als eine direkte Stimmabgabe ge-
gen das Gesetz!
Da die Regierung zur Bewältigung der Schwie-
rigkeiten des Reiches das Ermächtigungsgesetz un-
bedingt Mr nötig hält, schreckt sie auch vor einer
R e i chs t ag s au fl S su ng nicht zurück. In
einer Besprechung niit -den Parteiführern teilte
Reichskanzler Stresemann mit, daß der Reichs-
präsident ihm bereits die Ermächtigung gegeben
hat, den Reichstag gegebenenfalls auszulösen.
Das Reichskabinett hat sich in den heuti-
gen Spätnachmittagsstmuden in eingehender Be-
ratung Mt der Situation beschäftigt. Es steht fest,
daß an der Ernsthaftigkeit des Entschlusses des
Reichskanzlers und der mit ihm verantwortlichen
Stelle des Reiches, den Reichstag auszulösen, falls
das Ermächtigungsgesetz zu Fall gebracht werden
sollte, nicht gezweifelt werden darf
Vermutliche Annahme des
Ermächtigungsgesetzes.
Frankfurt a. M, 12. Okt. Die „Franks.
Ztg." meldet:
Nach der Auffassung, die in den Kreisen der
Koalilionsparteien herrscht, darf man es Wohl für
sicher halten, daß am Samstag mittag die Ver-
abschiedung des Ermächtigungsgesetzes gelingt, so
daß also das Damoklesschwert der Auflösung nicht
ni ed er z u falle n braucht. Da es der Regie-
rung und der verfassungsgsmäß, für die Parla-
mentsauflösung entscheidend in Betracht kommen-
den Stelle mit dem Entschluß, gegebenenfalls den
Re'chstag nach Hause zu schicken und Neuwahlen
auszuschreiben, wirklich ernst war, ist nach
den Worten des Reichskanzlers am Schlüsse der
heutigen Sitzung nicht zu bezweifeln. Die
Regierung hätte es darauf an komm en lassen, in der
Zwischenzeit bis zur Wahl eines neuen Reichs-
tages auch ohne das Ermächtigungsgesetz, gestützt
auf die Basis des Artikels 18 der Verfassung, das
Reich zu regieren.
Die soziasid e mo krai-i sche Reichs-
tags fraktion hat heute im Anschluß an di«
Verhandlungen des Plenums die parlamentarische
Lage ausführlich erörtert. Im Verlauf der mehr-
stündigen Beratungen, in denen die Stellung der
Fraktion zu dem Ermächtigungsgesetz nochmals ge-
klärt wurde, wurde der opponierenden Minderheit
innerhalb der Fraktion Gelegenheit gegeben/, im
engeren Kreise sich endgült'g über ihre Haltung
schlüssig zu werden. Wir glauben mmehmen zu
dürfen, daß sich nach diesen Beratungen der sozial-
demokratischen Retchstazsfraktton — die sich auch
heute für die Aufrechterhaltung des Fraktionszwan-
ges entschied — weitere Schwierigkeiten für die
Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am kom-
mentdsn Samstag Wohl kaum ergeben wer-
den.
Reichstag.
Berlin, 11. Oktober.
Dritte Lesung ves Ermächtigungs-
gesetzes.
Die weiblichen Abgeordneten beantragen stärkere
Berücksichtigung der Jugendpflege.
In der allgemeinen Aussprache fordert Abg.
Fröhlich (Komm.) erneut die Ablehnung des Er-
mächtigungsgesetzes. Der Reichstag sollte sich ein
Beispiel an Sachsen nehmen. Das Ermächtigungs-
gesetz soll nur der Industrteklique dienen.
Abg. Ledcbour (b. k. Fr.) beantragt nunmehr
i!ulel allgemeiner großer Unruhe, die Verhandlungen
sofort zu unterbrechen und den Reichskanzler,
der noch nicht im Saale sei, aufzufordsrn, sofort
zuerscheinen, und Stellung zu nehmen zu den
schweren Anklagen des Abg. Frölich.
Präsident Locve teilt mit, daß der Reichskanzler
sich bereits tm Hause befunden habe, er sei
aber durch die Feststellung der Sahl der im
Hause befindlichen Abgeordneten um» durch das
v erm u t licheErgebnisderAbstimmung
über das Ermächtigungsgesetz ver-
anlaßt worden, sich zum Reichspräsidenten
zu begeben. (Levh. Hört, hört! und große Bewegung.)
Er werde aber sogleich wieder im Reichstag er-
scheinen und dann auch an den Verhandlungen tetl-
nchme«.
Für den Antrag auf Silierung des Reichskanz-
lers, der nach der Geschäftsordnung Von 30 Mitglie-
dern unterstützt werden mutz, erheben sich die Kom-
munisten und unter lebhaften Pfuirufen auch
eine Anzahl Deutschnationaler. Da
während der Abstimmung immer neu« Abgeordnete
den Saal betreten, von denen nicht zu erkennen ist,
ob sie für oder gegen den Antrag sind, wiederholt der
Präsident unter großem Lärm der äußersten Linken
die Abstimmung und es erheben sich nur die
Kommunisten sür den Antrag Ledebour, der
damit abgelehnt ist.
Abg. Hensting (deutschvölkisch) lehnt das Er-
mächtigungsgesetz ab. Wenn wir zur Macht kommen,
werden wir das Amnestiegesetz wusheben und di«
Landesverräter vom November 1918 zur Rechen-
schaft ziehen.
Inzwischen ist Reichskanzler Strese-
mann erschienen.
Es läuft ein Antrag der Regierungsparteien zur
namentlichen Abstimmung über das Er-
mächtigungsgesetz ein.
Abg. Ledebour lehnt das Ermächtigungs-
gesetz ab. Die Drohung des Vorredners mit der
Bestrafung der Revolutionäre von 1918 für den Fall
einer deutschvölkischcn Diktatur sollte auch den So-
zialdemokraten Anlaß geben, ihre Stellung zu revi-
dieren.
Abg. v. Graefe (Deutschvölkisch) nimmt die
Aeutzerungen Frölichs und Ledebours Wer Lu-
dendorff zum Anlaß einer Verteidigung des Ge-
nerals.
Abg Leicht (Bahn Vp.) betont in einer kurzen
Erklärung, daß feine Fraktion nach wie vor zum Er-
mächtigungsgesetz in Opposition stshe, daß sie
aber nicht Obstruktion treiben wolle.
Abg. Dr. Breitscheid (Soz.):
Ich bin der letzte, der dem Abgeordneten Lede-
bour die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit seiner Ge-
sinnung, die Ehrlichkeit seines sozialistischen und pro-
letarischen Denkens abstreitet. Aber ich möchte wün-
schen, daß er sich auch dazu durchringen möchte, an-
zuerkenuen, daß diejenigen, die jetzt dem Ermächti-
gungsgesetz zustimmmen, diesen Weg in der Ueber-
zeuguug gehen, daß er im Interesse des Volkes und
der Arbeiterschaft liegt. Meinungsverschiedenheiten
bestehen zwischen uns, aber in dem Willen, proleta-
risch-demokratische Politik zu treiben, sind wir uns
durchaus einig. Die äußerste Not des deutschen Vol-
kes und seine arbeitenden Klassen haben den Ent-
schluß gezeitigt, die Regierung mit unseren Vollmach-
ten zu betrauen, damit sie schneller, als es auf
dem Wege über das Parlament möglich wäre, unse-
ren Notstand beheben und der Verwirrung der Wirt-
schaft steuern kann. Wir gehen diesen Weg in dem
volleit Bewußtsein unserer Verantwortung gegen-
über dem Volk und der Arbeiterschaft. Unsere Zu-
stimmung geben wir, nachdem festgestellt ist, daß die
geforderten Vollmachten nur der gegenwärtigen Re-
gierung erteilt werden, in der die Sozialdemokratie
vertreten ist, und daß die Regelung der Arbeitszeit
auf dem Wege der normalen Gesetzgebung erfolgen
scll.
Wir sind bereit, der gegenwärtigen Regierung
außerordentliche Vollmachten zu bewilligen, weil nur
dadurch einer illegalen Diktatur vorgebeugt wird.
Unlösbare Konflikte, Retchszerreitzung und schwere
Schädigungen der arbeitenden Massen würden die
Folgen einer solchen Diktatur sein.
Alle sozialistischen und demokratischen Kräfte
müssen zetzt aufgerufen werden gegen die drohende
Reaktion, gegen die Anarchie und Hungersnot, für
die Republik und die Retchseincheit. (Lebh. Beifall.)
Ei« Schlutzantrag wird angenommen.
In der Einzelberatung begründet Abg.
Wulle (D. Völk.) einen von seiner Partei gemein-
sam mit den Deutschnationalen gestellten Antrag, in
8 1 den Satz zu streichen: „Dabei kann von den
Grundrechten der Rctchsverfasfung abgrwicheu wer-
den."
Der Antrag wird mit 292 gegen 79 Stimmen der
Deutschnationalen und der Kommunisten abge-
lehnt.
Damit ist festgestellt, daß von den 459 Abgeord-
neten zur Zeit 371 anwesend sind.
In der Abstimmung wird weiter der kommuni-
stische Antrag zu 81, das Gesetz lediglich auf
finanzpolitische Maßnahmen zu beschränken,
aber alle sozialpolittschen Maßnahmen, herauszu-
lassen, gegen die Stimmen der Antragsteller abge-
lehnt.
8 1 Wird mit 253 geigen 97 Stimmen bet einer
Enthaltung angenommen. Dagegen- stimmen
die Deutschnationalen, die Deutschvölkische Freiheits-
partei, die Bayerische Volkspartet, die Kommunisten
und der Abg- Geißler bet keiner Fraktion. Ein Teil
der Sozialdemokraten beteiligt sich nicht an der Ab-
stimmung, so daß 20 Stimmen weniger abgegeben
werden als bei der ersten namentlichen Abstimmung.
In 8 2 lehnt das Haus einen deuischnationalen
Antrag ab, der Beschränkungen des Ermächtigungs-
gesetzes auf die gegenwärtige Regierung beseitigen
Will. Ebenso werden di« weiteren deutschnationalen
Anträge ab gelehnt.
Bor der Gesamtabstimmung
erklärt Abg. S ch u l tz - Bromberg (D.N.): Wir wer-
den es der Koalition nicht erleichtern und deshalb
an der Abstimmung nicht teilnehmen. (Die Deutsch-
nationalen verlassen den Saal.)
Abg. Frölich (Komm.) behauptet, daß eist
großer Teil der Kü striu e rR eb el l e ninMü n -
chen sei. (Hört, hört! bei den Kommunisten.)
Abg. Ledebour (U.S.P.D.) erklärt, daß auch
er der Abstimmung fernbleiben werde.
Abg. Marx (S ): Ich komme dem Wunsche vie-
ler Mitglieder des Hauses nach, wenn ich den Antrag
stelle, die Verhandlungen nunmehr zu
vertagen. (Schaltendes Gelächter und lärmende
Zurufe bei den Kommunisten.)
Abg. v. Gräfe (Deutschvölkisch): Kläglicher hat
dies« Regierung sich noch nicht blamiert, als in die-
sem Augenblick. Noch vor wenigen Minuten hat der
Kanzler gewagt, mit der Androhung der Auflösung
des Hanfes zu bluffen. Nun fällt er wieder in die
erbärmliche Gewohnheit der Verhandlungen zurück.
(Stürmische Pfuirufe und Schlußrufe: Heraus!)
Präsident Löbe ersucht den Redner, sich parlamen-
tarisch auszudrücken. Abg. Gräfe wird durch Pfui-
rufe am Weitersprechen verhindert.
Präsident Löbe teilt mit, daß Abg. Schultz-
Bromverg ausführte, daß er es den Koalttlonspar-
tclen anheimstelle, die verfassungsmäßige Stimmen-
zahl zusammenzubringen. Dieser Versuch soll rum
am Samstag gemacht werden.
Reichskanzler Dr. Strescmann:
Abgeordneter v. Gräfe hat geglaubt, ich hätte mit
der Auflösung des Reichstags geblufft. Ich
habe in dieser Debatte als Reichskanzler bisher nicht
gesprochen, aber die Beschlüsse darüber, was die
Negierung tut, wenn das Ermächtigungsge-
setz aügclehnt wird, stehen für mich und di«
Stelle, die darüber zu entscheiden hat, fest. Wann
die Abstimmung sei» soll, ist nicht Sache des Reichs-
kanzlers, sondern der Parteien. (Lebh. Beifall.)
Auf Antrag dos Abg. Marx wird die Schluß-
abstimmung über das Ermächtigungsgesetz auf
Samstag 1 Uhr festgesetzt.
Internationale Lage.
Die Lügenpropaganda der
Schwerindustrie.
Bochum, 11. Okt. (Eig. Bericht.) Di« in den
Zeitungen veröffentlichten angeblichen Bedin-
gungen der französischen Besatzungsbchörde für
die Wiederaufnahme der Arbeit haben den Ge-
werkschaften des besetzten Gebietes Veranlaß
sung gegeben, den General Degoutte um «ine
Besprechung zu ersuchen. Dies« Besprechung
sand am Dienstag nachmittag mit einem Vertreter,
dem General Demoges, statt. Es wird uns darüber
berichtet, daß der französische General alle Ge-
rüchte über die Einführung der zehnstündigen Ar-
beitszeit und Akkordarbeit, Abschaffung des Be-
trtebsrätegesetzes, Aufnahme jeder z«gewiesenen
Arbeit, widrigenfalls Ausweisung erfolgt, mit der
allergrößten Entschiedenheit als falsch bezeichnete.
Keine französische Behörde und kein französischer Be-
amter, auch keine sonstige französische Stell« beschäf-
tige sich mit derartigen Plänen.
Den Gewerkschaftsvertretern wurde anheimgege-
ben, in jeder ihnen beliebigen Weise von dieser Er-
klärung Gebrauch zu machen. Die Franzosen wür-
den sich nicht darum kümmern, ob die deutschen
Arbeiter vier Stunden oder zwanzig Stunden ar-
beiten. Sir würden in die deutsche Nrbeitergesetz-
gebung keinen Eingriff vornehmen und lehn-
rcn es ab, mit deutschen Industriellen über diese
Frage überhaupt zu verhandeln. Alle diese Erklä-
rungen waren so bestimmt und eindeutig und wur-
den so ost wiederholt, daß bei den Gewerkschafts-
vertretern kein Zweifel an der Richtigkeit dieser Be-
hauptung aufkommen konnte. Alle gegenteiligen
Nachrichten müssen demnach als falsch angesprochen
werden.
Zur Arbeitsaufnahme an der Ruhr
Bochum, 11. Okt. (Eig. Bericht.) Die Verwal-
tung und der Betriebsrat der Zeche Reckling-
hausen I und II haben mit zwei Angehörigen der'
französischen Jngenieurkoinmisston über die Wie-
deraufnahme der Arbeit verhandelt. EL
wurde eine Einigung auf folgender Grundlage
erzielt: Die französische Besatzungsbehörde mischt stch
nicht in den Betrieb unter Tage ein, dessen Rege-
lung der Betriebsleitung obliegt. Dagegen behalten
sich dis Franzosen di« Oberleitung in den Tages-