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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 241 - Nr. 250 (17. Oktober - 27. Oktober)
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5. Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 2V. Oktober 1923


Nr. 244

Stinnes oder Reich?

Sowohl für das Reich wie für die
Arbeiterschaft wird die Macht
der Schwerindustrie, vor allem reprä-
sentiert durch Hugo Stinnes. von
Tag zu Tag gefährlicher, und zwar um-
somehr, als die aus Grund des Er-
mächtigungsgesetzes bis heute
beschlossenen V er o r d nun g e n e in-
seitig die Arbeiterschaft
treffen, ohne daß bisher darauge-
gaugen wurde, vom grotzenBesitz,
unter dem Stinnes an erster
Stelle im Reich steht, arlch nur halb-
Wegs ähnliche Opfer zu fordern. Wir
geben daher nachfolgenden Aussatz von
Georg Ber n Hard in der „Voss.
Ztg." als Mahnung an Volk
und Reich zur besonderen Beachtung
' wieder:
Es gibt in Deutschland einen armen, mit Hatz
verfolgten, mit Wut geschmähten, unschuldig verur-
teilten, schutzlos preisgegebenen Mann. Wenn man
Von seinem Schicksal hört, rinnen einem dicke Tränen
über das Gesicht. Der Wunsch, ihm rettend beizu-
gehen, wird unbezähmbar. Das ist — man höre
und stanne! — Hugo Stinnes. Von diesem
neuen Dulder singt als Homeride Paul Lensch,
der Chefredakteur des Berliner Stinnes-Blattes.
Die „Vossische Zeitung" hat lange die teilweise
höchst persönlich gefärbten Angriffe zurllckgewiefen,
die gegen Stinnes erhoben wurden. Sie hat im
Gegenteil die grossen geschäftlichen Fähig-
keiten dieses Mannes anerkannt und nutzer in der
vb seit wen Kritik des Handelsteils gar keine Ver-
anlassung gehabt, sich mit dem Geschäftsmann
Stinnes zu befassen. Erst als immer klarer wurde,
datz die verhängnisvollen Einmtschun-
Sen von Hugo Stinnes in die deutsche Reichspolitik
ein System darsielle-n, und datz die Erfolge dieses
Systems dazu führten, weitgehende geschäftliche Jn-
. ieressen mit der Reichspolitik in verhängnisvoller
Weise zu berg nicken, war es Publizistische Pflicht,
- diesen Vorgängen gesteigerte Beachtung zu schenken.
Das; Hugo Stinnes einer der grössten Nutz-
aixtzer der Inflation ist, datz die Milliarden
u nd ASermWarden, die dem immer tiefer ruinierten
deutschen Mittelstand durch die Entwertung des
Geldes und der Renten entzogen wurden, in sehr
erheblichem Matze in die Stinnesschen Ta-
schen geflossen sind, das ist es nicht, was die Be-
deutung seines Falles ausmacht. Aber Hugo Stin-
Ues ist ein mächtiger politischer Faktor
"k der Partei des Reichskanzlers. Er bemüht sich,
Kanzler zu stürzen und Kanzler einzusetzen. Er be-
nutzt seine internationalen Verbindungen,
Uni grosse Politik im Auslande zu machen. Er ge-
bietet in einer Reihe wirtschaftlicher Ver-
bände, er Wird in den verschiedensten Gremien
als Sachverständige »gehört. Und diese Viel-
heit von Macht, die gebietet Interesse. Und sie er-
heischt, zu untersuchen, wie dieser Mann diese
Macht und wofür er sie einsetzt.

Hugo Stinnes hat in der deutschen -aus-
'därtigen Politik die verhängnisvollste Rolle
öespielt seit dem Tage, da er in Spa durch sein
Auftreten die Chancen jeder deutsche,« Verhandlung
ein für allemal verdarb. In Spa bereits hat er
Erklärt: „Mögen die Franzosen doch das Ruhrgebiet
besetzen." Hugo Stinnes hat auch später ganz we-
icutlich die Rosenvergsche Politik des Einrücke n-
iäffens unterstützt. Er, der selbst einmal affen
wgegeben hat, datz die Einigung zwischen ihm und
Gewissen französischen Kontrahenten lediglich eine
"D uotensrage" bedeute, hat jeden Versuch der
Einigung deutscher Regierungen mit den Franzosen
untertrieben, sobald sie seine Kreise störte. Er hat
ävcr vor allem gegen jede Regierung in-
ki giert und intrigieren lassen, von
.Er er befürchten muhte, daß sie eine Ordnung
Er inneren Verhältnisse in Deutschland hsrbeifüh-
würde. Er hat Rath enau wegen des Wies-
badener Abkommens angegriffen. Er hat das
reditan gebot der deutschen Industrie, dessen
formen unter Mitwirkung industrieller Vertreter im
- eichsmirtschaftsrat vereinbart waren, mit >en Wor-
n charakterisiert: „Den Kredit der deutschen Jndu-
le Ha-Mn die augeboten, die keinen haben." Und
dt»s - dann dafür gesorgt, datz an die Erfüllung
du Kreditam-gebots Bedingungen gestellt wurden,
Regierung un akzeptabel waren.
Mer Stinnes hat dauernd vondenArveitern
Sie? * Arbeit und von den Ministern energische
Sie>, N"atznahmen verlangt. Aber er hat nie di«
für richtig befunden, die die jeweilige Re-
t>g gerade vor sch lug.
den^^o Stinnes Hat nach der Revolution ganz offen
N e i Endpunkt vertreten, datz die Gefahr eines
eimi" «Zerfalls sehr grotz sei, und datz das
K«n , eibende dann in diesem Chaos die gro-
setn ,,,,,ttdüstriellen Unternehmungen
der Zeit, da er die Arbeiter
8 e m»vertrat er den Gedanken der Arbeits -
die um hinter dieser Kulisse
beherrschen, ebenso wie ihm der
ribrband der deutschen Jndu-
die jn ^""lse ist, hinter der er die Drähte zieht,
"nd die ^"teresse die Schwerindustrie
iätzen ai-a-4? anderen wirtschaftlichen Grnnd-
tende Fertigindustrie zusammen-

zwängt. Ueberall hin spinnt er seine Fäden
Durch die Milliardenkredite, die in der In-
flation immer wieder dahinfchmolzen, kaufte er
Industrie Werk aus Jndustriewer-k aus
allen möglichen Branchen, eignete sich Banken an,
finanzierte Reedereien, erwarb Ausländsbeteiligun-
gen und türmte Handelsunternehnmngen aufeinan-
der. Und all das fügt er in das System seiner Po-
litik ein, einer Politik, die aus Erhaltung von
Inflation und Unordnung hiNKtels.
Die ihm ergebene Presse versucht jetzt die Ver-
handlungen, die Stinnes mit dem General De-
goutte geführt hat, zu entstellen. Aber diesen
Verhandlungen vorher ging der Versuch, das Kabi-
nett Stre s e mann z u stürze n. Dieses Kabi-
nett wär gegründet auf eine so breite Koalition wie
keins zuvor. Es versprach Ruhe und Sanierung.
Es schien die Möglichkeit zu haben, endlich einmal
etwsis Kraftvolles zu tun. Da ging von den Kon-
spiration e n des volksparieMchen Abgeordneten
Hugo Stinnes mit den Deutschnationalen
die Unruhe aus, die mit der Kabinettskrisis endete.
Und die Unsicherheit dieser Krisenzeit benutzte Hugo
Stinnes zu Verhandlungen mit dem Ge-
neral Degoutte, in denen er, wie jetzt zuge-
standen wird, mit dem Vertreter der fremdländischen
Eroberer über die Ubänderungsmöglichkeit der Ar-
beitzeit deutscher Arbeiter und über die
Möglichkeit sprach, Teile deutscher Bahnen nach sei-
nem eigenen schon früher propagierten Liebltugsplan
dem Reiche zu entziehen und unter Beteiligung der
Industrie gerusinsam mit den Franzosen als Sepa-
ratgebttde zu verwalten.
Aber Hugo Stinnes bleibt ein Patriot. Und
diejenigen, die dieses Verhalten mißbilligen, wer-
den von ihm ergebenen Journalisten als „Lan-
desverräter" bezeichnet! Auch das gehört zum
System Stinnes. Die ihm gehörige „Deutsch«
A l l g emeineZeitun g" und der von den Stiu-
nesschen Unternehmungen mitunter stützte Hugen-
b e r g - K o n z e r n, der in Bayern gegen Kanzler
und Reich in der wüstesten Weis« hetzt, haben seit
Jahren jeden, der für die V erständ igung der
Völker uneigennützig sich bemühte, mit Schmutz
beworfen und verleumdet. Für st« gatt
nur dann die Verständigung mit Frankreich er-
laubt, wenn sie Stinnes betrieb, und wenn er.
wie jetzt in den Verhandlungen mit General De-
goutte, auch die Interessen seiner besonderen Pläne
dabei gewahrt glaubt.
Im Ausland freilich lässt man sich über diese
Dinge nicht täuschen. Die „Daily News", das
große liberale Blatt Englands, eines der anständig-

sten Organe dec englischen Publizistik, hatten vor
einigen Tagen geschrieben, Hugo Stinnes sei einer
der wenigen Männer, die in Deutschland eine auf-
bauende Finanzpolitik machen könnten, „er habe
aber sein Vaterland um 30 Silberlinge an die Fran-
zosen verkauft". Wir wollen ttns dieses Urteil gar
nicht zu eigen machen. Wir hätten cs auch verstan-
den, wenn sein Berliner Organ dieses Urteil seinen
Lesern nicht mitgeteilt hätte. Aber ungeheuerlich ist
es, datz das Blatt — wie es jetzt zugibt — die
Meldung fälschte, indem es den Schlußsatz weg -
strich und so aus einer vernichtenden Kritik von
beleidigender Schürfe eine Huldigungsadrcssc
machte.
Die Presse täuscht heut« das deutsche Volk
genau in der gleichen Weise Wer die Geltung von
Stinnes im Ausland, wie es einst die gouvcrncmen-
tale Presse der Kaiserzett hinsichtlich Wilhelms
II. getan hat. Ohne dies« Täuschung würde das deut-
sche Volk schon längst erkannt haben, datz im Aus-
lande Hugo Stinnes heute genau dieselbe unheil-
volle Rolle für Deutschland spielt wie einst Wil-
helm II. Wohl ist die Auslandspresse voll von ihm.
Und es soll der Anschein erweckt werden, als sei
dieses Interesse ein Aktivposten. Jn Wirklichkeit
schadet dem deutschen Volk nichts mähr als der Ein-
druck, datz es in Deutschland nur eine reale Macht
gäbe: die des Herrn Stinnes. Und seine Presse-
trabanten, die dazu beigetragen haben, diesen
Anschein zu erwecken, sind vor allem daran schult,
wenn man diesen allmächtigen Mann für fähig hält,
di« Reparattonsfrage sozusagen aus seiner Tasche
regeln zu können. Die nach autzen so stark b-rvor-
ttetende Geldmacht dieses einen Deutschen, des-
sen Auslandskäufe viel dazu beigetragcn haben,
Deutschland als zahlungsfähig, aber zah-
lungs unw t ll i g erscheinen zu lassen, verwischt
den ganzen Eindruck, den die Schilderung der deut-
schen Not« je gemacht hat und machen kann. Des-
halb wird auch keine deutsche Regierung dem Aus-
land gegenüber di« deutsche Politik mit nachhalti-
gem Erfolg vertreten können, so lange nicht zutage
tritt, datz der Mann, der in den Augen oer Welt
Deutschlands Reichtum repräsentiert, zu den allge-
meinen Lasten in dem vollen Matz seiner Leistungs-
fähigkeit herangezogen wird. Das ist die entschei-
dende Probe, lind deshalb sicht sich eine ver-
antwortungsvewutzte Presse gezwungen, sich mit
Herrn Stinnes, der sie als Privatperson nicht im
mindesten interessiert, immer wieder auseinander-
zusetzen. Sonst wird das deutsche Volk abermals die
Zeche bezahlen müssen. Für Kaiser und Reich, hi-etz
es einst. Heut« heitzt es: Stinnes oder Reich.

Bayerns Rolle in den französischen
Plänen.
Stuttgart, IS. Okt. (Eig. Ber.) Das
„Stuttgarts N«ue Tageblatt" veröffentlicht von
einem Kölner Gewährsmann Informationen
eines französischen Kreisdelegierten, des Obersten
S. über die französischen Separationspläne in
Deutschland. Es ist da die Rede von der Schaf-
fung der Rh ein grenze, Prvkiaination eines
bayerischen Königtums mit Aufrichtung der
Mainlinie, damit Auflösung des Datschen
Reiches und Aufrichtung eines Rhein Donnustaates
unter fransöstschcm Protektorat, also lauter Pläne,
die nicht neu sind. Bemerkenswert ist dabei nur,
wie die Franzosen den bayerischen Faktor in ihre
Rechnung einstellen. Darüber heitzt es -in dieser
Jnsormativn: „Als im März 1920 der Kapp-
putsch in München Mang, in Berlin -aber miß-
lang, bekamen wir die Möglichkeit, das Wachstum
eines schwarz-weiß-roten bayerischen Chauvinis-
mus zu beobachten. Es genügte, daß wir ihm Ruhe
ließen zum Entfalten als Asyl aller deutschen Pa-
trioten von Lud en d o rff bis Heim. Deutt
auch dieser ist ein deutscher Patriot und glaubt so-
gar, uns zu überlisten. Nur mußten Wit
gleichzeitig ans die Reichsleitung von Wirth bis
Stresemann einen so schwer verschärften Druck
ausüben, daß das relativ geschont« Bayern allmäh-
lich sich in die Vorstellung hineinsteigerte, von bes-
serer, kräftigerer Art als das übrige Reich zu sein.
Der alte bayerische Parttkularismus war tot, es
lebte de« neu e. -Es ist für uns ohne Gefahr, datz
dieser wiedergeborene Partikularismus ohne Zwei-
fel chauvinistisch und der „König" Rupprecht
noch immer der deutsche Armeeführer ist, det
keinen Pardon geben will. Es genügt, datz
diese Bayern von ihrer Vorzüglichkeit und Bedeu-
tung gegenüber dem Junkertum, dem Protestantis-
mus, dem Judentum, dem Sozialismus, Kaiechisia-
nismus und vor allem dem Prussianismus des Nor-
dens durchgedrung-en sind. Es genügt, daß sie ist
diesem Selbstgefühl eine Lage schaffen, di« ge-
gen ihren eigenen Wunsch vielleicht die Separa-
tion vom Norden möglich macht. Das weitere
werden wir dann leicht besorgen. Es ist über-
flüssig, jetzt mehr zu tun, als durch unsere voll-
kommene Passivität das Emporkommest
phantastischer Einbildungen zu mehren. Die Bay-
ern werden uns trotz einiger Bedenken schlietzlick
dankbar sein, nachdem sie sich an die ungeahntes
Möglichkeiten der von preußischer Beherrschung b-e
freite autonomen Rhein-Donau-Födera
tion gewöhnt haben. Bayern wird als Kanas-
st aal das Herz eines Europa bilden, das keine»
Pangermanismus kennt und es wird Herrn Lu
dendorfs Don Quichotte einladen, setm
Villa anderswo als in München zn bauen. DM
Verkehrtest« wäre, den bayerischen Separatisten
irgendwelche direkten Ermutigungen zuteil werde»
zu lassen. Dadurch würden diese unübertreffliche
Separatisten ja erst merken, daß sie Separatisten
sind und vor sich selbst erschrecken. Man mutz das m-
bcwutzt wirken lassen.",
'4-

Der Konflikt mit Sachsen.
Berltn, 19. Okt. Der den« General v. MüM
beigegeben« Regierungskommissar, der fozial-deul
Abgeordnete Mei er-Zwickau ist gestern macj
Berlin gekommen, und man wird Wohl zusaist
men mit ihm versuchen, einen Weg zufindest
der weitere Verschärfungen ausschlietzt. Wir hörest
datz der Reichspräsident von der Forst
des Briefes an Dr. Zcign-er keine Kenn tuii
gehabt und datz seine Zustimmung lediglich der Auf
sorderung an die sächsische Regierung gegolten hab«
sich über die Rede des Ministers Böttcher in Leipzii
deutlich zu äutzerne Die scharfe Tonart ist i-»
den Konflikt also erst durch die militärische»
Stellen hinLingetragckn worden, wobei unentschi-cde»
bleibt, ob sie auf das Konto des Generals
Müller oder das des Reichsw chrurinisters Dl
Gehler fällt. Die heute von einem Mittag-sb-la-k
ausgesprochene Vermutung, Latz der Ge ne ras
v. Müller feines Postens enthoben werde, triff
nicht zu.
Verstärkung der sächsischen
Reichswehr.
Berlin, 19. Okt. Die Reichsregicrung rrklärt
datz die Unsicherheit der Verhältnisse in Westsachsc»
die Belegung dieses Landesteils mit stärke
ren militärischen Truppen notwendig
mache, und wird deshalb in den nächsten Tage»
größere Abteilungen nach Westsachfen diri
giere«. Die Regierung glaubt, datz sie die Nnma
tzung polizeilicher Befugnisse durch die proletarische»
Hundertschaften nicht dulden darf und datz überdies
die autzervrdentlich starke Arbeitslosigkeit in Sachse»
und die damit verbundenen schwere« wirtschaftliche»
Verhältnisse eine starke Quelle der Beunruhig««»
feie«, die eine stärkere Sicherung des La«
des notwendig mache. Dar« kommt, datz sich in West-
suchst« eine kommunistische Betriebs
rötezentrale betätigt, die durch ihre Agitatio»
'die Bevölkerung stark veunruhigt.

Mk MMMk WtM M NS NU
Reichswehrverstärkung nach Westsachsen.

* H eidelberg, 20. Oktober.
Bayern W ill anscheinend mit allem Mitteln das
Reich sprengen. Seit Jahren an diesem Ziel
arbeitend, fühlen sich die separatistischen Kreise in
Bayern jetzt anscheinend stark genug, direkten
Weges aufs Ziel loszugehen. Di« Vorgänge der
letzten Zeit sprechen eine zu deutliche Sprache.
Seit gestern ist man jedoch noch eine Etappe wei-
tergegangen. Die so dringend notwendig geworden«
Abberufung des Generals v. Lossow in München,
der sich in einem Telegramm an den Reichswehr-
minister weigerte, irgend etwas zu tu», was ihn in
Konflikt mit den bayerischen Behörden bringen
könnte, wird von Bayern mit dem Abbruch der baye-
rischen Beziehungen znm Reichswehrmintfter Gehler
beantwortet.
Mit diesem Vorgang stellt sich Nahem außerhalb
des Rechtsbodens der Verfassung. Denn man kann
sich zu Getzler — dessen Ersetzung durch einen ener-
gischen gut republikanischen Rsichswehrmtnister wir
durch verfassungsmäßige Weife schon lange
wünschen — stellen wie mau will, so mutz man doch
sagen, -daß auf diese Weise das Reich immer
mehr zu einem lendenlahmem Gebilde ge-
macht wird. Bedeutungsvoller wird jedoch die Frage
noch dadurch, datz dieser skaudalSsen Schwäche des
Reiches gegen das rechtsstehende Bayern ein außer-
ordentlich starkes Auftreten der Reichsregierung ge-
gen das linksorientierte Sachsen gegenübersteht.
Bayern läßt man drohen — nach Sachsen schickt man
jedoch bei schroffer Anwendung des Ausnahmezu-
standes militärische Verstärkungen.
Datz das Reich angesichts dieser eins eilt gen
Taktik außerstande ist, -die vorhandenen Schwier
r'gketten zu überwinden, mutz klar fein. Gelingt eS
der Regierung nicht, durch Beseitigung des
Ausnahmezustandes, der dazu dient, die
gut -republikanischen Regierungen zu unterminieren
und den reaktionären Kurs in BaheM zu befestigen,
zu zeigen, datz sie noch Herr der Situation ist, dann

sind alle Bentühungen der großen Koalition ver-
gebens.
Die Mark rollt ins Uferlose, di« Reichs-
einheit wird täglich mehr bedroht. Jn einer sol-
chen Stunde kann Volk und Staat nur durch eine
Art von Politik gerettet werden, nämlich rücksichts-
loses Vorgehen gegen alle Kreise, die Reich und Volk
durch wirtschaftliche Ausbeutung oder politische Kon-
spirationen noch weiter untergrabe«» oder verelenden
wolle«. Diese Politik der starken republikanischen
Hand ist in Verbindung mit raschester Verständigung
mit den Alliierten der einzige Weg znm Aufstieg.
Jede andere Politik führt in den Abgrund.
Abberufung des Generals v. Lossow.
Berlin, 19. Ott. Es wird jetzt von amtlicher
Seite zugegeben, datz General v. Losfowin Mün-
chen abberufen wird.
Dabei wird Gewicht -auf die Feststellung gelegt,
datz dies eine rein militärische Angele-
ge n h e -i t sei, die ausschließlich zur Kompetenz des
Reichswehrministers und des Chefs der
Heeresleitung gehöre, daß aber das Reichs-
kabinett nicht unmittelbar damit befaßt sei. Nach
unserer Kenntnis ist die e rst e Aufforderung
an General v. Lossow zum Rücktritt von dem Chef
der Heeresleitung, dem General v. Seeckt, aus-
gegangen.
Bayern bricht die Beziehungen zu
Gehler ab.
Berlin, 19. Oft. Der bayerische Gesandte in
Berlin, Herr v. Pr-eger, hat beut« abend im Auftrag
seiner Regierung dem Reichskanzler Mitgeieitt, datz
die bayerische Regierung sich wegen der Entwicklung
des Falles Lossow veranlaßt seh«, den amtlichen
Verkehr mit dem ReichswehiMtinister Dr. Getz-
ler -abzubrechen, da ihr ein gedeihliches Zu-
sammenarbeiten mit ihm als unmöglich erscheine.
Gleichzeitig hat die bayerische Regierung ihren Ent-
schluß durch die „Korrespondenz Hoffmann", ihr
halbamtliches Telegraphenbureau, verössentlichen
lasien.
 
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