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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (September bis Dezember)

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Nr. 231 - Nr. 240 (5. Oktober - 16. Oktober)
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6. Jahrgang

Heidelberg, Samstag, den 6. Oktober 1923

Nr. 232

Aufruf der freigerverkschaftlichen
Spitzenorganisationen!

Sturmzeichen!
Von Ad. Schwarz, M. d. R.
Die große Koalition war! Sie zerb r ach an
der Belastungsprobe, die ihr von Lev Deutsch-libe-
ralen Volksparlei anserlegt wurde. Zur selben Zeit,
da in Deutschland 25 bis 30 Prozent -er Mitglieder
der größten Zentvalverbände arbeitslos oder Kurz-
arbeiten sind, wirst in provozierender Art der Vor-
sitzende der Deutschliberalen ReichStagssraktion die
Forderung der Beseitigung des Acht-
stundentags aus.
Es fallen diese brüsken Forderungen zusammen
tnit den Vorgängen in Bayern, fallen zu-
sammen mit der B e s e i t i g u ng R a u me r s, der,
obwohl selbst Deutschliberaler, den Herren der
Schwerindustrie zu weich war. Trotzdem dieser selbe
Herr Raumer in seinen Reden keinen Zweifel ließ,
daß er gern bereit sei, -en Achtstundentag abzu-
bauen, hatte er hie und da für die Schwerindustrie
verdächtige Anwandlungen gezeigt. Letzten Endes
fallen aber diese Forderungen auch mit der Politik
Poincarss, der nach wie vor kein Interesse zeigt,
irgendwie Eile zu haben, den Wiederaufbau im
Westen in geregelter Form zuzulassen. Damit Ge-
legenheit zur nationalen Verhetzung jenen Kreisen
gebend, die, wie Bayern zeigt, die Hoffnung unserer
Scharfmacher zu sein scheinen.
Vom Tage der Besitzergreifung der Macht in
Bayern durch Herrn Kahr vollzog sich auch (nach
außen wenigstens jetzt ungeniert sich offen-
barend) die Schwenkung des rechten Flügels der
Vollspartet zu den Deutfchnationalen hin. War doch
eine der Forderungen des Herrn Dr. Scholz: Ver-
breiterung der Regiernngsvasis durch einen Ver-
treter, der mit der Landwirtschaft mehr Fühlung
habe. Zuerst war die Forderung noch deutlicher,
doch genügte ja auch die letztere Form, um die For-
derung der Verbreiterung nach der deutfchnationalen
Seite klar zum Ausdruck zu bringen. Und damit
dann gleich ganze Arbeit gemacht werden
konnte, verlangte man in aller Bescheidenheit auch
noch zugleich den Rücktritt Htlferdings.
Die Forderungen der Deutschliberalen Vollspar-
tei liefen in ihrer Auswirkung auf nicht mehr und
nicht weniger hinaus, als daß die Sozialdemokratie
im Kabinett nach außen Wohl die Verantwortung
übernehmen, zugleich aber einwilligen sollte, im
Kabinett selbst ihren Einfluß mindern zu
lassen. Doch damit nicht genug, sich auch noch dazu
h ergeben sollte, ihren Einfluß bei -den Massen zu
nntorgraben, indem ihr zugemutet wurde, durch ihre
Unterschrift den Achtstundentag zu besei-
tigen und eine Reihe andererMatznahmen
zu decken, die früher oder später zu Lasten der arbei-
tenden Schichten gingen.
Was nach den, Willen der Deutschliberalen noch
am Achtstundentag geblieben wäre oder besser bleiben
soll, wäre die Karikatur eines Achtstundentages ge-
wesen. Und das alles, trotzdem bisher noch nir-
gends die Gewerkschaften sich geweigert hatten, bei
ihren Mitgliedo in für Ueberstunden in solchen
Industrien einzutreten (Industrie, Bergbau), wo es
notwendig erschien im Interesse der Gesamtwirt-
schaft Ueberstuuden zu leisten. Doch darum
g i n g e s jaauch nicht. Den WirtschaftsWnigen
war und ist gerade diese freie Vereinbarung ein
Dorn im Fleische. Sie wollen nicht verein-
baren, sie wollen diktierens
SogingestndenletztenTagenaufs
Ganze. Politisch und wirtschaftlich.
Die Herren um Scholz wollten ihre Macht, die
ja wirtschaftlich ungeheuer gestärkt war, auch offen
zur Schau stellen! Als Beherrscher der Wirtschaft
erachteten die Kreise der Schwerindustrie ihre Zeit
für gekommen, diese ihre Macht in politische Forde-
rungen umzuinÄnzen, um ihre wirtschaftliche Macht-
position, ungehinderter noch wie bisher, ausbauen
zu können. Um in Zukunft alle Lasten den arbeiten-
den Schichten aufzuerlegen.
Täuschen wir uns nicht: Beim ersten
Sturm gelang es nicht ganz, in kürzester F ri st
in Tagen vielleicht schon wird von neuem versucht
werden, von dem gesteckten Ziel den Rest zu er-
reichen.
Wenn wir die Gesamtlage, politisch und wirt-
schaftlich, betrachten und wissen, daß das Unterneh-
mertum, vor allem die Schwerindustrie, in der Wahl
der Mittel nie von Skrupeln geplagt war,
wenn es galt, eine Machtstellung zu -erweitern, so
sind wir uns Wohl auch klar über die augenblickliche
Situation und ihre»Gefahren.
*
Die außerordentliche Lage, sowohl wirtschaftlich
als politisch und finanztechnisch, bewog die Regie-
rung, vom Reichstag Vollmachten außerordent-
licher Art zu verlangen. Es herrschte auch innerhalb
der Partei Uebersinstimmung, e. für einen Kom-
plcr von wichtigen Fragen dis Möglichkeit einer be-
schleunigten Durchführung von Maßnahmen der ver-
schiedensten Art notwendig sei, dazu sollte das soge-
nannte „Ermächtigungsgesetz" dienen, das
eine Art „gesetzlicher Diktatur" darstellte, indem es
der Reichsregierung das Recht goben sollte, ohne be-
sondere Zustimmung des Reichstags auf dem Wege
kni Verordnungen zu „regieren". Die Beratung
bder den Umfang dieser Befugnisse, über die Art
Durchführung führte zwischen den einzelnen
kUakUone», zu Me in ungsverschtedenhei-

Die drei.gewerkschaftlichen SPitzeno rgauisatioum,
AD-GB., AsA. und ADB., richten folgenden Auf-
ruf an die Arbeiter, Angestellten und Be-
amten:
Die Ereignisse der letzten Tage haben offenbar
gemacht, welche Gefahren die deutsche Arbeitnehmer-
schaft bedrohen. Nicht genug, daß der unerbittliche
Gegner im Westen auf den Zerfall der deutschen
Republik lauert und an den Grundrechten der Ar-
beiten Angestellten und Beamten rüttelt: in Deutsch-
land selbst erheben sich ihre erbittertsten Feinde; im
eigenen Lande holen ihre wirtschaftlichen und poli-
tischen Widersacher zum -entscheidenden Schlage Ms.
Dieselben reaktionären Kreise, die der Arbeiter-
bewegung immer den Klassenkampfstandpunkkt zum
Vorwurf machten, haben jetzt ihrerseits die Sturm-
sahne des rücksichtslosesten Klasseukatnipfes gegen die
Arbeitnehmer entrollt.
In Bayern triumphiert die Reaktion. Die ge-
samten Maßnahmen des Herrn v. Kahr verfolget!
nur den Zweck, unter Schonung -er arbeiterfeind-
lichen und amtitspublikantschen Elemente auf schein-
bar legalem Woge die Arbeitnehmerschaft wirtschaft-
lich und politisch in die alte Hörigkeit zurückzuwer-
fen und alle ihre Feinde gegen das Reich und gegen
Vie Arbeitnehmer zu mobilisieren.
Alle innerpolitischen Gegner der Republik, Se-
paratisten, Monarchisten und Rechtsradikale arbeiten
sich in die Hand. Alle sind daran interessiert, die
Autorität des Reiches zu untergraben. Jede dieser
Gruppen sucht in der Vernichtung der Republik die
erwünschte Gelegenheit, ihre Sonderziele zuch ver-
wirklichen. Alle glauben ihre Stunde gekommen.
Soweit ihre Ziele im einzelnen ausctnandergehe-n,
einig find sie sich in der Bekämpfung der -deutschen
Arbchterbewegung. Sie sind die Politischen B-un-
d-csgenossen des Unternchütertums, die Wor-Hut der
wirtschaftlichen Reaktion. Die Entrechtung der deut-
ichsn Arbeitnehmerschaft in Staat und Wirtschaft ist
ihr -ge-meinsames Ziel. Sie hallten den Zeitpunkt
für gekoMnen, letzt auch sogar die Sozialpolitik, d.
h. -die Regelung der sozialen Rechtsverhältnisse, die
staatliche Fürsorge für Sozialrentner und Arb-eits-
lose, jeder Einflußnahme des Parlaments und der
Gewerkschaften zu entziehen!, um sie nur noch in die
Hand einer mit unbeschränkten Vollmachten ausge-
statteten- Regieruugsdiktatur zu legen. Vor allem

t e n über diesen oder jenen Punkt; -es wäre aber
sehr wohl eine Verständigung möglich ge-
wesen, wenn nicht allzu deutlich der Vorstotzder
Deutschliberalen die Gefahren gezeigt hätte.
Die Gefahr, daß die „gesetzliche Diktatur" gegen
den Willen der Partei zu Maßnahmen
verwendet werden sollte, mit denen wir uns nicht
einverstanden erklären konnten. Schon in der
Handhabung der Maßnahme gegenüber Bayern
gab es Differenzen. Diese wären zu üb erb rücken
gewesen. Aber bei allen Problemen, die die Ar-
beitzeitgesetzgebung betrafen, zeigte sich
immer deutlicher, wo h i n aus denn eigentlich die
Vertreter der Schwerindustrie wollten, daß alles nur
vorgeschoben, lediglich Formsache war. Sie wollten
m i t v o l l e r A b s ich t das „Ermächtigungsgesetz"
benutzen, um den Achtstundentag im Wege der Ver-
ordnung zu beseitigen.
Gleichzeitig sollte aber auch noch das ganze sozial-
polttische Gebiet: Enw e rb s l o sensürso r ge,
Unterstützung der Sozial- und sonstigen
Rentenbezieher -em diktatorischen Willen ir-
gendwelcher Verordnung unterliegen. Selbst die
Anregung, die Entscheidung darüber wenigstens dem
zuständigen Ausschuß, der die Gewähr schneller
Arbeit gab, zu überlassen, wurde -abgelehnt. Nach
der Offenheit des Herrn Dr. Scholz stand fest, daß
das Rahmengesetz der Ermächtigung der Regierung
zu Verordnungen ohne Befragung des Reichstags,
also die Aushebung eines sehr wichtigen Teiles der
Verfassung, dazu dienen sollte, auf diktatorischem
Wege die wirtschaftliche und soziale Entrechtung der
Arbeiter, Angestellten und Beamten durchzufahren.
Nach dem offenen Vorstoß stand auch fest, daß mit
solchen AusKhrungsMöglichkeiten, wie die
Deutsch-liberalen sie forderten, schließlich alle Demo-
bilmachungsverordnungen, alle Rechte der Betriebs-
räte hätten aufgehoben werden können-. Dazu
brauchte man natürlich zunächst die Schwächung
d e r S o z i a l - c m o k r a t i e in d« R e g i e r u n g
selbst, deshalb auch die immer erneut erhobene For-
derung des Rücktritts Htlferdings und
Eintritt eines ganz rechts stehenden Politikers in die
Regierung.
Wenn heute die bürgerliche Presse wieder einmal
glaubt, die Sozialdemokratie für die jetzt kommen-
den Ereignisse verantwortlich machen zu können, so
sei zunächst mit allem Nachdruck festgestellt: Den-
selben Augenblick, da auf dem Währungs-
gebiet, in der Ernährungsfrage, in der Produktion,
in der Preisfestsetzung bei Kartellen usw. höchste Eile
nottat, benutzte die Volkspartei, um Mr ihre Zu-
stimmung zum Ermächtigungsgesetz Bedingungen zu
stellen, die aus Verschlechterung der Ar-
beitsbedingungen hinausliefen. Der Vor-
stoß kam ja- den Gewerkschaften < ichtunerwar -

soll auch die Arbeitszeit ohne das in der Verfassung
garantierte Mitbestimmungsrccht der Arbeitnehmer
beliebig verlängert werden können.
Es ist blutiger Hohn, wenn die Reaktionäre vov-
gebsiß diesen Kampf gegen die Arbeitnehmerschaft
im Namen der Nation, im Interesse der deutschen
Wirtschaft zu führen. Die Arbeiter, Angestellten u.
Beamten sind in den vergangenen Jahren am Rhein
wie in Bayern Men separatistischen Machenschaften
entgegengetreten. Sie waren und sind die Vor-
kärupfer des Reichsgedankens in allen von Sonder-
bündlern und Monarchisten gefährdeten Gebieten.
Die Gewerkschaften haben die Rechte der Nation, die
Interessen der Allgemeinheit verteidigt, indem sie
den Egoismus der- Unternehmer bekämpften, um
dem Staat zu geben) was dem Staat gehört.
Die Enterbten der Nation waren ihre entschlos-
sensten Verteidiger, sie haben die schwersten Opfer
gebracht -am Gut und Blut. Nun will man sie mit
Füßen treten Die furchtbare Teuerung steigert
täglich die Entbehrung und die Not in den Fami-
lien, trotz -er hohen NomiwaWhne. Unsere wirt-
schaftlichen Gegner möchten diesen kargen Entgelt
noch vermindern. Um die letzte Kraft aus den Ar-
beitern H-eranszuholen wollen sie die Arbeitszeit
nach eigenem Belieben verlängern. Sie Wersen
die Arbeiter aus die Straße. Unabsehbare wirt-
schaftliche Not erwartet die Scharen der Arbeits-
losen. Diesem Bunde der Arbeiterfeinde gilt es
entgegengu,treten.
Arbeiter, Angestellte und Beamte! Erkennt die
Gefahr. Jetzt ist nicht die Zeit, in Euren eigenen
Reihen politische Gegensätze ausz-utragen und Eure
Kräfte zu zersplittern. Gegen die Feinde der Ar-
b-eitnehrners-chaft mutz die -geeinte Macht des deut-
schen Proletariats eingesetzt wedren. Nur so ist der
Ansturm der Gegner zu brechen. Die Gewerkschaf-
ten sind entschlossen, -dm Kamps -Um Euer Recht zu
führen — wenn es sein mutz auch mit den äußersten
Mitteln, iiber Leven Anwendung jedoch niemand
anders als die zentrale Leitung der Gewerkschaften
entscheiden darf.
Arbeiter, Angestellte, Beamte! Befolgt Ms-
schließlich die Weisung der Spitzenorga-nisationen.
Haltet Disziplin.
Nieder mit den Feinden der Arbeiterklasse! Es
lebe die deutsche Republik!

t e t. Seit Wochen schon wurde vom Unternehmer-
tum in das Horn geblasen: Abbau des Achtstunden-
tages! Zur selben Zeit kam dieser Vorstoß,
da alle Maßnahmen hätten ergriffen worden sollen,
um in den nächsten Monaten die deutschen Arbeiter
und Angestellten auch nur halbe Tage beschäf-
tigen zu können. Von der Deutschliberalen Volks-
partei wurde so die Frage der „Produktionshebung"
zur Frage der Macht, des Diktats, des Diktats
auf Dauer, gestempelt. Leider gestärkt in ihre«
jeder Verständigung abholden Stellung durch das
zum Teil mehr als passive Verhalten des Zentrums
und der Demokraten, woran das Verhalten ein-
zelner Männer dieser genannten Parteien nichts
änderte. Es geht deshalb auch nicht an, daß gegen-
übe» den kommenden ernsten Dingen Zentrum und
Demokraten ihre Hände in Unschuld glauben waschen
zu können.
*
Was nun? Di« sozialdemokratische Fraktion
ist sich der Schwere der Situation bewußt. Im Sü-
den und Norden rüstet die Reaktion aller Schattie-
rungen. Im Westen sitzt nach wie vor die Hand an
der Gurgel des deutschen Wirtschaftslebens, die letz-
ten Vorgänge sicher als Grund Mr schärferes Zu-
fassen benutzend (sei es auch nur Scheingrund gegen-
über -dem wahren Ziel).
Stresemann sucht eine neue Regierung. Man
spricht von der Lösung der Krise durch Auflö-
sung d e s R e i ch s t a g s. Sie wäre wohl auch
ersolgt, Wenn nicht Mich bet Zentrum und Demo-
kraten — vorläufig — die Befürchtung >»1re, wer
regiert dann, in 14 Tagen? So wird man ver-
suchen, ein Kabinett der Mitte zu finden.
Oder «in Kabinett der "Männer" anstatt Parteien.
Wenn aber nun dieses Kabinett -die Vorlage des
Ermächtigungsgesetzes bringt, mit all den Forde-
rungender Deutschliberalen belastet? Wo will dann
die bürgerliche Mehrheit die verfassungsniäßige
Zweidrittelmehrheit Herdringen?
So stehen im Hintergrund der Krise neue Kri-
sen. Was dann?
Verfassungsbruch, Diktatur oder Auflösung? Oder
das vollständige Chaos?
Die Sozialdemokratie ist sich der Ver-
antwortung in dieser Zeit bewußt. Die Hoff-
nung, daß auch die andere Seite sich deren allzu sehr
bewußt, ist nach den Vorgängen der letzten Tage
gering-
Will man gegen die deutsche Arbeiterschaft regie-
ren, so können Wir das nicht ändern. Aber darüber
sollte Klarheit herrschen: Die Arbeiterschaft wird den
Fehdehandschuh aufnehmen müssen, wenn nicht die
deutsche Volkswirtschaft zugrunde gehen soll. Lassen
wtr uns nicht auf neue haltlose Experimente ein!
Sorgen wir dafür, daß wir gerüstet sind, wenn

das Unternehinertum glaubt, uns ohne weiteres inj
vorkriegliche Zeiten znrückwerfemt zu können.
Die Reaktion rüste: zum G en e ra l st u r m.
Stehen wir mit klarem, nüchternem Kopfe den kom-
menden Ereignissen gegenüber! AVer auch mit dek
notwendigen Entschlossenheit, alle unsere Kräfte zur
Abwehr zu sammeln.
Will das übermütige Kapital dar Großindustrie
den Kampf, so werden wir nicht ausweichen. Setzen!
Wtr dem Generalsturm der Reaktion die Waffe seste-
ster Entschlossenheit entgegen!

ktttlmm M Skl Wk.
Berlin, 6. Oktober. -
Nach dem Deb-acle des angeblich unpolitisches
Kabinetts Cuno war zu erwarten, daß ein ähn-
ttches Kabinett Stresemann ebensowenig Freude
Hervorrufen könnte. Trotzdem mach le Sttesemanst
abermals diesen Versuch. Er wollte, wie die „Frkf.
Ztg." schreibt, die meisten Kabinetts-Mitglieder bei-
behalten, mit Ausnahme der Sozialde-
mokraten, das Wirtschafts- und Finanzministe-
rium Herrn Schack von der Darmstädter und Na-
tionalbank und das E-vitährungsministerium denk
Kommerzienrat Rabbethge übertragen, also dw
Sozialdemokraten durch sog. „Wirtschaftler" ersetzen.
Die Deutschnationalen teilten ihm aber mitz
daß er hierbei nur Mißtrauen und stritte Ablehnung
finden werde, und das Zentrum und die So-
zialdemokraten ließen ihn ebenfalls wissen,
daß bei ihnen für- die Unterstützung eines solches
Kabinetts keinerlei Neigung bestehe.
Selbstverständlich wäre unsere Partei offene* *
Gegner einer solchen Regierung gewesen, da keine
Sehnsucht vorhanden ist, die Zustände vom Kabinett
Enno forizusetzen. Bürgerlichen Meldungen zufolge
bemüht sich Stresemann nun neuerdings wieder, eint
neues Kabinett der „Großen Koalition" zustande zst
bringen. Wir können uns jedoch nicht denken,
daß unsere Partei irgendwie Lust hat, Mr die nächste
Zeit nochmals dieses Experiment zu rnachen und ist
eine Regierung eiutritt, die, wie sich die Dinge ist
den letzten Tagen entwickelt haben,- indirekt unter
der Fuchtel des Herrn Helfferich stünde. Nach dest
Erlebnissen der letzten Tage nochmals in eine große
Koalition eingutrNen, wäre wahrlich mehr- als!
Selbstaufopferung der Partei. Denn wer bürgt da-
für, daß sich der Skandal von Montag, das!
plötzliche Ausbrechen der Deutschen Volkspartei, ist
der neuen Regierung nicht jeden Augenblick
wiederholt? Wer gibt Sicherheiten dafür, daß
die Volkspariei, in der scharfe Gegensätze
zwischen Stresemann auf der einen Seite und Stin«
nes, Scholz, Quaatz und Maretzki auf der änderest
bestehen, in der neu«n Koalition vernünftige«
sein wird als in der alten? Wer garantiert endlich,
daß nicht bei günstiger Gelegenheit wiederum eins
Pulschkrise in das Parlameitt hineingetragen wird*
Die Reaktion, die dar- Reichsregierung den Dolchstoß
versetzte, soll die Wunde nim auch austragen.
Auf unsere telephonische Anfrage um S.15 Uht
heute früh wurde uns mitgeteilt, daß cs bis zue
Stunde noch nicht gelungen sei, das Kabinett
zu bilden.

Mk MtkiM Ml WM
* Heidelberg, 6. Oktber.
In der gesamten Parteipresse wird die skan-
dalöse Haltung der Deutschen Libera-
len Volkspartei scharf gekennzeichnet und da-
bei vielfach gleichzeitig die nicht genügend*
Klarheit unserer R eich s t ag s fr ak t i o st
gegenüber dem reaktionären Vorstoß kritisiert.
Der „Vorwärts" äußert: Auszuklären bleibt,
wieso es dem rechten Flügel der Voltspattei gelang,
die Führung zu gewinnen, und die Koalition, die
vom linken Flügel der Partei unter Führung Slre-
semauns, von Zentrum und Demovmten schon seit
Fahren aug-estrebt worden war, nach sieben Worbest
des Bestandes wieder zu sprengen. Die GründS
liegen vei der a u s w ä r t i ge n P o l ii i k und der
bayerischen Frage. Die Tatsache, daß es
auch nach Aufgabe des passiven Widerstandes nicht
gelungen war, zu Verhandlungen mit Frankreich zu
kormnen, hatte eine ungeheure Enttäuschung hor'vor-
gerüsen und die Position jener gestärkt, die sich von
einer Verständigungspolitik überhaupt nichts ver-
sprechen. So gehört die Politik Poincares
in hervorragender Weise mit zu den Ursache u,
die zum Zerfall der Koalition geführt haben.
Die „Fränktsche Tagespo st" tn Nürnberg
erklärt: Wir haben wieder freie Bahn zur Ver-
tretung proletarischer Interessen ohnedasBlei -
 
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