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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 281 - Nr. 290 (3. Dezember - 13. Dezember)
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Nr. 289

Heidelberg, Mittwoch, den 12. Dezember 1923

F. Jahrgang

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MH Heu WM» MM
Von Rud. Brett scheid.
Das Ziel der englischen Zettungsköuige, keine
le sie Mehrheit Zustandekommen zu lassen, ist
erreicht, und nur insofern haben sie eine starke Ent-
täuschung erfahren, als das gewaltige Anwachsen
der A r b e i t e r st i m m e n nicht in ihrer Rechnung
' stand.
Man vergegenwärtige sich die Mandats Zif-
fern der Labour Party in den letzten 20
Jahren. Bei den Wahlen! von 1900 erhielt sie
2 Sitze, 1906: 29, Januar 1910: 40, Dezember 1911:
42, 1918 : 57, 1922: 142 und 1923: 197. Ihr Auf-
stieg ist nicht aufzuhalten, und mit den Wahlen
d-seies Jahres, bei denen die Verhältnisse besonders
günstig für die Liberalen lagen, ist der Beweis er-
bracht, das; sie die eine der beiden historischen Par-
teien zu verdrängen bestimmt ist. Wenn nicht alles
trügt, Wird England im Lauf der Zeit zu dem
Zweiparteiensystem zuriickkehreu, nur mit dem Un-
terschied, daß dann eine bürgerliche Gruppe mit
eimr sozialistischen um die Herrschaft ringt.
Damit ist aber auch die Taktik der Arbeiterpartei
für den gegMvärsigen Augenblick gegeben. Keine
der drei Parteien besitzt eine Mehrheit, und da Libe-
rale und Labour Party die Konservativen aus ihrer
Macht verdrängt halben, läge an sich eine Koa-
lition dieser beiden nahe. In linksgerichteten li-
beraten Kreisen wird dieser Gedanke auch propagiert.
Doch das Organ der Arbeiten der „Daily He-
rald", erklärt, daß weder die Führer noch die
Masse der Partetgensssenfchaft auf diese Anregung
hören wollen. „Was auch die Alternative sein mag
— selbst wenn sie in einer Verwirklichung des Bea-
oerhvock-Rothexmer.e-Planes zur Wiederbelebung des
Lloyd George-Koalition bestünde —, sie muß von
uns feder Vereinigung mit Männern vorgezogen
ko erden, denen zu mißtrauen wir allen Grund haben.
Zwischen dem ofsilztellen Liberalismus und
der Labour Party bilden die auswärtigen An-
gelegenheiten sine ebenso tiefe Kluft wie die innere
Politik." Wenn man die berechtigte Hoffnung hegen
darf, in absehbarer Zeit zur stärksten Partei zu wer-
den, ist es falsch, sich mit einer absterbenden Gruppe
zu verbinden und sich mit Persönlichkeiten von zwei-
felhafter Politischer Vergangenheit zu belasten. Kn
einem Lande, wo das Zweiparteiensystem Tradition
ist, steht -die Frage der Koalition mit Bürgerlichen
a n v e r s als in einem Lande mit einer Vielheit von
politischen Gruppen. Dazu kommt daun noch in
diesem besondsiien Falle, daß ein neues Zusammen-
gehen der Lloyd George-Leute mit den Konser-vAKven
bei den Asquith-Liberalen aus starken W-idPpPruch
stoßen und damit auch nur die Aussichten der La-
bour Party verbessern wird.
Solche Erwägungen werden gemeinsam mit dem
Umstand, daß die engeren Anhänger Lloyd Georges
im Gegensatz zu denen Asquiths bei den Wahlen
ebenso eiupftndlich geschlagen worden sind, wie die
Konservativen, das Zustandekommen der bürgerlichen
Koalition erschweren, und möglicherweise werden die
Konservativ«» unter Baldwin oder irgend einem
anderen Führer die Geschäfte einstweilen unten sti-ll-
tchweigender Duldung der anderen bürgerlichen Par-
tei weiterführen. Das würde aber bedeuten,
daß diebritifche Politik besonders nach außen
bin keine besondere Stärke zeigen kann,
woMv.s für Deutschland folgt, daß es ein verhäng-
nisvoller Irrtum wäre, neue Hoffnungen
auf eine Unterstützung von feiten Englands gegen
Frankreich zu setzen.
Baldwin bleibt.
London, 11. Dez. Als Ergeb,US der heutige»
Kabinettsfitz ung wird allgemein erwartet,
daß Baldwin samt seinen diskreditierten Mit-
arbeitern bleibt bis zum 7. Januar, dem Tage
also, au dem das Parlament wieder zusammentritt.
London, 9. Dez. Namsay Macdonald
erklärte in einer Unterredung zu der Frage, ob die
Arbeiterpartei ihren Sieg zu einem logischen Ab-
sthlutz bringsn und die Regierung zu übernehmen
bereit sein würde: Natürlich! Koalitionen seien
van der Arbeiterpartei immer als eine unangMikhme
Dache angesehen worden. Die Frage, ob er bereit
!ri, an einer Koalition teilzunehmen, sei Sache
V c r Arb e it e r p a r t e i als Ganzes und könne
Vaher von ihm' persönlich nicht entschieden werden,
grundsätzlich feie» Koalitionen u n angene h m,
führten zu Handlungen, die manche Leuche als
Volistfch- Unehrlichkeiten bezeichnen könnten.

ZÄ»MU eines WM«
Miss. -
Aus Köln wird uns unten» 10. Dezember ge-
schrieben:
Arn Dienstag tritt bekanntlich im Kölner Rat-
lan-s der „Sechztgerau-sschutz der besetzten Gebiete"
lammen. Es handelt sich um ein Parlament,
ap. hauptsächlich aus Reichstags- und Landtags-
aab/^^ten zusammengesetzt ist und dessen Auf-
Gebtu ./oll, über wichtige Fragen der besetzten
Ku sonö,^ ^hnell geregelt werden müssen, Beschluß
vieler französisch- Regierung schein! mit
'mnfigen Lösung des Rhetnlandproblcms.

obwohl es nicht zuletzt auf die Intrigen ihres Be-
auftragten in der Mh-einlandkommdsston, Herr»
Dirard, zurück;»sichren ist, nicht einverstanden zu
sein.
Herr Tirard Hai in den Verhandlungen, die er
im Verlaus der letzten Monate mit Vertretern der
rheinischen Gebietsteile führte, keinen Hehl daraus
gemacht, daß er in Uebereinsttmmung mit seiner
Regierung aus Gründen der politischen Sicherheit
eine Abtrennung der rheinischen Gebietsteile
von Preußen wünscht u. sich im äußersten Faste mit
einem autonomen rheinischen Staat zufrtedengeben
Würde, aber sein eigener Wunsch darauf hinaus-
läuft, das Rheinland in einzelne Kantone
auszuteilc n. Die Zusammensetzung des rhei-
nischen Parlaments spricht dafür, daß diese Bestre-
bungen vorläufig als gescheitert betrachtet
werden müssen. Das Weitz auch Herr Tirard und
er beabsichtigt deshalb, es zunächst nicht als Ver-
tretung der rheinischen Bevölkerung an;»erkennen
und bei der allernächsten Gelegenheit als unverein-
bar mit den Interessen der rheinischen Bevölkerung
zu erklären.
An die Stelle des S-echzigcrausschnsses will er
einen anderen Ausschuß setzen, der aus der „ersten
Garnitur" der Separatisten zusammengesetzt sein
soll. Zu diesem Zweck hat er mit den; rheinischen
Pfarrer Kastert, der bekanntlich vor zwei Jahren
aus der Zentrnmspartsi wegen seiner separatistischen
Bestrebungen ausgeschlossen wurde, und dem
Reichstagsabgeordneteu Deerman», der als Hospi-
tant der Bayerischen Volkspartei gilt, bereits ein-
gehende Verhandlung geführt. Bekannte Kölner
Personen, die duvstweg den sogen, besseren Ge-
sellschaftAschichten angehören, sind von den, Ver-
lauf dieser Besprechungen in Kenntnis gesetzt und
haben ihre Beteiligung, in einem von Tirard ein-
gesetzten Ausschuß zur Vertretung der rheinischen
Interessen mitzuwirken, zugesagt. Lediglich ihrer
Reichtümer wegen gelte» sie als „erste Garnitur",
während der „zweiten Garnitur" die Elemente uni
Matthes angehöven, also diejenigen, die weniger
bemittelt sind, aber bemittelt werden wollen
und zu diesem Zweck unter der Parole des Sepa-
ratismus zu jeder Missetat bereit sind.
Es ist anMnehmen, daß die Oeffentlichkeit über
die von Tirard und Kastert und Deermann ge-
führten V-erüandlungan in den nächsten Tagen noch
naher, unterrichtet wird und sich vielleicht auch schon
der Sechzigerausfchu-ß am Dienstag mit den Be-
strebungen des französischen Vorsitzenden der Rhein-
landkommisston besaßt.
Reichsmaßnahmsn für das besetzte
Gebiet.
Berlin, 11. Dez. Das Neichskabinett hat eine
Reihe Maßnahmen für das besetzte Gebiet bsschlos--
ion. Die Re nten mark soll wogen der Gefahr
der Beschlagnahme im besetzten Gebiet amtlich nicht
et »geführt werden. Dagegen ist gegen die Verwen-
dung der Rcutenmark im Postscheckverkch-r kein Be-
denken vorhanden. Die Schaffung von wertbestän-
digem Notgeld soll unverzüglich durchgesetzt werden.
Gegen eine rheinische Goldnotcubank bestehen erheb-
liche Bedenken. Den Gemeinden wird durch verschie-
dene ZuschlagsmöMchkeiten entgegeiigekommen. Die
Erwachstoseufürsorge soll nach den gleichen Grund-
sätzen wie tm übrigen Deutschland behandelt werden.
Die Kursarbeiterfücsorgö mutz ab gebaut werden. Er-
worbslosenfttrsorge soll verweigert werden, tv-enn
vorhandene Arbeit ohne triftigen Grund nicht ange-
uomnten wird. Durch Vorgehen gegen die Kartelle
sollen die Preise gesenkt werden. Die Fürsorge für
Gefangene und Aus gewiesene soll woitergeführt
Werden.
Di« Reichsregierung steht in voller Uebereinstim-
miumg mit dem preußischen Staatsministerimn aus
dem Standpunkt, daß staatsrechtliche Ver-
änderungen des besetzten Gebietes nur auf
verfassungsmäßigem Wege vollzogen Wer-
den können. Sie lehnt daher nachdrücklich jede
Ermächtigung zu Schritten ab, welche außer-
halb des in der R-etchsverfassung vorgesehen«» We-
ges staatsrechtliche Veränderungen des besetzten Ge-
bietes voll sieben oder vorbereiten würden. Die
ReichsrsMernug erstrebt zur Linderung der unerträg-
lich gewordenen Besatzungslasten, zur Weiterbelebuug
da» Wirtschaft, Befreiung der Gefangenen^ Rückkehr
der Ausgswiessnen, wie überhaupt zur Losung aller
Fragen des besetzten Gebietes, inögWW bald in
unmittelbare Verhandlungen mit den
Besatzungsmächten zu kommen.
Wertbeständiges Geld fürs Rheinland.
Düsseldorf, 11. Dez. Das städtische Presse-
amt meldet: Es ist im Einvernehmen mit der Reichs-
regierung gelungen, ein gemeinsames wert-
beständiges Geld aller Gemeinden des besetz-
ten Gebietes zu schaffen, und zwav eines Gebietes,
das sich von Dortmund bis nach Lndwigs-
h afeu erstreckt und die Rheinlaude, Westfalen, Hes-
sen-Nassau, Hessen uns die Rhein-Pfalz umfaßt.

Zur Wiederaufnahme des
Personenverkehrs.
Karlsruhe, 11. Dez. Von, Donnerstag, den
13. Dezember an wird derdurchgehendePer-
so ne „verkehr über Offenburg tu vollem
Umfang ausgenommen. Nähere Auskunft erteilen
die Stationen.
Der Durchgangsverkehr über Offenburg ist von
den französischen BesatzungsSchörden ohne Be-
schränkung fvsigegeben worden. Paßzwang be-
steht daher für Reisende, die in Offenburg und
Appenweier durchsahven und das Bahngebiet nicht
verlassen, vorerst nicht. Dagegen müssen alle Rei-
fenden, die nach den Stationen des erweiterten
Brückenkopfes Kehl Een, im Besitz der für das be-
setzte Gebiet allgemein vorgeschriöbenen Ausweis-
papiere sein.
Das Etsenbahichersoual hat, soweit notwendig,
bereits an« Dienstag den Dienst wieder ausgenom-
men, um die Vorbereitungen zur Wiederaufnahme
des Betriebs in Gang zu setzen. Der örtliche Gü-
te rzugsverkehr wird am 13. Dezember auf-
genommen.
In der Nacht vom 11. zum 12. Dezember wird
auch der Schnell- und Personenzugverlchr auf der
Strecke Frankfurt—Darmstadt Wieder ausgenonimen.
Ter UnÄeibungsivsrLehr Frankfurt-Dar-mstadt über
OfferO-ach und Hanau fällt mit dem gleichen Zeit-
punkt weg.
Die amerikanische Hilfsaktion für
Deutschland.
London, 11. Dez. Wie ans Washington ge-
meldet wird, legte Hoover dem Auswärtigen Aus-
schuß des Repräsentantenhauses ein Memorandum
vor über die Lebensmittellage Deutsch-
lands. Er führt darin aus, daß zwanzig
Millionen Menschen am meisten betroffen
sind, hauptsächlich die Arbeitende Bevölkerung in
den Städten, Pensionäre und Berufstätige. Fünf-
zig Millionen Bushels Getreide und 700 000 Tonnen
Schweinefett seien u. a. nötig. Er empfahlt dafür
den von deutscher Seite beschrittenen Weg der
Handelskredtte, die zugleich der Währug zu-
gute käme:« Das sei nur oim temporäre Lösung.
Für eine endgültige Lösung sei die Ordnung
der gesamten politischen und wirtschaftlichen Fragen
nötig.
Paris, 11. Dez. Nach einer am Abend hier
eiugetroffenen als offiziell bezeichneten Washing-
toner Meldung hat die Regierung der Vereinigten
Staaten beschlossen, „amerikanischen Sach-
verständigen die Teilnahme an den Be-
ratungen der b eiden Experten ko mitces der
Re P a r ati o n s k o mmi s s i o n zu gestalten".
Der Wortlaut der Meldung läßt es zweifelhaft er-
scheinen, ob es sich dabei tatsächlich um eine offizielle
Beteiligung Amen.las an den von der Reparations-
kommission beschlossenen Enqueten über die deutsche
Zahlungssähigkei-t handelt oder ob die amerikanische
Regierung damit lediglich gestaltet, daß amerikanische
Fachleute, falls eine entsprechende Einladung der
ReparationskomnÄsston an sie ergehen sollte, in ihrer
Eigenschaft als Privatpersonen als Mitglieder der
Sachverständtgenausschiisse fungieren.

Die Lage im Reich.
Ein Direktorium?
Der S.P.D. schreibt uns:
Die ReichSregierung plant die Einsetzung
eines Ausschusses von mehreren Kabtnetts-
mitgltedern, der di kt ato ri sche Vollmachten
erhält und auf Grund des Erurächtignngsgssetzes die
für notwendig erachteten Verordnungen erlassen soll.
Dieses Direktorium- wenn inan es so nennen
darf -- -soll sich aus dem Finanzminister, Arbeits-
mintster und Jnneirministeo zusammeusetzsu.
Berlin, 11. Dez. Im Reichstag trat heule
zum ersten Male der Fünfzehnerausschuß
zusammen. Dabei wurden ihm Beschlüsse zur Be-
crmtenlbesoldnng vorgelegt. Gegen die Besoldungs-
vervrdrmng liegen scharfe Proteste vor, deren Berech-
tigung auch von der Regierung anerkannt wird. An-
gesichts der Finanzlage bleibt sie jedoch bei den be-
schlossenen Sätzen. Jur Januar sollen sie jedoch über-
prüft werden und je nach den Steuereingängen sine
Erhöhung erfahren.

München, 11. Dez. Der „Kampfbund
Deutscher Offiziere", eine Erfatzorganisatton
für den aufgelösten Hitlerschen Deutschen Kampsbnnd,
wurde auf Beschluß von der Polizeidirektion ver-
boten und aufgelöst.

Die Lage im Ausland.
Paris, 11. Dez. Die Kammer hat die Fort-
setzumg ver heute begonnenen Diskussion über das
Frauenstimmrecht vertagt, nachdem sie mit
440 gegen 135 Stimmen beschlossen hatte, «in Projekt
auf Einführung des FamilieiMmikwochts in Erwä-
gung zu ziehe«.
Budapest, 11. Dez. An der hiesigen Univer-
sität wurden -gestern die Vorlesungen durch «ntisemi-
!rsche Elemente gestört. Man hatte wieder einmal
fine Ritualmordlegende verbreitet.

M StkllttsWsl.
Berlin, 11. Dezember.
Unser. stenerpMitischer 8-Mitarbeiter schreibt uns
in Fortsetzung seiner Stenorkritik (vergl. Leitartikel
von: 10. 12. 23):
Die Agrarier schreien wegen der Beseitigung
der Besteuerung nach dem Wirlfchastsjahre, obwohl
das stets nur eine gewaltige Bevorzugung des
Latifundtenbesitzes war und die kleinen
Bauern stets ungeheuer erbitterte. In Wirklichkeit
bringt die Vorlage mit neuen Lasten ein neues
Ge schen k. Die einzige wirkliche Belastung, die die
Landwirtschaft bisher getragen hat, war die im
August beschlossene Landab gäbe. Sie ist nach
dem goltendsn Recht bis zum März 1924 zu erheben.
Der Entwurf der Negierung hebt die Land-
ab g a b« mit dem 31. Dezember 1923 völligauf.
Zwar wird dafür die Vermögenssteuer
neu geregelt, aber sie bringt nichts Neues, son-
dern war bisher schon von jedem Besitz, also auch
von der Landw-ntschast zu tragen. Wie hoch sie
künftig wird, hängt entscheidend von der -endgültigen
Gestaltung der Bcwertuugsv-orschriften ab. Außer-
dem sollen diese Zahlungen erst mit dem 1. März
t924 beginnen. Die künftigen Vorauszay-
l u n g e n für die Einkommensteuer sind für die Land-
wirtscha-st viel niedriger als die bisherige
Landab gäbe. Als Lanidabgabe waten für je 100Ü
Mark Vevmö genswert monatlich 75 Goldpsen-nige ZU
entrichten. Die Einkommensteuer wird für je 1009
Mark Vermögenswert vierteljährlich 1 Mk., also
33ss Goldpfenntge pro Monat betragen. Die lau-
fende Steuerlast der Landwirtschaft vermindert
sich also zunächst etimral u m sastdr ei Fü n f tel.
So wird also durch den neuen Vorschlag der Regie-
rung gerade in dem Augenblick, wo das Reich große
Einnahmen braucht, die ohne jede Schwierigkeit zu
erhebende, laufend fließende und ertragreiche Land-
abgabe beseitigt.
Der von Hilferding dem Reichsrat vorgetegte
Entwurf eine» Gesetzes Mer wertbeständige Steuerst
enthielt eine in Gold zu erhebende Börsenzu-
lafsungs- und Börsenbesuchssteuer.
Banken und Börse haben wegen dieses 'Versuchs,
eine der Hanptgrirppen der Jnflationsgewi-nnler un-
verzüglich und kräftig zu besteuern, «in heftiges
Geschrei erhoben. In dem neuen Entwurf des
Finiang-ministers Luther wird lediglich eine Er-
mächtigung verlangt, eine solche Börseusteuer
künftig zu erheben. Dadurch entsteht die Gefahr, daß
diese Steusriquelle, die gerade in den vergangenen
Wochen angesichts der Riesengewinne an der Börse
große sofort verfügbare Erträge hätte liefern können,
überhaupt nicht erhoben wird.
Einer solchen Schonung können sich -die Lohn -
und Gehaltsempfänger und die Ver-
braucher nicht erfreuen. Dm Lohnab-
zug soll vereinfacht, aber auch ans das -denkbar
stärkste Maß angespannt werden. Zwar ist
der Reallohn bet großen Gruppen der Lohn- und
Gehaltsempfänger weit unter das Existenzminimum
gesunken, die Steuerbelaftung aber soll diese Grup-
pen von Arbeitern, Angestellten und Beamten erfas-
sen, weil das Reich nicht darauf verzichten könne,
c-incm sehr wesentlichen Teil seiner Einnahmen aus
dieser Steuerquelle zu beziehen.
Ebensolche Stiefkinder der Gesetzgebung sind die
Verbraucher. Ihrer harrt die Erhöhung der
Umsatzsteuer von 2 auf 2^ Prozent, - die Urn-
lvaUdlung aller übrigen Verbrauchssteuern in Gold
sowie die Erhöhung der Zucker st euer und
der übrigen Verbrauchssteuern auf das Friedens-
maß. Dieses Frtedensmatz wird aber weit übev-
schvitteu eben durch die starke Erhöhung der Umsatz-
steuer. Dies« war in der Friedenszett noch gar
nicht da und entstand in der Inflationszeit, wo
die zwei Prozent auf den verschiedenen Zwischen-
stufen zwischen Herstellern und Verbrauchern durch
Geldentwertung sich in ihrer Wirkung abschwächtcw.
Bet Wiederherstellung fester Währung ist die Schwere
einer Belastung von zwei Prozent bei jedem Umsatz,
also von 10 und mehr Prozent für den letzten Ver-
braucher schon überaus schwer uud auf die Dauer
überhaupt nicht tragbar. Nun WM mau auch dies
noch einmal uni ein volles Viertel erhöhen!
Die schlimmste G ef äh rd u n g der unbemit-
telten Schichten des Volkes ist der unerhörte Plan,
die Z wang s w i r t sch as 1 fü r M -i- e 1 en auf dem
Umwege einer verwaltungsmäßigen Anw-sisnng auf-
zuheben. Die Misten sollen nach diesem von Dr.
Luther angekündigten Plan vom 30. September 1924
ab mindestens die volle F r i e d e ns m i e t e er-
reichen. Bis zu 50 Prozent davon sollen als Steuer
Länder und Gemeinden zufließsn, der Rest den
Hausbesitzern verbleiben. Das heißt den durch die
Inflation bis auf das Letzte Enterbten in der Zeit
schwerster Erwerbsstörungen auch noch das Dach
über dem Kops hinwegreißen. Um das
Vermögen der InflationSgcwinnler zu schonen, wür-
den die Opfer der Inflation obdachlos gemacht
Werden.
Zwar Hal -die Relchsregierung noch keinerlei klar«
Auskunft darüber gegeb en, wie sie denn nun de»
Reichsb-edarf decken WM, wie hoch dieser Mer-
Haupt ist und was sie nach Erschöpfung des von der
Ren-len-vamlk ihr gewährten einmaligen Kredits, der
schwerlich auch nur über dieses Jahr hinausreichen
dürfte, zu tun gedenkt. Man murmelt und raunt
Von Einstellung der Zahlungen für ltze
 
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